uns auch nicht selten unsers Clärchens Vater, welchen Platov noch nicht kannte, an dem er aber großes Wohlgefallen hat. Cläre kann dann ganz entzückt werden, wenn sie ihren Vater von dem Manne so gefeiert sieht, den sie mit den andern Kindern vergöttert. "Tante, sagte sie gestern, ich möchte närrisch werden vor Freuden, wenn ich den prächtigen Herrn von Platov mei- nen herrlichen Vater so zärtlich umarmen sehe! Es ist mir dann, als ob ich zwei Sonnen am Him- mel auf einander zukommen sähe."
"Könnt' es Dir noch wohl begegnen, daß du dem einen oder dem andern in irgend einer Sache zuwider wärest?"
Unmöglich Tante! Als ich noch ein rohes wil- des Kalb war, da macht' ich dem Vater oft Ver- druß, und ich konnt' es gar nicht einmal fühlen, daß es Unrecht sey, wenn ich ihm in meiner Un- bändigkeit die schönsten Blumen im Garten zer- trat, um nach dem Kirschbaum mit den schönen Glaskirschen schneller hinzukommen, oder wenn
uns auch nicht ſelten unſers Clärchens Vater, welchen Platov noch nicht kannte, an dem er aber großes Wohlgefallen hat. Cläre kann dann ganz entzückt werden, wenn ſie ihren Vater von dem Manne ſo gefeiert ſieht, den ſie mit den andern Kindern vergöttert. „Tante, ſagte ſie geſtern, ich möchte närriſch werden vor Freuden, wenn ich den prächtigen Herrn von Platov mei- nen herrlichen Vater ſo zärtlich umarmen ſehe! Es iſt mir dann, als ob ich zwei Sonnen am Him- mel auf einander zukommen ſähe.‟
„Könnt’ es Dir noch wohl begegnen, daß du dem einen oder dem andern in irgend einer Sache zuwider wäreſt?‟
Unmöglich Tante! Als ich noch ein rohes wil- des Kalb war, da macht’ ich dem Vater oft Ver- druß, und ich konnt’ es gar nicht einmal fühlen, daß es Unrecht ſey, wenn ich ihm in meiner Un- bändigkeit die ſchönſten Blumen im Garten zer- trat, um nach dem Kirſchbaum mit den ſchönen Glaskirſchen ſchneller hinzukommen, oder wenn
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0058"n="50"/>
uns auch nicht ſelten unſers Clärchens Vater,<lb/>
welchen Platov noch nicht kannte, an dem er<lb/>
aber großes Wohlgefallen hat. Cläre kann dann<lb/>
ganz entzückt werden, wenn ſie ihren Vater von<lb/>
dem Manne ſo gefeiert ſieht, den ſie mit den<lb/>
andern Kindern vergöttert. „Tante, ſagte ſie<lb/>
geſtern, ich möchte närriſch werden vor Freuden,<lb/>
wenn ich den prächtigen Herrn von Platov mei-<lb/>
nen herrlichen Vater ſo zärtlich umarmen ſehe!<lb/>
Es iſt mir dann, als ob ich zwei Sonnen am Him-<lb/>
mel auf einander zukommen ſähe.‟</p><lb/><p>„Könnt’ es Dir noch wohl begegnen, daß du<lb/>
dem einen oder dem andern in irgend einer Sache<lb/>
zuwider wäreſt?‟</p><lb/><p>Unmöglich Tante! Als ich noch ein rohes wil-<lb/>
des Kalb war, da macht’ ich dem Vater oft Ver-<lb/>
druß, und ich konnt’ es gar nicht einmal fühlen,<lb/>
daß es Unrecht ſey, wenn ich ihm in meiner Un-<lb/>
bändigkeit die ſchönſten Blumen im Garten zer-<lb/>
trat, um nach dem Kirſchbaum mit den ſchönen<lb/>
Glaskirſchen ſchneller hinzukommen, oder wenn<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[50/0058]
uns auch nicht ſelten unſers Clärchens Vater,
welchen Platov noch nicht kannte, an dem er
aber großes Wohlgefallen hat. Cläre kann dann
ganz entzückt werden, wenn ſie ihren Vater von
dem Manne ſo gefeiert ſieht, den ſie mit den
andern Kindern vergöttert. „Tante, ſagte ſie
geſtern, ich möchte närriſch werden vor Freuden,
wenn ich den prächtigen Herrn von Platov mei-
nen herrlichen Vater ſo zärtlich umarmen ſehe!
Es iſt mir dann, als ob ich zwei Sonnen am Him-
mel auf einander zukommen ſähe.‟
„Könnt’ es Dir noch wohl begegnen, daß du
dem einen oder dem andern in irgend einer Sache
zuwider wäreſt?‟
Unmöglich Tante! Als ich noch ein rohes wil-
des Kalb war, da macht’ ich dem Vater oft Ver-
druß, und ich konnt’ es gar nicht einmal fühlen,
daß es Unrecht ſey, wenn ich ihm in meiner Un-
bändigkeit die ſchönſten Blumen im Garten zer-
trat, um nach dem Kirſchbaum mit den ſchönen
Glaskirſchen ſchneller hinzukommen, oder wenn
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/58>, abgerufen am 27.09.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.