unvermerkt zu gleicher Stimmung. Sie sind so seelenfroh mit mir, und schwärmen wie die Bienen unter Blumen, und saugen Honig aus der herr- lichen Natur. Keine hält dies Frohseyn für etwas anders, als Naturnothwendigkeit. Und wenn jemand ihnen Schönes dafür sagte, daß sie einen Sinn fürs Schöne haben, das würde ihnen so vorkommen, als wenn man sie wegen des Athem- holens lobte. Ueberhaupt sind sie der Schmeiche- lei unzugänglich, und eben deshalb der Affektation unfähig. Der Schönheitssinn hat sich in ihnen so natürlich und ohne alles Räsonnement entwi- ckelt, daß sie sich seines Werdens gar nicht bewußt worden, und er als etwas Angebornes erscheint. Sie freuen sich am Schönen, weil es schön ist. Auch wissen sie, daß diese Freude den Menschen vom Thier unterscheide, wie der Sinn fürs Gute und Große; aber sie glauben, daß auch dieser dem Menschen natürlich, und nur in diesem und dem durch Krankheit oder unglückliche Verhältnisse ab- gestumpft sey.
Als ich in den ersten Morgen hier erwachte,
unvermerkt zu gleicher Stimmung. Sie ſind ſo ſeelenfroh mit mir, und ſchwärmen wie die Bienen unter Blumen, und ſaugen Honig aus der herr- lichen Natur. Keine hält dies Frohſeyn für etwas anders, als Naturnothwendigkeit. Und wenn jemand ihnen Schönes dafür ſagte, daß ſie einen Sinn fürs Schöne haben, das würde ihnen ſo vorkommen, als wenn man ſie wegen des Athem- holens lobte. Ueberhaupt ſind ſie der Schmeiche- lei unzugänglich, und eben deshalb der Affektation unfähig. Der Schönheitsſinn hat ſich in ihnen ſo natürlich und ohne alles Räſonnement entwi- ckelt, daß ſie ſich ſeines Werdens gar nicht bewußt worden, und er als etwas Angebornes erſcheint. Sie freuen ſich am Schönen, weil es ſchön iſt. Auch wiſſen ſie, daß dieſe Freude den Menſchen vom Thier unterſcheide, wie der Sinn fürs Gute und Große; aber ſie glauben, daß auch dieſer dem Menſchen natürlich, und nur in dieſem und dem durch Krankheit oder unglückliche Verhältniſſe ab- geſtumpft ſey.
Als ich in den erſten Morgen hier erwachte,
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unvermerkt zu gleicher Stimmung. Sie ſind ſo
ſeelenfroh mit mir, und ſchwärmen wie die Bienen
unter Blumen, und ſaugen Honig aus der herr-
lichen Natur. Keine hält dies Frohſeyn für etwas
anders, als Naturnothwendigkeit. Und wenn
jemand ihnen Schönes dafür ſagte, daß ſie einen
Sinn fürs Schöne haben, das würde ihnen ſo
vorkommen, als wenn man ſie wegen des Athem-
holens lobte. Ueberhaupt ſind ſie der Schmeiche-
lei unzugänglich, und eben deshalb der Affektation
unfähig. Der Schönheitsſinn hat ſich in ihnen
ſo natürlich und ohne alles Räſonnement entwi-
ckelt, daß ſie ſich ſeines Werdens gar nicht bewußt
worden, und er als etwas Angebornes erſcheint.
Sie freuen ſich am Schönen, weil es ſchön iſt.
Auch wiſſen ſie, daß dieſe Freude den Menſchen
vom Thier unterſcheide, wie der Sinn fürs Gute
und Große; aber ſie glauben, daß auch dieſer dem
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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/14>, abgerufen am 23.11.2024.
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