Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836.Der Fürst gewahrte nicht die Rose duftumschwommen, Und hört' es kaum, wie ihn der Vater hieß willkommen. Der Tochter winkte der, die sich mit Anstand schürzte, Dem Gast ein Mahl auftrug, und es mit Anmuth würzte. Das Mahl blieb unberührt, der Gast stumm und verdrossen, Die Würze merkt' er nicht, sonst hätt' er es genossen. Er dacht' im stillen Kreis an seinen lauten Troß, Und aus der nackten Hütt' in sein vergoldet Schloß. Da trat am Abend ein des Bauern Knecht, der Hirte, Und um der Herde Stand ward er befragt vom Wirthe. Er sprach: die Herde war noch nie in schlimmerm Stande, Die Nahrung scheint ihr nicht mehr anzustehn im Lande. Die Euter alle sind versiegt, es hilft kein Füttern, Den eignen Lämmern wird kein Trunk von ihren Müttern. Der alte Landmann wiegt sein Haupt erstaunt: Versiegt Die Euter auf einmal! Wer sagt, woran das liegt? Da hebt die Tochter an: Es liegt allein daran, Daß nicht des Fürsten Herz dem Land ist zugethan. Der Fuͤrſt gewahrte nicht die Roſe duftumſchwommen, Und hoͤrt' es kaum, wie ihn der Vater hieß willkommen. Der Tochter winkte der, die ſich mit Anſtand ſchuͤrzte, Dem Gaſt ein Mahl auftrug, und es mit Anmuth wuͤrzte. Das Mahl blieb unberuͤhrt, der Gaſt ſtumm und verdroſſen, Die Wuͤrze merkt' er nicht, ſonſt haͤtt' er es genoſſen. Er dacht' im ſtillen Kreis an ſeinen lauten Troß, Und aus der nackten Huͤtt' in ſein vergoldet Schloß. Da trat am Abend ein des Bauern Knecht, der Hirte, Und um der Herde Stand ward er befragt vom Wirthe. Er ſprach: die Herde war noch nie in ſchlimmerm Stande, Die Nahrung ſcheint ihr nicht mehr anzuſtehn im Lande. Die Euter alle ſind verſiegt, es hilft kein Fuͤttern, Den eignen Laͤmmern wird kein Trunk von ihren Muͤttern. Der alte Landmann wiegt ſein Haupt erſtaunt: Verſiegt Die Euter auf einmal! Wer ſagt, woran das liegt? Da hebt die Tochter an: Es liegt allein daran, Daß nicht des Fuͤrſten Herz dem Land iſt zugethan. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0102" n="92"/> <lg n="8"> <l>Der Fuͤrſt gewahrte nicht die Roſe duftumſchwommen,</l><lb/> <l>Und hoͤrt' es kaum, wie ihn der Vater hieß willkommen.</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l>Der Tochter winkte der, die ſich mit Anſtand ſchuͤrzte,</l><lb/> <l>Dem Gaſt ein Mahl auftrug, und es mit Anmuth wuͤrzte.</l> </lg><lb/> <lg n="10"> <l>Das Mahl blieb unberuͤhrt, der Gaſt ſtumm und verdroſſen,</l><lb/> <l>Die Wuͤrze merkt' er nicht, ſonſt haͤtt' er es genoſſen.</l> </lg><lb/> <lg n="11"> <l>Er dacht' im ſtillen Kreis an ſeinen lauten Troß,</l><lb/> <l>Und aus der nackten Huͤtt' in ſein vergoldet Schloß.</l> </lg><lb/> <lg n="12"> <l>Da trat am Abend ein des Bauern Knecht, der Hirte,</l><lb/> <l>Und um der Herde Stand ward er befragt vom Wirthe.</l> </lg><lb/> <lg n="13"> <l>Er ſprach: die Herde war noch nie in ſchlimmerm Stande,</l><lb/> <l>Die Nahrung ſcheint ihr nicht mehr anzuſtehn im Lande.</l> </lg><lb/> <lg n="14"> <l>Die Euter alle ſind verſiegt, es hilft kein Fuͤttern,</l><lb/> <l>Den eignen Laͤmmern wird kein Trunk von ihren Muͤttern.</l> </lg><lb/> <lg n="15"> <l>Der alte Landmann wiegt ſein Haupt erſtaunt: Verſiegt</l><lb/> <l>Die Euter auf einmal! Wer ſagt, woran das liegt?</l> </lg><lb/> <lg n="16"> <l>Da hebt die Tochter an: Es liegt allein daran,</l><lb/> <l>Daß nicht des Fuͤrſten Herz dem Land iſt zugethan.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [92/0102]
Der Fuͤrſt gewahrte nicht die Roſe duftumſchwommen,
Und hoͤrt' es kaum, wie ihn der Vater hieß willkommen.
Der Tochter winkte der, die ſich mit Anſtand ſchuͤrzte,
Dem Gaſt ein Mahl auftrug, und es mit Anmuth wuͤrzte.
Das Mahl blieb unberuͤhrt, der Gaſt ſtumm und verdroſſen,
Die Wuͤrze merkt' er nicht, ſonſt haͤtt' er es genoſſen.
Er dacht' im ſtillen Kreis an ſeinen lauten Troß,
Und aus der nackten Huͤtt' in ſein vergoldet Schloß.
Da trat am Abend ein des Bauern Knecht, der Hirte,
Und um der Herde Stand ward er befragt vom Wirthe.
Er ſprach: die Herde war noch nie in ſchlimmerm Stande,
Die Nahrung ſcheint ihr nicht mehr anzuſtehn im Lande.
Die Euter alle ſind verſiegt, es hilft kein Fuͤttern,
Den eignen Laͤmmern wird kein Trunk von ihren Muͤttern.
Der alte Landmann wiegt ſein Haupt erſtaunt: Verſiegt
Die Euter auf einmal! Wer ſagt, woran das liegt?
Da hebt die Tochter an: Es liegt allein daran,
Daß nicht des Fuͤrſten Herz dem Land iſt zugethan.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |