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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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Jda fängt an, wie ich es anfangs gleich ver-
muthet, Platov's anscheinende Kälte gegen sie
schmerzlich zu empfinden. Besonders da er nun
mit Woldemar fast immer beisammen ist, und sie
immer mit uns. Ein stilles heimliches Sehnen
bemächtigt sich ihres ganzen Wesens. Vergeblich
sucht sie es durch äußere Fröhlichkeit zu decken:
Platov allein scheint davon getäuscht, und sieht
sie oft ernst und bedenklich an, wenn er sie mit
den andern Mädchen singen und lachen hört, und
leicht herumgaukeln sieht. Jhren Gespielinnen
entgeht es nicht, daß ein stiller Kummer gleich
einem Wurme an ihrer innern Ruhe nagt. Wie
lange sie sich gegen mich halten wird, soll mich
wundern. Woldemar kann oft wild auffahren
über dieses wechselseitige Quälen. "Wenn er den
Engel wirklich liebt, warum spricht er nicht?
Was soll diese Kälte, worüber Jda trostlos ver-
gehen muß?" so fuhr er gestern gegen mich her-
aus. -- Seit sie von der großen Reise zurück und
wieder mit uns sind, behandelt Platov die Jda
mit der gemessensten Ehrerbietung. -- Wie soll das
noch werden? Platov ist zu stolz, einen solchen Lohn



Jda fängt an, wie ich es anfangs gleich ver-
muthet, Platov’s anſcheinende Kälte gegen ſie
ſchmerzlich zu empfinden. Beſonders da er nun
mit Woldemar faſt immer beiſammen iſt, und ſie
immer mit uns. Ein ſtilles heimliches Sehnen
bemächtigt ſich ihres ganzen Weſens. Vergeblich
ſucht ſie es durch äußere Fröhlichkeit zu decken:
Platov allein ſcheint davon getäuſcht, und ſieht
ſie oft ernſt und bedenklich an, wenn er ſie mit
den andern Mädchen ſingen und lachen hört, und
leicht herumgaukeln ſieht. Jhren Geſpielinnen
entgeht es nicht, daß ein ſtiller Kummer gleich
einem Wurme an ihrer innern Ruhe nagt. Wie
lange ſie ſich gegen mich halten wird, ſoll mich
wundern. Woldemar kann oft wild auffahren
über dieſes wechſelſeitige Quälen. „Wenn er den
Engel wirklich liebt, warum ſpricht er nicht?
Was ſoll dieſe Kälte, worüber Jda troſtlos ver-
gehen muß?‟ ſo fuhr er geſtern gegen mich her-
aus. — Seit ſie von der großen Reiſe zurück und
wieder mit uns ſind, behandelt Platov die Jda
mit der gemeſſenſten Ehrerbietung. — Wie ſoll das
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[307/0315] Jda fängt an, wie ich es anfangs gleich ver- muthet, Platov’s anſcheinende Kälte gegen ſie ſchmerzlich zu empfinden. Beſonders da er nun mit Woldemar faſt immer beiſammen iſt, und ſie immer mit uns. Ein ſtilles heimliches Sehnen bemächtigt ſich ihres ganzen Weſens. Vergeblich ſucht ſie es durch äußere Fröhlichkeit zu decken: Platov allein ſcheint davon getäuſcht, und ſieht ſie oft ernſt und bedenklich an, wenn er ſie mit den andern Mädchen ſingen und lachen hört, und leicht herumgaukeln ſieht. Jhren Geſpielinnen entgeht es nicht, daß ein ſtiller Kummer gleich einem Wurme an ihrer innern Ruhe nagt. Wie lange ſie ſich gegen mich halten wird, ſoll mich wundern. Woldemar kann oft wild auffahren über dieſes wechſelſeitige Quälen. „Wenn er den Engel wirklich liebt, warum ſpricht er nicht? Was ſoll dieſe Kälte, worüber Jda troſtlos ver- gehen muß?‟ ſo fuhr er geſtern gegen mich her- aus. — Seit ſie von der großen Reiſe zurück und wieder mit uns ſind, behandelt Platov die Jda mit der gemeſſenſten Ehrerbietung. — Wie ſoll das noch werden? Platov iſt zu ſtolz, einen ſolchen Lohn

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/315>, abgerufen am 24.11.2024.