Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 2. Leipzig, 1837.10. "Dir scheinet heute dis, und jenes scheint dir morgen; Das Wahre, wie es scheint, bleibt immer dir verborgen." O nein, bald seh' ich den, bald seh' ich jenen Glanz; Das vielgetheilte Licht wird nur im Wechsel ganz. 11. Von so viel Lehrern scheint mir jeder Recht zu haben; Als Manne geht es mir, wie es mir gieng als Knaben. Dort war ich Schal' und Kern zu sondern nicht im Stande, Nun unterscheid' ich gern die Wahrheit vom Gewande. 12. Gar mancher hätte Recht, wenn man ihn recht verstände; Und man verständ' ihn, wenn das rechte Wort er fände. Wir aber wollen, statt beim Wort ihn streng zu fassen, Nachsehn, was Gutes sich dabei mag denken lassen. 10. „Dir ſcheinet heute dis, und jenes ſcheint dir morgen; Das Wahre, wie es ſcheint, bleibt immer dir verborgen.“ O nein, bald ſeh' ich den, bald ſeh' ich jenen Glanz; Das vielgetheilte Licht wird nur im Wechſel ganz. 11. Von ſo viel Lehrern ſcheint mir jeder Recht zu haben; Als Manne geht es mir, wie es mir gieng als Knaben. Dort war ich Schal' und Kern zu ſondern nicht im Stande, Nun unterſcheid' ich gern die Wahrheit vom Gewande. 12. Gar mancher haͤtte Recht, wenn man ihn recht verſtaͤnde; Und man verſtaͤnd' ihn, wenn das rechte Wort er faͤnde. Wir aber wollen, ſtatt beim Wort ihn ſtreng zu faſſen, Nachſehn, was Gutes ſich dabei mag denken laſſen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0018" n="8"/> <div n="2"> <head>10.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>„Dir ſcheinet heute dis, und jenes ſcheint dir morgen;</l><lb/> <l>Das Wahre, wie es ſcheint, bleibt immer dir verborgen.“</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>O nein, bald ſeh' ich den, bald ſeh' ich jenen Glanz;</l><lb/> <l>Das vielgetheilte Licht wird nur im Wechſel ganz.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head>11.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Von ſo viel Lehrern ſcheint mir jeder Recht zu haben;</l><lb/> <l>Als Manne geht es mir, wie es mir gieng als Knaben.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Dort war ich Schal' und Kern zu ſondern nicht im Stande,</l><lb/> <l>Nun unterſcheid' ich gern die Wahrheit vom Gewande.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head>12.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Gar mancher haͤtte Recht, wenn man ihn recht verſtaͤnde;</l><lb/> <l>Und man verſtaͤnd' ihn, wenn das rechte Wort er faͤnde.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Wir aber wollen, ſtatt beim Wort ihn ſtreng zu faſſen,</l><lb/> <l>Nachſehn, was Gutes ſich dabei mag denken laſſen.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [8/0018]
10.
„Dir ſcheinet heute dis, und jenes ſcheint dir morgen;
Das Wahre, wie es ſcheint, bleibt immer dir verborgen.“
O nein, bald ſeh' ich den, bald ſeh' ich jenen Glanz;
Das vielgetheilte Licht wird nur im Wechſel ganz.
11.
Von ſo viel Lehrern ſcheint mir jeder Recht zu haben;
Als Manne geht es mir, wie es mir gieng als Knaben.
Dort war ich Schal' und Kern zu ſondern nicht im Stande,
Nun unterſcheid' ich gern die Wahrheit vom Gewande.
12.
Gar mancher haͤtte Recht, wenn man ihn recht verſtaͤnde;
Und man verſtaͤnd' ihn, wenn das rechte Wort er faͤnde.
Wir aber wollen, ſtatt beim Wort ihn ſtreng zu faſſen,
Nachſehn, was Gutes ſich dabei mag denken laſſen.
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Zitationshilfe: | Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 2. Leipzig, 1837, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane02_1837/18>, abgerufen am 16.02.2025. |