Jch fange noch einen Brief an, um ihn den beiden fertig liegenden, nebst den Briefen von Platov und Woldemar und unsern lieben Mäd- chen, beizupacken. Wenigstens muß ich Dir ja den Empfang Deiner Briefe melden, und Deinem D. über seine Lenksamkeit meine Freude bezei- gen: so komisch er sich auch dabei gebehrden mag. Kommt es doch auf die Art nicht an, wie er sich der "Erzpädagogin" unterwirft: sie ist zufrieden, wenn er nur gehorcht. Laß ihn auch das lesen. Doch er hat ja sogar versprochen, alle meine Briefe an Dich Abends bei seinem Karavanenthee und der türkischen Pfeife mit Dir zu lesen. Laß ihn nur, das kann gar nicht schaden. Wenn wir uns dann einmal wiedersehn, werde ich ihn scharf examiniren, was er daraus behalten hat. O wann sehen wir uns einmal wieder! Wann? --
Willst Du auch wissen, wo ich diesen Brief schreibe? Auf einem großen Erntefelde, neben einem Haufen gebundener Garben. Da habe ich
Sechs und vierzigſter Brief.
Jch fange noch einen Brief an, um ihn den beiden fertig liegenden, nebſt den Briefen von Platov und Woldemar und unſern lieben Mäd- chen, beizupacken. Wenigſtens muß ich Dir ja den Empfang Deiner Briefe melden, und Deinem D. über ſeine Lenkſamkeit meine Freude bezei- gen: ſo komiſch er ſich auch dabei gebehrden mag. Kommt es doch auf die Art nicht an, wie er ſich der „Erzpädagogin‟ unterwirft: ſie iſt zufrieden, wenn er nur gehorcht. Laß ihn auch das leſen. Doch er hat ja ſogar verſprochen, alle meine Briefe an Dich Abends bei ſeinem Karavanenthee und der türkiſchen Pfeife mit Dir zu leſen. Laß ihn nur, das kann gar nicht ſchaden. Wenn wir uns dann einmal wiederſehn, werde ich ihn ſcharf examiniren, was er daraus behalten hat. O wann ſehen wir uns einmal wieder! Wann? —
Willſt Du auch wiſſen, wo ich dieſen Brief ſchreibe? Auf einem großen Erntefelde, neben einem Haufen gebundener Garben. Da habe ich
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Sechs und vierzigſter Brief.
Jch fange noch einen Brief an, um ihn den
beiden fertig liegenden, nebſt den Briefen von
Platov und Woldemar und unſern lieben Mäd-
chen, beizupacken. Wenigſtens muß ich Dir ja
den Empfang Deiner Briefe melden, und Deinem
D. über ſeine Lenkſamkeit meine Freude bezei-
gen: ſo komiſch er ſich auch dabei gebehrden mag.
Kommt es doch auf die Art nicht an, wie er ſich
der „Erzpädagogin‟ unterwirft: ſie iſt zufrieden,
wenn er nur gehorcht. Laß ihn auch das leſen.
Doch er hat ja ſogar verſprochen, alle meine Briefe
an Dich Abends bei ſeinem Karavanenthee und
der türkiſchen Pfeife mit Dir zu leſen. Laß ihn
nur, das kann gar nicht ſchaden. Wenn wir uns
dann einmal wiederſehn, werde ich ihn ſcharf
examiniren, was er daraus behalten hat. O wann
ſehen wir uns einmal wieder! Wann? —
Willſt Du auch wiſſen, wo ich dieſen Brief
ſchreibe? Auf einem großen Erntefelde, neben
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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/88>, abgerufen am 23.11.2024.
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