Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite



führte sie nach der Karte von Europa, und zeigte
ihr England darauf, indem ich sie fragte, wie
willst du denn dahin kommen, wenn du groß bist?
du siehest doch, daß England eine Jnsel ist, zu
der man nicht anders als zu Wasser gelangen
kann. Sie forderte Hut und Handschuh, und
sagte: Laß mich nur mitfahren, ich will sehen,
daß ich mich nicht mehr fürchte. Demungeachtet
zitterte sie, als wir einstiegen, so heftig, daß ich
sie noch einmal fragte: Willst du auch lieber zu
Haus bleiben? Sie blieb aber standhaft bei dem
Verlangen mitgenommen zu werden. Jch nahm
sie auf meinen Schooß, und schloß sie fest in die
Arme, damit sie das Schwanken des Fahrzeugs
nicht so unmittelbar fühle. Sie hielt aus ohne
eine Klage. Seraphine, die mit ihrer Mutter oft
den See befahren, liebt das Wasser, und jubelt
laut vor Lust wenn sie von einer solchen Fahrt hört.
"Sey doch nicht bange, liebe süße Milly, Mut-
ter Dich ja festhält," sagte sie immer tröstend,
als sie Milly in meinen Armen beben sah. Es
that eine sonderbare Wirkung auf Seraphine, den
Starrkopf hier so zahm und gar verzagt zu sehen.



führte ſie nach der Karte von Europa, und zeigte
ihr England darauf, indem ich ſie fragte, wie
willſt du denn dahin kommen, wenn du groß biſt?
du ſieheſt doch, daß England eine Jnſel iſt, zu
der man nicht anders als zu Waſſer gelangen
kann. Sie forderte Hut und Handſchuh, und
ſagte: Laß mich nur mitfahren, ich will ſehen,
daß ich mich nicht mehr fürchte. Demungeachtet
zitterte ſie, als wir einſtiegen, ſo heftig, daß ich
ſie noch einmal fragte: Willſt du auch lieber zu
Haus bleiben? Sie blieb aber ſtandhaft bei dem
Verlangen mitgenommen zu werden. Jch nahm
ſie auf meinen Schooß, und ſchloß ſie feſt in die
Arme, damit ſie das Schwanken des Fahrzeugs
nicht ſo unmittelbar fühle. Sie hielt aus ohne
eine Klage. Seraphine, die mit ihrer Mutter oft
den See befahren, liebt das Waſſer, und jubelt
laut vor Luſt wenn ſie von einer ſolchen Fahrt hört.
„Sey doch nicht bange, liebe ſüße Milly, Mut-
ter Dich ja feſthält,‟ ſagte ſie immer tröſtend,
als ſie Milly in meinen Armen beben ſah. Es
that eine ſonderbare Wirkung auf Seraphine, den
Starrkopf hier ſo zahm und gar verzagt zu ſehen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0381" n="373"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
führte &#x017F;ie nach der Karte von Europa, und zeigte<lb/>
ihr England darauf, indem ich &#x017F;ie fragte, wie<lb/>
will&#x017F;t du denn dahin kommen, wenn du groß bi&#x017F;t?<lb/>
du &#x017F;iehe&#x017F;t doch, daß England eine Jn&#x017F;el i&#x017F;t, zu<lb/>
der man nicht anders als zu Wa&#x017F;&#x017F;er gelangen<lb/>
kann. Sie forderte Hut und Hand&#x017F;chuh, und<lb/>
&#x017F;agte: Laß mich nur mitfahren, ich will &#x017F;ehen,<lb/>
daß ich mich nicht mehr fürchte. Demungeachtet<lb/>
zitterte &#x017F;ie, als wir ein&#x017F;tiegen, &#x017F;o heftig, daß ich<lb/>
&#x017F;ie noch einmal fragte: Will&#x017F;t du auch lieber zu<lb/>
Haus bleiben? Sie blieb aber &#x017F;tandhaft bei dem<lb/>
Verlangen mitgenommen zu werden. Jch nahm<lb/>
&#x017F;ie auf meinen Schooß, und &#x017F;chloß &#x017F;ie fe&#x017F;t in die<lb/>
Arme, damit &#x017F;ie das Schwanken des Fahrzeugs<lb/>
nicht &#x017F;o unmittelbar fühle. Sie hielt aus ohne<lb/>
eine Klage. Seraphine, die mit ihrer Mutter oft<lb/>
den See befahren, liebt das Wa&#x017F;&#x017F;er, und jubelt<lb/>
laut vor Lu&#x017F;t wenn &#x017F;ie von einer &#x017F;olchen Fahrt hört.<lb/>
&#x201E;Sey doch nicht bange, liebe &#x017F;üße Milly, Mut-<lb/>
ter Dich ja fe&#x017F;thält,&#x201F; &#x017F;agte &#x017F;ie immer trö&#x017F;tend,<lb/>
als &#x017F;ie Milly in meinen Armen beben &#x017F;ah. Es<lb/>
that eine &#x017F;onderbare Wirkung auf Seraphine, den<lb/>
Starrkopf hier &#x017F;o zahm und gar verzagt zu &#x017F;ehen.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[373/0381] führte ſie nach der Karte von Europa, und zeigte ihr England darauf, indem ich ſie fragte, wie willſt du denn dahin kommen, wenn du groß biſt? du ſieheſt doch, daß England eine Jnſel iſt, zu der man nicht anders als zu Waſſer gelangen kann. Sie forderte Hut und Handſchuh, und ſagte: Laß mich nur mitfahren, ich will ſehen, daß ich mich nicht mehr fürchte. Demungeachtet zitterte ſie, als wir einſtiegen, ſo heftig, daß ich ſie noch einmal fragte: Willſt du auch lieber zu Haus bleiben? Sie blieb aber ſtandhaft bei dem Verlangen mitgenommen zu werden. Jch nahm ſie auf meinen Schooß, und ſchloß ſie feſt in die Arme, damit ſie das Schwanken des Fahrzeugs nicht ſo unmittelbar fühle. Sie hielt aus ohne eine Klage. Seraphine, die mit ihrer Mutter oft den See befahren, liebt das Waſſer, und jubelt laut vor Luſt wenn ſie von einer ſolchen Fahrt hört. „Sey doch nicht bange, liebe ſüße Milly, Mut- ter Dich ja feſthält,‟ ſagte ſie immer tröſtend, als ſie Milly in meinen Armen beben ſah. Es that eine ſonderbare Wirkung auf Seraphine, den Starrkopf hier ſo zahm und gar verzagt zu ſehen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/381
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/381>, abgerufen am 21.11.2024.