Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite



mel schwarz umzogen ist, dann kommt es mir vor
als wenn die ganze Natur im bangen Verzagen
läge. Aber wenn das Gewitter heraufzieht, und
sich wieder die Luft bewegt und die ersten Regen-
tropfen fallen, da fühle ich mich wieder anders.

Beim letzten Gewitter, welches wirklich sehr
heftig war, konnte Hertha sich des lauten Wei-
nens nicht enthalten. Jch schloß sie still an mich,
und redete unterdessen zu den Andern, wie es so
natürlich sey, daß der ununterrichtete Mensch ein
wenig davon geängstiget werde, und daß dieser
Kampf der Natur die Menschen in der ersten
Kindheit der Welt fürchterlich erschreckt haben
müsse. Diese leise Rechtfertigung ihrer Angst trö-
stete sie schon ein wenig. Als es meist vorüber
war, und die Zeit zwischen Blitz und Donner sich
immer verlängerte, und der Donner immer pracht-
voller klang, je mehr er von dem Betäubenden
verlor, ließ ich mir Klopstock's Oden bringen,
und las die Frühlingsfeier. Die Kinder kannten
sie noch nicht, und waren entzückt. Hertha hörte
mir zu mit einer Theilnahme, wie noch nie. Um



mel ſchwarz umzogen iſt, dann kommt es mir vor
als wenn die ganze Natur im bangen Verzagen
läge. Aber wenn das Gewitter heraufzieht, und
ſich wieder die Luft bewegt und die erſten Regen-
tropfen fallen, da fühle ich mich wieder anders.

Beim letzten Gewitter, welches wirklich ſehr
heftig war, konnte Hertha ſich des lauten Wei-
nens nicht enthalten. Jch ſchloß ſie ſtill an mich,
und redete unterdeſſen zu den Andern, wie es ſo
natürlich ſey, daß der ununterrichtete Menſch ein
wenig davon geängſtiget werde, und daß dieſer
Kampf der Natur die Menſchen in der erſten
Kindheit der Welt fürchterlich erſchreckt haben
müſſe. Dieſe leiſe Rechtfertigung ihrer Angſt trö-
ſtete ſie ſchon ein wenig. Als es meiſt vorüber
war, und die Zeit zwiſchen Blitz und Donner ſich
immer verlängerte, und der Donner immer pracht-
voller klang, je mehr er von dem Betäubenden
verlor, ließ ich mir Klopſtock’s Oden bringen,
und las die Frühlingsfeier. Die Kinder kannten
ſie noch nicht, und waren entzückt. Hertha hörte
mir zu mit einer Theilnahme, wie noch nie. Um

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0232" n="224"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
mel &#x017F;chwarz umzogen i&#x017F;t, dann kommt es mir vor<lb/>
als wenn die ganze Natur im bangen Verzagen<lb/>
läge. Aber wenn das Gewitter heraufzieht, und<lb/>
&#x017F;ich wieder die Luft bewegt und die er&#x017F;ten Regen-<lb/>
tropfen fallen, da fühle ich mich wieder anders.</p><lb/>
          <p>Beim letzten Gewitter, welches wirklich &#x017F;ehr<lb/>
heftig war, konnte Hertha &#x017F;ich des lauten Wei-<lb/>
nens nicht enthalten. Jch &#x017F;chloß &#x017F;ie &#x017F;till an mich,<lb/>
und redete unterde&#x017F;&#x017F;en zu den Andern, wie es &#x017F;o<lb/>
natürlich &#x017F;ey, daß der ununterrichtete Men&#x017F;ch ein<lb/>
wenig davon geäng&#x017F;tiget werde, und daß die&#x017F;er<lb/>
Kampf der Natur die Men&#x017F;chen in der er&#x017F;ten<lb/>
Kindheit der Welt fürchterlich er&#x017F;chreckt haben<lb/>&#x017F;&#x017F;e. Die&#x017F;e lei&#x017F;e Rechtfertigung ihrer Ang&#x017F;t trö-<lb/>
&#x017F;tete &#x017F;ie &#x017F;chon ein wenig. Als es mei&#x017F;t vorüber<lb/>
war, und die Zeit zwi&#x017F;chen Blitz und Donner &#x017F;ich<lb/>
immer verlängerte, und der Donner immer pracht-<lb/>
voller klang, je mehr er von dem Betäubenden<lb/>
verlor, ließ ich mir Klop&#x017F;tock&#x2019;s Oden bringen,<lb/>
und las die Frühlingsfeier. Die Kinder kannten<lb/>
&#x017F;ie noch nicht, und waren entzückt. Hertha hörte<lb/>
mir zu mit einer Theilnahme, wie noch nie. Um<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[224/0232] mel ſchwarz umzogen iſt, dann kommt es mir vor als wenn die ganze Natur im bangen Verzagen läge. Aber wenn das Gewitter heraufzieht, und ſich wieder die Luft bewegt und die erſten Regen- tropfen fallen, da fühle ich mich wieder anders. Beim letzten Gewitter, welches wirklich ſehr heftig war, konnte Hertha ſich des lauten Wei- nens nicht enthalten. Jch ſchloß ſie ſtill an mich, und redete unterdeſſen zu den Andern, wie es ſo natürlich ſey, daß der ununterrichtete Menſch ein wenig davon geängſtiget werde, und daß dieſer Kampf der Natur die Menſchen in der erſten Kindheit der Welt fürchterlich erſchreckt haben müſſe. Dieſe leiſe Rechtfertigung ihrer Angſt trö- ſtete ſie ſchon ein wenig. Als es meiſt vorüber war, und die Zeit zwiſchen Blitz und Donner ſich immer verlängerte, und der Donner immer pracht- voller klang, je mehr er von dem Betäubenden verlor, ließ ich mir Klopſtock’s Oden bringen, und las die Frühlingsfeier. Die Kinder kannten ſie noch nicht, und waren entzückt. Hertha hörte mir zu mit einer Theilnahme, wie noch nie. Um

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/232
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/232>, abgerufen am 21.11.2024.