Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.trennlich von ihm, und laß deine sichtbare Ge- genwart es beständig umgeben. Abwesend hat man bei Kindern immer verlornes Spiel. Jetzt sucht Cläre das Flämmchen Kindesliebe zu mir in Seraphine dadurch wach zu erhalten, daß sie ihr oft von mir erzählt. Auf eine zeitlang geht das gut. Lange hält aber diese Art, abwesend zu lie- ben, bei den Kindern nicht Stand. Wären wir mehrere Monate abwesend, so müßt' ich Seraphi- ne erst wieder ganz von neuem gewinnen. Was ist dies nun im Kinde? wollen wir das als Un- fähigkeit zu Liebe und Treue richten? Keineswe- ges. Es ist nur Unvermögen, einen Gegenstand festzuhalten, Unfähigkeit, sich die geliebte Person auch abwesend mit gleicher Lebendigkeit vorzustel- len; dasselbe Bedürfniß zu lieben bleibt in ihm, daher schließt es sich so leicht wieder an andere Personen und Sachen an, wenn ihm die entrückt sind, die es sonst liebte, vorausgesetzt, daß es nicht zu oft losgerissen werde; denn dadurch er- kaltet das Herz, und verliert auch die Fähigkeit zu lieben. Dem Kinde gehört allein die Gegen- wart und das Gegenwärtige. trennlich von ihm, und laß deine ſichtbare Ge- genwart es beſtändig umgeben. Abweſend hat man bei Kindern immer verlornes Spiel. Jetzt ſucht Cläre das Flämmchen Kindesliebe zu mir in Seraphine dadurch wach zu erhalten, daß ſie ihr oft von mir erzählt. Auf eine zeitlang geht das gut. Lange hält aber dieſe Art, abweſend zu lie- ben, bei den Kindern nicht Stand. Wären wir mehrere Monate abweſend, ſo müßt’ ich Seraphi- ne erſt wieder ganz von neuem gewinnen. Was iſt dies nun im Kinde? wollen wir das als Un- fähigkeit zu Liebe und Treue richten? Keineswe- ges. Es iſt nur Unvermögen, einen Gegenſtand feſtzuhalten, Unfähigkeit, ſich die geliebte Perſon auch abweſend mit gleicher Lebendigkeit vorzuſtel- len; daſſelbe Bedürfniß zu lieben bleibt in ihm, daher ſchließt es ſich ſo leicht wieder an andere Perſonen und Sachen an, wenn ihm die entrückt ſind, die es ſonſt liebte, vorausgeſetzt, daß es nicht zu oft losgeriſſen werde; denn dadurch er- kaltet das Herz, und verliert auch die Fähigkeit zu lieben. Dem Kinde gehört allein die Gegen- wart und das Gegenwärtige. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0314" n="306"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> trennlich von ihm, und laß deine ſichtbare Ge-<lb/> genwart es beſtändig umgeben. Abweſend hat<lb/> man bei Kindern immer verlornes Spiel. Jetzt<lb/> ſucht Cläre das Flämmchen Kindesliebe zu mir in<lb/> Seraphine dadurch wach zu erhalten, daß ſie ihr<lb/> oft von mir erzählt. Auf eine zeitlang geht das<lb/> gut. Lange hält aber dieſe Art, abweſend zu lie-<lb/> ben, bei den Kindern nicht Stand. Wären wir<lb/> mehrere Monate abweſend, ſo müßt’ ich Seraphi-<lb/> ne erſt wieder ganz von neuem gewinnen. Was<lb/> iſt dies nun im Kinde? wollen wir das als Un-<lb/> fähigkeit zu Liebe und Treue richten? Keineswe-<lb/> ges. Es iſt nur Unvermögen, einen Gegenſtand<lb/> feſtzuhalten, Unfähigkeit, ſich die geliebte Perſon<lb/> auch abweſend mit gleicher Lebendigkeit vorzuſtel-<lb/> len; daſſelbe Bedürfniß zu lieben bleibt in ihm,<lb/> daher ſchließt es ſich ſo leicht wieder an andere<lb/> Perſonen und Sachen an, wenn ihm die entrückt<lb/> ſind, die es ſonſt liebte, vorausgeſetzt, daß es<lb/> nicht zu oft losgeriſſen werde; denn dadurch er-<lb/> kaltet das Herz, und verliert auch die Fähigkeit<lb/> zu lieben. Dem Kinde gehört allein die Gegen-<lb/> wart und das Gegenwärtige.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [306/0314]
trennlich von ihm, und laß deine ſichtbare Ge-
genwart es beſtändig umgeben. Abweſend hat
man bei Kindern immer verlornes Spiel. Jetzt
ſucht Cläre das Flämmchen Kindesliebe zu mir in
Seraphine dadurch wach zu erhalten, daß ſie ihr
oft von mir erzählt. Auf eine zeitlang geht das
gut. Lange hält aber dieſe Art, abweſend zu lie-
ben, bei den Kindern nicht Stand. Wären wir
mehrere Monate abweſend, ſo müßt’ ich Seraphi-
ne erſt wieder ganz von neuem gewinnen. Was
iſt dies nun im Kinde? wollen wir das als Un-
fähigkeit zu Liebe und Treue richten? Keineswe-
ges. Es iſt nur Unvermögen, einen Gegenſtand
feſtzuhalten, Unfähigkeit, ſich die geliebte Perſon
auch abweſend mit gleicher Lebendigkeit vorzuſtel-
len; daſſelbe Bedürfniß zu lieben bleibt in ihm,
daher ſchließt es ſich ſo leicht wieder an andere
Perſonen und Sachen an, wenn ihm die entrückt
ſind, die es ſonſt liebte, vorausgeſetzt, daß es
nicht zu oft losgeriſſen werde; denn dadurch er-
kaltet das Herz, und verliert auch die Fähigkeit
zu lieben. Dem Kinde gehört allein die Gegen-
wart und das Gegenwärtige.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |