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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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vom Zöglinge zu begehren, Woldemar zu groß-
herzig, seine Schwester, wem es auch sey, anzu-
bieten. Platov ist zu edel, Jda anders als mit
der Zustimmung der ganzen Familie zu begehren,
zu edel, sie jemand anders als ihr selbst zu ver-
danken, so wie er durchaus um sein selbst willen
geliebt seyn will, Jda ist viel zu weiblich, als daß
sie irgend einen Schritt entgegen thun könnte.
Und so wird sich das arme Völklein noch wohl
eine zeitlang abquälen, bis irgend ein glücklicher
Zufall ihm zum Ziele hilft, oder bis die Natur,
ihre Rechte behauptend, durch alle diese Bedenk-
lichkeiten hindurch bricht, und in reiner Flamme
auflodert. Ein wenig peinlich sind die Unterhal-
tungen Mittags und Abends bei Tische, besonders
seit Seraphine nicht mehr unter uns ist, die selbst
feindselige Menschen hätte einander vereinen kön-
nen, uns allen ein verknüpfendes Band war, und
sich selbst fast zum beständigen Stoffe des Gesprä-
ches ohne ihr Wissen hergab. Nein, Emma, so
darf es nicht lange bleiben. Wir müssen alle da-
bei zu Grunde gehen, wenn wir in dieser peinli-
chen Stille mit einander zu Hause wären. Ma-



vom Zöglinge zu begehren, Woldemar zu groß-
herzig, ſeine Schweſter, wem es auch ſey, anzu-
bieten. Platov iſt zu edel, Jda anders als mit
der Zuſtimmung der ganzen Familie zu begehren,
zu edel, ſie jemand anders als ihr ſelbſt zu ver-
danken, ſo wie er durchaus um ſein ſelbſt willen
geliebt ſeyn will, Jda iſt viel zu weiblich, als daß
ſie irgend einen Schritt entgegen thun könnte.
Und ſo wird ſich das arme Völklein noch wohl
eine zeitlang abquälen, bis irgend ein glücklicher
Zufall ihm zum Ziele hilft, oder bis die Natur,
ihre Rechte behauptend, durch alle dieſe Bedenk-
lichkeiten hindurch bricht, und in reiner Flamme
auflodert. Ein wenig peinlich ſind die Unterhal-
tungen Mittags und Abends bei Tiſche, beſonders
ſeit Seraphine nicht mehr unter uns iſt, die ſelbſt
feindſelige Menſchen hätte einander vereinen kön-
nen, uns allen ein verknüpfendes Band war, und
ſich ſelbſt faſt zum beſtändigen Stoffe des Geſprä-
ches ohne ihr Wiſſen hergab. Nein, Emma, ſo
darf es nicht lange bleiben. Wir müſſen alle da-
bei zu Grunde gehen, wenn wir in dieſer peinli-
chen Stille mit einander zu Hauſe wären. Ma-

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[308/0316] vom Zöglinge zu begehren, Woldemar zu groß- herzig, ſeine Schweſter, wem es auch ſey, anzu- bieten. Platov iſt zu edel, Jda anders als mit der Zuſtimmung der ganzen Familie zu begehren, zu edel, ſie jemand anders als ihr ſelbſt zu ver- danken, ſo wie er durchaus um ſein ſelbſt willen geliebt ſeyn will, Jda iſt viel zu weiblich, als daß ſie irgend einen Schritt entgegen thun könnte. Und ſo wird ſich das arme Völklein noch wohl eine zeitlang abquälen, bis irgend ein glücklicher Zufall ihm zum Ziele hilft, oder bis die Natur, ihre Rechte behauptend, durch alle dieſe Bedenk- lichkeiten hindurch bricht, und in reiner Flamme auflodert. Ein wenig peinlich ſind die Unterhal- tungen Mittags und Abends bei Tiſche, beſonders ſeit Seraphine nicht mehr unter uns iſt, die ſelbſt feindſelige Menſchen hätte einander vereinen kön- nen, uns allen ein verknüpfendes Band war, und ſich ſelbſt faſt zum beſtändigen Stoffe des Geſprä- ches ohne ihr Wiſſen hergab. Nein, Emma, ſo darf es nicht lange bleiben. Wir müſſen alle da- bei zu Grunde gehen, wenn wir in dieſer peinli- chen Stille mit einander zu Hauſe wären. Ma-

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/316>, abgerufen am 21.11.2024.