Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite



O! halte darauf, daß sie sich wirklich von diesem fast
einzigen, aber großen Fehler bessere, obgleich es
ihr wehe thun wird! Und wenn Du ihr Geschen-
ke machst, laß es immer lieber sauberes Leinzeug
seyn, als irgend etwas elegantes. Zur nahen
Messe schicke ich ihr ein Duzzend leinene Schürzen.
Verdirb mir diesmal die Freude nicht damit, daß
Du ihr auch welche schenkst: sie wird mich wohl
verstehen, was ich damit meyne.

Ob man auch wohl allzureinlich seyn kön-
ne? fragte mich neulich einmal eine Verwandte
in vollem Ernst. Jch nicht, war meine Antwort;
denn mir fehlt zum "genug" noch manches. Viel-
leicht kann es niemand zu sehr seyn: aber auf ei-
ne mißverstandene, pedantische Weise kann man
es wohl seyn. Diese Frage kommt mir vor, wie
die, ob man zu gut seyn könnte? Könnte man
das seyn, so wäre das vollkommenste Wesen
gerade dadurch ein unvollkommenes. Wohl aber
ist weiche Güte, da wo Ernst, ja Strenge
hingehört, Schwäche, und Schwäche ist nicht
Güte. --



O! halte darauf, daß ſie ſich wirklich von dieſem faſt
einzigen, aber großen Fehler beſſere, obgleich es
ihr wehe thun wird! Und wenn Du ihr Geſchen-
ke machſt, laß es immer lieber ſauberes Leinzeug
ſeyn, als irgend etwas elegantes. Zur nahen
Meſſe ſchicke ich ihr ein Duzzend leinene Schürzen.
Verdirb mir diesmal die Freude nicht damit, daß
Du ihr auch welche ſchenkſt: ſie wird mich wohl
verſtehen, was ich damit meyne.

Ob man auch wohl allzureinlich ſeyn kön-
ne? fragte mich neulich einmal eine Verwandte
in vollem Ernſt. Jch nicht, war meine Antwort;
denn mir fehlt zum „genug‟ noch manches. Viel-
leicht kann es niemand zu ſehr ſeyn: aber auf ei-
ne mißverſtandene, pedantiſche Weiſe kann man
es wohl ſeyn. Dieſe Frage kommt mir vor, wie
die, ob man zu gut ſeyn könnte? Könnte man
das ſeyn, ſo wäre das vollkommenſte Weſen
gerade dadurch ein unvollkommenes. Wohl aber
iſt weiche Güte, da wo Ernſt, ja Strenge
hingehört, Schwäche, und Schwäche iſt nicht
Güte. —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0070" n="56"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
O! halte darauf, daß &#x017F;ie &#x017F;ich wirklich von die&#x017F;em fa&#x017F;t<lb/>
einzigen, aber großen Fehler be&#x017F;&#x017F;ere, obgleich es<lb/>
ihr wehe thun wird! Und wenn Du ihr Ge&#x017F;chen-<lb/>
ke mach&#x017F;t, laß es immer lieber &#x017F;auberes Leinzeug<lb/>
&#x017F;eyn, als irgend etwas elegantes. Zur nahen<lb/>
Me&#x017F;&#x017F;e &#x017F;chicke ich ihr ein Duzzend leinene Schürzen.<lb/>
Verdirb mir diesmal die Freude nicht damit, daß<lb/>
Du ihr auch welche &#x017F;chenk&#x017F;t: &#x017F;ie wird mich wohl<lb/>
ver&#x017F;tehen, was ich damit meyne.</p><lb/>
          <p>Ob man auch wohl <hi rendition="#g">allzureinlich</hi> &#x017F;eyn kön-<lb/>
ne? fragte mich neulich einmal eine Verwandte<lb/>
in vollem Ern&#x017F;t. Jch nicht, war meine Antwort;<lb/>
denn mir fehlt zum &#x201E;genug&#x201F; noch manches. Viel-<lb/>
leicht kann es niemand zu &#x017F;ehr &#x017F;eyn: aber auf ei-<lb/>
ne mißver&#x017F;tandene, pedanti&#x017F;che Wei&#x017F;e kann man<lb/>
es wohl &#x017F;eyn. Die&#x017F;e Frage kommt mir vor, wie<lb/>
die, ob man zu gut &#x017F;eyn könnte? Könnte man<lb/>
das &#x017F;eyn, &#x017F;o wäre das vollkommen&#x017F;te We&#x017F;en<lb/>
gerade dadurch ein unvollkommenes. Wohl aber<lb/>
i&#x017F;t weiche Güte, da wo Ern&#x017F;t, ja Strenge<lb/>
hingehört, Schwäche, und Schwäche i&#x017F;t nicht<lb/>
Güte. &#x2014;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0070] O! halte darauf, daß ſie ſich wirklich von dieſem faſt einzigen, aber großen Fehler beſſere, obgleich es ihr wehe thun wird! Und wenn Du ihr Geſchen- ke machſt, laß es immer lieber ſauberes Leinzeug ſeyn, als irgend etwas elegantes. Zur nahen Meſſe ſchicke ich ihr ein Duzzend leinene Schürzen. Verdirb mir diesmal die Freude nicht damit, daß Du ihr auch welche ſchenkſt: ſie wird mich wohl verſtehen, was ich damit meyne. Ob man auch wohl allzureinlich ſeyn kön- ne? fragte mich neulich einmal eine Verwandte in vollem Ernſt. Jch nicht, war meine Antwort; denn mir fehlt zum „genug‟ noch manches. Viel- leicht kann es niemand zu ſehr ſeyn: aber auf ei- ne mißverſtandene, pedantiſche Weiſe kann man es wohl ſeyn. Dieſe Frage kommt mir vor, wie die, ob man zu gut ſeyn könnte? Könnte man das ſeyn, ſo wäre das vollkommenſte Weſen gerade dadurch ein unvollkommenes. Wohl aber iſt weiche Güte, da wo Ernſt, ja Strenge hingehört, Schwäche, und Schwäche iſt nicht Güte. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/70
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/70>, abgerufen am 06.10.2024.