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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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eine bessere Schwester seyn, als sonst. Glauben
Sie das nicht, Mathilde thut sich selbst unrecht,
sagte ich ihm; manches hat sie bei uns erst ge-
lernt, aber lieben konnte sie ihren Bruder schon
immer, das liegt tief in ihr. Der junge Mensch
ist ein hübsches eitles Offizierchen, jetzt neunzehn
Jahre alt. Er weiß es, daß ihm die Uniform
sehr wohl steht. Selten geht er einem Spiegel
vorbei, ohne sich durch einen Blick hinein gütlich
zu thun. Leer scheint er mir noch sehr, aber Ma-
thilde merkt es noch nicht. Nur in das Ge-
schenk, welches er ihr mitgebracht, kann sie sich
nicht finden. Es besteht in einer kleinen Toilette
mit Schminkdöschen und anderm Zubehöre der
frivolsten Verschönerungskunst. Auch schämt sie
sich, es andern zu zeigen, und bat mich, daß es
besonders Hertha nicht erfahren möchte. -- Hertha
hat das eitle Offizierchen sehr bald ausgefunden.
Aber Mathilde hütet ihren Blick beständig, so oft
er einen satyrischen Pfeil auf den Fähnrich ab-
schießen will. Auch umgibt sie den Bruder be-
ständig, wie mit einem Schilde, und bewacht ihn
ängstlich, damit er nichts sage, wodurch er sich

eine beſſere Schweſter ſeyn, als ſonſt. Glauben
Sie das nicht, Mathilde thut ſich ſelbſt unrecht,
ſagte ich ihm; manches hat ſie bei uns erſt ge-
lernt, aber lieben konnte ſie ihren Bruder ſchon
immer, das liegt tief in ihr. Der junge Menſch
iſt ein hübſches eitles Offizierchen, jetzt neunzehn
Jahre alt. Er weiß es, daß ihm die Uniform
ſehr wohl ſteht. Selten geht er einem Spiegel
vorbei, ohne ſich durch einen Blick hinein gütlich
zu thun. Leer ſcheint er mir noch ſehr, aber Ma-
thilde merkt es noch nicht. Nur in das Ge-
ſchenk, welches er ihr mitgebracht, kann ſie ſich
nicht finden. Es beſteht in einer kleinen Toilette
mit Schminkdöschen und anderm Zubehöre der
frivolſten Verſchönerungskunſt. Auch ſchämt ſie
ſich, es andern zu zeigen, und bat mich, daß es
beſonders Hertha nicht erfahren möchte. — Hertha
hat das eitle Offizierchen ſehr bald ausgefunden.
Aber Mathilde hütet ihren Blick beſtändig, ſo oft
er einen ſatyriſchen Pfeil auf den Fähnrich ab-
ſchießen will. Auch umgibt ſie den Bruder be-
ſtändig, wie mit einem Schilde, und bewacht ihn
ängſtlich, damit er nichts ſage, wodurch er ſich

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[162/0170] eine beſſere Schweſter ſeyn, als ſonſt. Glauben Sie das nicht, Mathilde thut ſich ſelbſt unrecht, ſagte ich ihm; manches hat ſie bei uns erſt ge- lernt, aber lieben konnte ſie ihren Bruder ſchon immer, das liegt tief in ihr. Der junge Menſch iſt ein hübſches eitles Offizierchen, jetzt neunzehn Jahre alt. Er weiß es, daß ihm die Uniform ſehr wohl ſteht. Selten geht er einem Spiegel vorbei, ohne ſich durch einen Blick hinein gütlich zu thun. Leer ſcheint er mir noch ſehr, aber Ma- thilde merkt es noch nicht. Nur in das Ge- ſchenk, welches er ihr mitgebracht, kann ſie ſich nicht finden. Es beſteht in einer kleinen Toilette mit Schminkdöschen und anderm Zubehöre der frivolſten Verſchönerungskunſt. Auch ſchämt ſie ſich, es andern zu zeigen, und bat mich, daß es beſonders Hertha nicht erfahren möchte. — Hertha hat das eitle Offizierchen ſehr bald ausgefunden. Aber Mathilde hütet ihren Blick beſtändig, ſo oft er einen ſatyriſchen Pfeil auf den Fähnrich ab- ſchießen will. Auch umgibt ſie den Bruder be- ſtändig, wie mit einem Schilde, und bewacht ihn ängſtlich, damit er nichts ſage, wodurch er ſich

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/170>, abgerufen am 21.11.2024.