Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

kontrastirt, daß sie nicht das harmloseste Nein sagen
kann, ohne ihr: Je vous demande pardon,
für dieses Nein hinzuzufügen, und auch wenn sie
deutsch redet, jeder Bejahung ihr: aufzuwar-
ten!
voranschickt. Dies ist den guten Kindern
täglich eingerieben worden, bis diese und ähnliche
tätowirten Schnörkel endlich in ihrer Haut ge-
haftet. Lorette müßte, nach ihren Zügen und ih-
rer ganzen Gestalt zu schließen, eins der luftig-
sten leichtesten fröhlichsten Wesen geworden seyn,
wenn man ihr dieses Schnürleib der Kunst nicht
so fest um ihre Natur gezogen, daß sie sich nicht
darin zu regen vermag. Man müßte sie das Wind-
spiel nennen, wenn man ihre Gestalt bezeichnen
wollte. Lisette gleicht der sanften Mutter am
meisten, und da sie von so bildsamer gefälliger
Natur ist (man möchte sie zum Bilde der reinen
fast willenlosen Empfänglichkeit aufstellen): so hat
auch bei ihr die Schule der Mlle. Fleuri am mei-
sten gefruchtet. Diese hat sie völlig in ihre Form
gegossen.

Auch ist sie auf dieses ihr Meisterwerk nicht we-

(18)

kontraſtirt, daß ſie nicht das harmloſeſte Nein ſagen
kann, ohne ihr: Je vous demande pardon,
für dieſes Nein hinzuzufügen, und auch wenn ſie
deutſch redet, jeder Bejahung ihr: aufzuwar-
ten!
voranſchickt. Dies iſt den guten Kindern
täglich eingerieben worden, bis dieſe und ähnliche
tätowirten Schnörkel endlich in ihrer Haut ge-
haftet. Lorette müßte, nach ihren Zügen und ih-
rer ganzen Geſtalt zu ſchließen, eins der luftig-
ſten leichteſten fröhlichſten Weſen geworden ſeyn,
wenn man ihr dieſes Schnürleib der Kunſt nicht
ſo feſt um ihre Natur gezogen, daß ſie ſich nicht
darin zu regen vermag. Man müßte ſie das Wind-
ſpiel nennen, wenn man ihre Geſtalt bezeichnen
wollte. Liſette gleicht der ſanften Mutter am
meiſten, und da ſie von ſo bildſamer gefälliger
Natur iſt (man möchte ſie zum Bilde der reinen
faſt willenloſen Empfänglichkeit aufſtellen): ſo hat
auch bei ihr die Schule der Mlle. Fleuri am mei-
ſten gefruchtet. Dieſe hat ſie völlig in ihre Form
gegoſſen.

Auch iſt ſie auf dieſes ihr Meiſterwerk nicht we-

(18)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0145" n="137"/>
kontra&#x017F;tirt, daß &#x017F;ie nicht das harmlo&#x017F;e&#x017F;te Nein &#x017F;agen<lb/>
kann, ohne ihr: <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Je vous demande pardon,</hi></hi><lb/>
für die&#x017F;es Nein hinzuzufügen, und auch wenn &#x017F;ie<lb/>
deut&#x017F;ch redet, jeder Bejahung ihr: <hi rendition="#g">aufzuwar-<lb/>
ten!</hi> voran&#x017F;chickt. Dies i&#x017F;t den guten Kindern<lb/>
täglich eingerieben worden, bis die&#x017F;e und ähnliche<lb/>
tätowirten Schnörkel endlich in ihrer Haut ge-<lb/>
haftet. Lorette müßte, nach ihren Zügen und ih-<lb/>
rer ganzen Ge&#x017F;talt zu &#x017F;chließen, eins der luftig-<lb/>
&#x017F;ten leichte&#x017F;ten fröhlich&#x017F;ten We&#x017F;en geworden &#x017F;eyn,<lb/>
wenn man ihr die&#x017F;es Schnürleib der Kun&#x017F;t nicht<lb/>
&#x017F;o fe&#x017F;t um ihre Natur gezogen, daß &#x017F;ie &#x017F;ich nicht<lb/>
darin zu regen vermag. Man müßte &#x017F;ie das Wind-<lb/>
&#x017F;piel nennen, wenn man ihre Ge&#x017F;talt bezeichnen<lb/>
wollte. Li&#x017F;ette gleicht der &#x017F;anften Mutter am<lb/>
mei&#x017F;ten, und da &#x017F;ie von &#x017F;o bild&#x017F;amer gefälliger<lb/>
Natur i&#x017F;t (man möchte &#x017F;ie zum Bilde der reinen<lb/>
fa&#x017F;t willenlo&#x017F;en Empfänglichkeit auf&#x017F;tellen): &#x017F;o hat<lb/>
auch bei ihr die Schule der Mlle. Fleuri am mei-<lb/>
&#x017F;ten gefruchtet. Die&#x017F;e hat &#x017F;ie völlig in ihre Form<lb/>
gego&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Auch i&#x017F;t &#x017F;ie auf die&#x017F;es ihr Mei&#x017F;terwerk nicht we-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">(18)</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0145] kontraſtirt, daß ſie nicht das harmloſeſte Nein ſagen kann, ohne ihr: Je vous demande pardon, für dieſes Nein hinzuzufügen, und auch wenn ſie deutſch redet, jeder Bejahung ihr: aufzuwar- ten! voranſchickt. Dies iſt den guten Kindern täglich eingerieben worden, bis dieſe und ähnliche tätowirten Schnörkel endlich in ihrer Haut ge- haftet. Lorette müßte, nach ihren Zügen und ih- rer ganzen Geſtalt zu ſchließen, eins der luftig- ſten leichteſten fröhlichſten Weſen geworden ſeyn, wenn man ihr dieſes Schnürleib der Kunſt nicht ſo feſt um ihre Natur gezogen, daß ſie ſich nicht darin zu regen vermag. Man müßte ſie das Wind- ſpiel nennen, wenn man ihre Geſtalt bezeichnen wollte. Liſette gleicht der ſanften Mutter am meiſten, und da ſie von ſo bildſamer gefälliger Natur iſt (man möchte ſie zum Bilde der reinen faſt willenloſen Empfänglichkeit aufſtellen): ſo hat auch bei ihr die Schule der Mlle. Fleuri am mei- ſten gefruchtet. Dieſe hat ſie völlig in ihre Form gegoſſen. Auch iſt ſie auf dieſes ihr Meiſterwerk nicht we- (18)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/145
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/145>, abgerufen am 21.11.2024.