Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.hingeben? -- Sie barg ihr Haupt an seiner Brust, und stammelte ein leises Wort. Und jetzt erst wurden sie mich und Woldemar gewahr. Platov that einen scharfen Blick auf Woldemar. Wolde- mar trat näher, faßte beider Hände, und sagte mit starker aber etwas wankender Stimme: im Namen meines Vaters, der immer ein gerechter Mann war, gebe ich Dir das herrlichste Juwel unserer Familie. Niemand als mein Wohlthäter durfte dies Kleinod erhalten, hättest Du es ver- schmäht, Platov, so hättest Du einen Undankba- ren gemacht; ich hätte alle Deine vorige Liebe, Deine Großmuth mit Haß vergolten. Mir dünkt, ich fing schon an, den Mann zu hassen, der einst mein Abgott war, als es schien, daß Jda Dir gleichgültig geworden. Bruder! Bruder! riefen Platov und Jda. Er flog an sie, und beide zogen ihn in die seligste Umarmung, die jemals drei Menschen vereint. Jch stand in sprachlosen Ge- fühlen versunken. Woldemar näherte sich mir. Bist Du so mit Deinem Woldemar zufrieden? Hab ich es recht gemacht? "Wohl hast Du es recht gemacht!" Jda und Woldemar traten zu mir. (42)
hingeben? — Sie barg ihr Haupt an ſeiner Bruſt, und ſtammelte ein leiſes Wort. Und jetzt erſt wurden ſie mich und Woldemar gewahr. Platov that einen ſcharfen Blick auf Woldemar. Wolde- mar trat näher, faßte beider Hände, und ſagte mit ſtarker aber etwas wankender Stimme: im Namen meines Vaters, der immer ein gerechter Mann war, gebe ich Dir das herrlichſte Juwel unſerer Familie. Niemand als mein Wohlthäter durfte dies Kleinod erhalten, hätteſt Du es ver- ſchmäht, Platov, ſo hätteſt Du einen Undankba- ren gemacht; ich hätte alle Deine vorige Liebe, Deine Großmuth mit Haß vergolten. Mir dünkt, ich fing ſchon an, den Mann zu haſſen, der einſt mein Abgott war, als es ſchien, daß Jda Dir gleichgültig geworden. Bruder! Bruder! riefen Platov und Jda. Er flog an ſie, und beide zogen ihn in die ſeligſte Umarmung, die jemals drei Menſchen vereint. Jch ſtand in ſprachloſen Ge- fühlen verſunken. Woldemar näherte ſich mir. Biſt Du ſo mit Deinem Woldemar zufrieden? Hab ich es recht gemacht? „Wohl haſt Du es recht gemacht!‟ Jda und Woldemar traten zu mir. (42)
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0337" n="329"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> hingeben? — Sie barg ihr Haupt an ſeiner Bruſt,<lb/> und ſtammelte ein leiſes Wort. Und jetzt erſt<lb/> wurden ſie mich und Woldemar gewahr. Platov<lb/> that einen ſcharfen Blick auf Woldemar. Wolde-<lb/> mar trat näher, faßte beider Hände, und ſagte<lb/> mit ſtarker aber etwas wankender Stimme: im<lb/> Namen meines Vaters, der immer ein gerechter<lb/> Mann war, gebe ich Dir das herrlichſte Juwel<lb/> unſerer Familie. Niemand als mein Wohlthäter<lb/> durfte dies Kleinod erhalten, hätteſt Du es ver-<lb/> ſchmäht, Platov, ſo hätteſt Du einen Undankba-<lb/> ren gemacht; ich hätte alle Deine vorige Liebe,<lb/> Deine Großmuth mit Haß vergolten. Mir dünkt,<lb/> ich fing ſchon an, den Mann zu haſſen, der einſt<lb/> mein Abgott war, als es ſchien, daß Jda Dir<lb/> gleichgültig geworden. Bruder! Bruder! riefen<lb/> Platov und Jda. Er flog an ſie, und beide zogen<lb/> ihn in die ſeligſte Umarmung, die jemals drei<lb/> Menſchen vereint. Jch ſtand in ſprachloſen Ge-<lb/> fühlen verſunken. Woldemar näherte ſich mir.<lb/> Biſt Du ſo mit Deinem Woldemar zufrieden?<lb/> Hab ich es recht gemacht? „Wohl haſt Du es recht<lb/> gemacht!‟ Jda und Woldemar traten zu mir.<lb/> <fw place="bottom" type="sig">(42)</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [329/0337]
hingeben? — Sie barg ihr Haupt an ſeiner Bruſt,
und ſtammelte ein leiſes Wort. Und jetzt erſt
wurden ſie mich und Woldemar gewahr. Platov
that einen ſcharfen Blick auf Woldemar. Wolde-
mar trat näher, faßte beider Hände, und ſagte
mit ſtarker aber etwas wankender Stimme: im
Namen meines Vaters, der immer ein gerechter
Mann war, gebe ich Dir das herrlichſte Juwel
unſerer Familie. Niemand als mein Wohlthäter
durfte dies Kleinod erhalten, hätteſt Du es ver-
ſchmäht, Platov, ſo hätteſt Du einen Undankba-
ren gemacht; ich hätte alle Deine vorige Liebe,
Deine Großmuth mit Haß vergolten. Mir dünkt,
ich fing ſchon an, den Mann zu haſſen, der einſt
mein Abgott war, als es ſchien, daß Jda Dir
gleichgültig geworden. Bruder! Bruder! riefen
Platov und Jda. Er flog an ſie, und beide zogen
ihn in die ſeligſte Umarmung, die jemals drei
Menſchen vereint. Jch ſtand in ſprachloſen Ge-
fühlen verſunken. Woldemar näherte ſich mir.
Biſt Du ſo mit Deinem Woldemar zufrieden?
Hab ich es recht gemacht? „Wohl haſt Du es recht
gemacht!‟ Jda und Woldemar traten zu mir.
(42)
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/337 |
Zitationshilfe: | Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/337>, abgerufen am 16.02.2025. |