Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807. Morgen. Wohl ist mir von Liebe mein Antlitz so roth, Wohl glühen, wohl blühn mir die Wangen, Still in heißem Verlangen Die entblühete Welt zu umfangen; Hirte, deß ist mir das Antlitz so roth. Hirte. Aber es träufelt der Thränen Fülle, Dir in heiliger kühliger Stille Von der rosigen Wange herunter Und die Blümlein entblühen bunter, Und die Vögelein schütteln so munter, Schütteln so froh, ihr betropftes Gesieder: Warum steigst du weinend hernieder? Morgen. Frühe in heiteren Hallen der Nacht, Hab' ich, o Hirte, lauschend gewacht, Habe durchflattert die lüftigen Räume, Habe belauschet die seligen Träume. -- O wie sie schlummernd des Elends vergessen, Nimmer die Plagen des Lebens ermessen, Friedlich liegend, so Freund als Feind, Alle am Busen der Mutter vereint: Deß hab' ich in liebender Freude geweint. Morgen. Wohl iſt mir von Liebe mein Antlitz ſo roth, Wohl glühen, wohl blühn mir die Wangen, Still in heißem Verlangen Die entblühete Welt zu umfangen; Hirte, deß iſt mir das Antlitz ſo roth. Hirte. Aber es träufelt der Thränen Fülle, Dir in heiliger kühliger Stille Von der roſigen Wange herunter Und die Blümlein entblühen bunter, Und die Vögelein ſchütteln ſo munter, Schütteln ſo froh, ihr betropftes Geſieder: Warum ſteigſt du weinend hernieder? Morgen. Frühe in heiteren Hallen der Nacht, Hab’ ich, o Hirte, lauſchend gewacht, Habe durchflattert die lüftigen Räume, Habe belauſchet die ſeligen Träume. — O wie ſie ſchlummernd des Elends vergeſſen, Nimmer die Plagen des Lebens ermeſſen, Friedlich liegend, ſo Freund als Feind, Alle am Buſen der Mutter vereint: Deß hab’ ich in liebender Freude geweint. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0124" n="116"/> <sp who="#mo"> <speaker><hi rendition="#g">Morgen</hi>.</speaker><lb/> <lg type="poem"> <l>Wohl iſt mir von Liebe mein Antlitz ſo roth,</l><lb/> <l>Wohl glühen, wohl blühn mir die Wangen,</l><lb/> <l>Still in heißem Verlangen</l><lb/> <l>Die entblühete Welt zu umfangen;</l><lb/> <l>Hirte, deß iſt mir das Antlitz ſo roth.</l> </lg> </sp><lb/> <sp who="#hi"> <speaker><hi rendition="#g">Hirte</hi>.</speaker><lb/> <lg type="poem"> <l>Aber es träufelt der Thränen Fülle,</l><lb/> <l>Dir in heiliger kühliger Stille</l><lb/> <l>Von der roſigen Wange herunter</l><lb/> <l>Und die Blümlein entblühen bunter,</l><lb/> <l>Und die Vögelein ſchütteln ſo munter,</l><lb/> <l>Schütteln ſo froh, ihr betropftes Geſieder:</l><lb/> <l>Warum ſteigſt du weinend hernieder?</l> </lg> </sp><lb/> <sp who="#mo"> <speaker><hi rendition="#g">Morgen</hi>.</speaker><lb/> <lg type="poem"> <l>Frühe in heiteren Hallen der Nacht,</l><lb/> <l>Hab’ ich, o Hirte, lauſchend gewacht,</l><lb/> <l>Habe durchflattert die lüftigen Räume,</l><lb/> <l>Habe belauſchet die ſeligen Träume. —</l><lb/> <l>O wie ſie ſchlummernd des Elends vergeſſen,</l><lb/> <l>Nimmer die Plagen des Lebens ermeſſen,</l><lb/> <l>Friedlich liegend, ſo Freund als Feind,</l><lb/> <l>Alle am Buſen der Mutter vereint:</l><lb/> <l>Deß hab’ ich in liebender Freude geweint.</l> </lg> </sp><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [116/0124]
Morgen.
Wohl iſt mir von Liebe mein Antlitz ſo roth,
Wohl glühen, wohl blühn mir die Wangen,
Still in heißem Verlangen
Die entblühete Welt zu umfangen;
Hirte, deß iſt mir das Antlitz ſo roth.
Hirte.
Aber es träufelt der Thränen Fülle,
Dir in heiliger kühliger Stille
Von der roſigen Wange herunter
Und die Blümlein entblühen bunter,
Und die Vögelein ſchütteln ſo munter,
Schütteln ſo froh, ihr betropftes Geſieder:
Warum ſteigſt du weinend hernieder?
Morgen.
Frühe in heiteren Hallen der Nacht,
Hab’ ich, o Hirte, lauſchend gewacht,
Habe durchflattert die lüftigen Räume,
Habe belauſchet die ſeligen Träume. —
O wie ſie ſchlummernd des Elends vergeſſen,
Nimmer die Plagen des Lebens ermeſſen,
Friedlich liegend, ſo Freund als Feind,
Alle am Buſen der Mutter vereint:
Deß hab’ ich in liebender Freude geweint.
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