nicht sahen, sehr schön geworden. Es sind Rosen auf ihren zarten Wangen entblühet, unter den Lilien, die seit dem Tode der Mutter, und fast immer allein da blüheten. Bis hieher hatte ich geschrieben, da kommt Betty, und bringt mir diese ihre Einlage an Dich und Deinen Gemahl mit einem Anfange und einer Nachschrift von Woldemar.
Meine theuren Eltern!
Euer Sohn ist der glücklichste Mensch auf Got- tes weiter Erde. Sagen und schreiben läßt sich so etwas nicht. Jch könnte den Himmel ankla- gen, daß er mir zu so viel Seligkeit das Herz nicht weit genug erschaffen, es ist, als müßt' es zerspringen. Könnt' ich zu Euch fliegen, so würde mein Verstummen Euch alles sagen. Aber Betty, meine Seele, mein Geist, mein Herz, mein Or- gan soll für mich reden. Auch wird es Betty kön- nen, denn sie liebt nicht so heiß, und doch viel- leicht noch heißer, nicht so tief, und doch -- noch tiefer -- o ich weiß nicht, was ich sagen will, nur das weiß ich, Betty liebt schöner, inniger,
nicht ſahen, ſehr ſchön geworden. Es ſind Roſen auf ihren zarten Wangen entblühet, unter den Lilien, die ſeit dem Tode der Mutter, und faſt immer allein da blüheten. Bis hieher hatte ich geſchrieben, da kommt Betty, und bringt mir dieſe ihre Einlage an Dich und Deinen Gemahl mit einem Anfange und einer Nachſchrift von Woldemar.
Meine theuren Eltern!
Euer Sohn iſt der glücklichſte Menſch auf Got- tes weiter Erde. Sagen und ſchreiben läßt ſich ſo etwas nicht. Jch könnte den Himmel ankla- gen, daß er mir zu ſo viel Seligkeit das Herz nicht weit genug erſchaffen, es iſt, als müßt’ es zerſpringen. Könnt’ ich zu Euch fliegen, ſo würde mein Verſtummen Euch alles ſagen. Aber Betty, meine Seele, mein Geiſt, mein Herz, mein Or- gan ſoll für mich reden. Auch wird es Betty kön- nen, denn ſie liebt nicht ſo heiß, und doch viel- leicht noch heißer, nicht ſo tief, und doch — noch tiefer — o ich weiß nicht, was ich ſagen will, nur das weiß ich, Betty liebt ſchöner, inniger,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0347"n="339"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
nicht ſahen, ſehr ſchön geworden. Es ſind Roſen<lb/>
auf ihren zarten Wangen entblühet, unter den<lb/>
Lilien, die ſeit dem Tode der Mutter, und faſt<lb/>
immer allein da blüheten. Bis hieher hatte ich<lb/>
geſchrieben, da kommt Betty, und bringt mir<lb/>
dieſe ihre Einlage an Dich und Deinen Gemahl<lb/>
mit einem Anfange und einer Nachſchrift von<lb/>
Woldemar.</p><lb/><p><hirendition="#c"><hirendition="#g">Meine theuren Eltern!</hi></hi></p><lb/><p>Euer Sohn iſt der glücklichſte Menſch auf Got-<lb/>
tes weiter Erde. Sagen und ſchreiben läßt ſich<lb/>ſo etwas nicht. Jch könnte den Himmel ankla-<lb/>
gen, daß er mir zu ſo viel Seligkeit das Herz<lb/>
nicht weit genug erſchaffen, es iſt, als müßt’ es<lb/>
zerſpringen. Könnt’ ich zu Euch fliegen, ſo würde<lb/>
mein Verſtummen Euch alles ſagen. Aber Betty,<lb/>
meine Seele, mein Geiſt, mein Herz, mein Or-<lb/>
gan ſoll für mich reden. Auch wird es Betty kön-<lb/>
nen, denn ſie liebt nicht ſo heiß, und doch viel-<lb/>
leicht noch heißer, nicht ſo tief, und doch — noch<lb/>
tiefer — o ich weiß nicht, was ich ſagen will,<lb/>
nur das weiß ich, Betty liebt ſchöner, inniger,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[339/0347]
nicht ſahen, ſehr ſchön geworden. Es ſind Roſen
auf ihren zarten Wangen entblühet, unter den
Lilien, die ſeit dem Tode der Mutter, und faſt
immer allein da blüheten. Bis hieher hatte ich
geſchrieben, da kommt Betty, und bringt mir
dieſe ihre Einlage an Dich und Deinen Gemahl
mit einem Anfange und einer Nachſchrift von
Woldemar.
Meine theuren Eltern!
Euer Sohn iſt der glücklichſte Menſch auf Got-
tes weiter Erde. Sagen und ſchreiben läßt ſich
ſo etwas nicht. Jch könnte den Himmel ankla-
gen, daß er mir zu ſo viel Seligkeit das Herz
nicht weit genug erſchaffen, es iſt, als müßt’ es
zerſpringen. Könnt’ ich zu Euch fliegen, ſo würde
mein Verſtummen Euch alles ſagen. Aber Betty,
meine Seele, mein Geiſt, mein Herz, mein Or-
gan ſoll für mich reden. Auch wird es Betty kön-
nen, denn ſie liebt nicht ſo heiß, und doch viel-
leicht noch heißer, nicht ſo tief, und doch — noch
tiefer — o ich weiß nicht, was ich ſagen will,
nur das weiß ich, Betty liebt ſchöner, inniger,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/347>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.