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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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nicht sahen, sehr schön geworden. Es sind Rosen
auf ihren zarten Wangen entblühet, unter den
Lilien, die seit dem Tode der Mutter, und fast
immer allein da blüheten. Bis hieher hatte ich
geschrieben, da kommt Betty, und bringt mir
diese ihre Einlage an Dich und Deinen Gemahl
mit einem Anfange und einer Nachschrift von
Woldemar.

Meine theuren Eltern!

Euer Sohn ist der glücklichste Mensch auf Got-
tes weiter Erde. Sagen und schreiben läßt sich
so etwas nicht. Jch könnte den Himmel ankla-
gen, daß er mir zu so viel Seligkeit das Herz
nicht weit genug erschaffen, es ist, als müßt' es
zerspringen. Könnt' ich zu Euch fliegen, so würde
mein Verstummen Euch alles sagen. Aber Betty,
meine Seele, mein Geist, mein Herz, mein Or-
gan soll für mich reden. Auch wird es Betty kön-
nen, denn sie liebt nicht so heiß, und doch viel-
leicht noch heißer, nicht so tief, und doch -- noch
tiefer -- o ich weiß nicht, was ich sagen will,
nur das weiß ich, Betty liebt schöner, inniger,



nicht ſahen, ſehr ſchön geworden. Es ſind Roſen
auf ihren zarten Wangen entblühet, unter den
Lilien, die ſeit dem Tode der Mutter, und faſt
immer allein da blüheten. Bis hieher hatte ich
geſchrieben, da kommt Betty, und bringt mir
dieſe ihre Einlage an Dich und Deinen Gemahl
mit einem Anfange und einer Nachſchrift von
Woldemar.

Meine theuren Eltern!

Euer Sohn iſt der glücklichſte Menſch auf Got-
tes weiter Erde. Sagen und ſchreiben läßt ſich
ſo etwas nicht. Jch könnte den Himmel ankla-
gen, daß er mir zu ſo viel Seligkeit das Herz
nicht weit genug erſchaffen, es iſt, als müßt’ es
zerſpringen. Könnt’ ich zu Euch fliegen, ſo würde
mein Verſtummen Euch alles ſagen. Aber Betty,
meine Seele, mein Geiſt, mein Herz, mein Or-
gan ſoll für mich reden. Auch wird es Betty kön-
nen, denn ſie liebt nicht ſo heiß, und doch viel-
leicht noch heißer, nicht ſo tief, und doch — noch
tiefer — o ich weiß nicht, was ich ſagen will,
nur das weiß ich, Betty liebt ſchöner, inniger,

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[339/0347] nicht ſahen, ſehr ſchön geworden. Es ſind Roſen auf ihren zarten Wangen entblühet, unter den Lilien, die ſeit dem Tode der Mutter, und faſt immer allein da blüheten. Bis hieher hatte ich geſchrieben, da kommt Betty, und bringt mir dieſe ihre Einlage an Dich und Deinen Gemahl mit einem Anfange und einer Nachſchrift von Woldemar. Meine theuren Eltern! Euer Sohn iſt der glücklichſte Menſch auf Got- tes weiter Erde. Sagen und ſchreiben läßt ſich ſo etwas nicht. Jch könnte den Himmel ankla- gen, daß er mir zu ſo viel Seligkeit das Herz nicht weit genug erſchaffen, es iſt, als müßt’ es zerſpringen. Könnt’ ich zu Euch fliegen, ſo würde mein Verſtummen Euch alles ſagen. Aber Betty, meine Seele, mein Geiſt, mein Herz, mein Or- gan ſoll für mich reden. Auch wird es Betty kön- nen, denn ſie liebt nicht ſo heiß, und doch viel- leicht noch heißer, nicht ſo tief, und doch — noch tiefer — o ich weiß nicht, was ich ſagen will, nur das weiß ich, Betty liebt ſchöner, inniger,

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/347>, abgerufen am 21.11.2024.