Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite



hinten auf des Vaters Stuhl geklettert, wie sie
es Dir zu thun pflegte, und guckte uns von oben
herab ganz komisch an. Betty nahm sie zu sich,
und sie sagte: Bruno Clärchen lieb hat, aber Se-
raphine Clärchen auch lieb hat. Der Vater hob
uns auf, sah zum Himmel und sagte leise: Vater
dort oben, hast Du hier unten noch seligere Kin-
der als wir, so hilf ihnen ihr Glück tragen, da-
mit sie nicht erliegen! Dann wendete er sich zu
Bruno; theurer Sohn! hier haben Sie die eine
Hälfte meines ganzen Reichthums. Nehmen Sie
mein Kind hin; es hat den Vater nie betrübt, sein
Herz ist ein Paradies der Unschuld und Freude.
Sie wird den Gatten nie anders als durch Krank-
heit oder Tod betrüben. So lautete des Vaters
Segen; und daß mein Herz nicht von der Freude
zersprang, kann ich noch heute nicht fassen. Bru-
no stammelte: Wenn ich diesen Engel der Unschuld
je betrübe, so -- -- keinen Fluch mein Sohn,
keinen Fluch gegen Dich selbst; er entehrt Dein
treues Gemüth, das ich seit langem kenne.

Wir machten nun eine Tour in's Freie mit ein-
ander, wo jetzt alles mir anders, ganz anders



hinten auf des Vaters Stuhl geklettert, wie ſie
es Dir zu thun pflegte, und guckte uns von oben
herab ganz komiſch an. Betty nahm ſie zu ſich,
und ſie ſagte: Bruno Clärchen lieb hat, aber Se-
raphine Clärchen auch lieb hat. Der Vater hob
uns auf, ſah zum Himmel und ſagte leiſe: Vater
dort oben, haſt Du hier unten noch ſeligere Kin-
der als wir, ſo hilf ihnen ihr Glück tragen, da-
mit ſie nicht erliegen! Dann wendete er ſich zu
Bruno; theurer Sohn! hier haben Sie die eine
Hälfte meines ganzen Reichthums. Nehmen Sie
mein Kind hin; es hat den Vater nie betrübt, ſein
Herz iſt ein Paradies der Unſchuld und Freude.
Sie wird den Gatten nie anders als durch Krank-
heit oder Tod betrüben. So lautete des Vaters
Segen; und daß mein Herz nicht von der Freude
zerſprang, kann ich noch heute nicht faſſen. Bru-
no ſtammelte: Wenn ich dieſen Engel der Unſchuld
je betrübe, ſo — — keinen Fluch mein Sohn,
keinen Fluch gegen Dich ſelbſt; er entehrt Dein
treues Gemüth, das ich ſeit langem kenne.

Wir machten nun eine Tour in’s Freie mit ein-
ander, wo jetzt alles mir anders, ganz anders

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0327" n="319"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
hinten auf des Vaters Stuhl geklettert, wie &#x017F;ie<lb/>
es Dir zu thun pflegte, und guckte uns von oben<lb/>
herab ganz komi&#x017F;ch an. Betty nahm &#x017F;ie zu &#x017F;ich,<lb/>
und &#x017F;ie &#x017F;agte: Bruno Clärchen lieb hat, aber Se-<lb/>
raphine Clärchen auch lieb hat. Der Vater hob<lb/>
uns auf, &#x017F;ah zum Himmel und &#x017F;agte lei&#x017F;e: Vater<lb/>
dort oben, ha&#x017F;t Du hier unten noch &#x017F;eligere Kin-<lb/>
der als wir, &#x017F;o hilf ihnen ihr Glück tragen, da-<lb/>
mit &#x017F;ie nicht erliegen! Dann wendete er &#x017F;ich zu<lb/>
Bruno; theurer Sohn! hier haben Sie die eine<lb/>
Hälfte meines ganzen Reichthums. Nehmen Sie<lb/>
mein Kind hin; es hat den Vater nie betrübt, &#x017F;ein<lb/>
Herz i&#x017F;t ein Paradies der Un&#x017F;chuld und Freude.<lb/>
Sie wird den Gatten nie anders als durch Krank-<lb/>
heit oder Tod betrüben. So lautete des Vaters<lb/>
Segen; und daß mein Herz nicht von der Freude<lb/>
zer&#x017F;prang, kann ich noch heute nicht fa&#x017F;&#x017F;en. Bru-<lb/>
no &#x017F;tammelte: Wenn ich die&#x017F;en Engel der Un&#x017F;chuld<lb/>
je betrübe, &#x017F;o &#x2014; &#x2014; keinen Fluch mein Sohn,<lb/>
keinen Fluch gegen Dich &#x017F;elb&#x017F;t; er entehrt Dein<lb/>
treues Gemüth, das ich &#x017F;eit langem kenne.</p><lb/>
          <p>Wir machten nun eine Tour in&#x2019;s Freie mit ein-<lb/>
ander, wo jetzt alles mir anders, ganz anders<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[319/0327] hinten auf des Vaters Stuhl geklettert, wie ſie es Dir zu thun pflegte, und guckte uns von oben herab ganz komiſch an. Betty nahm ſie zu ſich, und ſie ſagte: Bruno Clärchen lieb hat, aber Se- raphine Clärchen auch lieb hat. Der Vater hob uns auf, ſah zum Himmel und ſagte leiſe: Vater dort oben, haſt Du hier unten noch ſeligere Kin- der als wir, ſo hilf ihnen ihr Glück tragen, da- mit ſie nicht erliegen! Dann wendete er ſich zu Bruno; theurer Sohn! hier haben Sie die eine Hälfte meines ganzen Reichthums. Nehmen Sie mein Kind hin; es hat den Vater nie betrübt, ſein Herz iſt ein Paradies der Unſchuld und Freude. Sie wird den Gatten nie anders als durch Krank- heit oder Tod betrüben. So lautete des Vaters Segen; und daß mein Herz nicht von der Freude zerſprang, kann ich noch heute nicht faſſen. Bru- no ſtammelte: Wenn ich dieſen Engel der Unſchuld je betrübe, ſo — — keinen Fluch mein Sohn, keinen Fluch gegen Dich ſelbſt; er entehrt Dein treues Gemüth, das ich ſeit langem kenne. Wir machten nun eine Tour in’s Freie mit ein- ander, wo jetzt alles mir anders, ganz anders

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/327
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/327>, abgerufen am 21.11.2024.