Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 3. Leipzig, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite
Du siehst ein weites Leer, und weißt es nicht zu füllen,
Und willst mit holem Schein der Luft es überhüllen.
Vertreibe denn die Zeit, bis dich die Zeit vertreibt;
Zerstreue dich, bis nichts an dir zu sammeln bleibt;
Bis wieder sammelt einst des Lebens Herr und Meister
Deine in alle Welt zerstreuten Lebensgeister.
Er wird nicht schwerer auch sie bringen zum Vereine
Als unsere zu Staub zerstreuten Todtenbeine.

131.
Selbliebe liebte gern sich selber ungestört,
Und ist von allem, was darin sie stört, empört.
Sie möchte seyn, um nur recht lieben sich zu können,
Recht liebenswürdig, und sich jeden Vorzug gönnen.
Entdecken muß sie da mit Schrecken manchen Flecken;
Was bleibt ihr denn, als ihn verdecken und verstecken?
Verstecken vor der Welt, daß schön der Welt sie scheine;
Verdecken vor sich selbst, daß sie es selber meine.
Du ſiehſt ein weites Leer, und weißt es nicht zu fuͤllen,
Und willſt mit holem Schein der Luft es uͤberhuͤllen.
Vertreibe denn die Zeit, bis dich die Zeit vertreibt;
Zerſtreue dich, bis nichts an dir zu ſammeln bleibt;
Bis wieder ſammelt einſt des Lebens Herr und Meiſter
Deine in alle Welt zerſtreuten Lebensgeiſter.
Er wird nicht ſchwerer auch ſie bringen zum Vereine
Als unſere zu Staub zerſtreuten Todtenbeine.

131.
Selbliebe liebte gern ſich ſelber ungeſtoͤrt,
Und iſt von allem, was darin ſie ſtoͤrt, empoͤrt.
Sie moͤchte ſeyn, um nur recht lieben ſich zu koͤnnen,
Recht liebenswuͤrdig, und ſich jeden Vorzug goͤnnen.
Entdecken muß ſie da mit Schrecken manchen Flecken;
Was bleibt ihr denn, als ihn verdecken und verſtecken?
Verſtecken vor der Welt, daß ſchoͤn der Welt ſie ſcheine;
Verdecken vor ſich ſelbſt, daß ſie es ſelber meine.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0233" n="223"/>
            <lg n="5">
              <l>Du &#x017F;ieh&#x017F;t ein weites Leer, und weißt es nicht zu fu&#x0364;llen,</l><lb/>
              <l>Und will&#x017F;t mit holem Schein der Luft es u&#x0364;berhu&#x0364;llen.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Vertreibe denn die Zeit, bis dich die Zeit vertreibt;</l><lb/>
              <l>Zer&#x017F;treue dich, bis nichts an dir zu &#x017F;ammeln bleibt;</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="7">
              <l>Bis wieder &#x017F;ammelt ein&#x017F;t des Lebens Herr und Mei&#x017F;ter</l><lb/>
              <l>Deine in alle Welt zer&#x017F;treuten Lebensgei&#x017F;ter.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="8">
              <l>Er wird nicht &#x017F;chwerer auch &#x017F;ie bringen zum Vereine</l><lb/>
              <l>Als un&#x017F;ere zu Staub zer&#x017F;treuten Todtenbeine.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>131.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Selbliebe liebte gern &#x017F;ich &#x017F;elber unge&#x017F;to&#x0364;rt,</l><lb/>
              <l>Und i&#x017F;t von allem, was darin &#x017F;ie &#x017F;to&#x0364;rt, empo&#x0364;rt.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Sie mo&#x0364;chte &#x017F;eyn, um nur recht lieben &#x017F;ich zu ko&#x0364;nnen,</l><lb/>
              <l>Recht liebenswu&#x0364;rdig, und &#x017F;ich jeden Vorzug go&#x0364;nnen.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Entdecken muß &#x017F;ie da mit Schrecken manchen Flecken;</l><lb/>
              <l>Was bleibt ihr denn, als ihn verdecken und ver&#x017F;tecken?</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Ver&#x017F;tecken vor der Welt, daß &#x017F;cho&#x0364;n der Welt &#x017F;ie &#x017F;cheine;</l><lb/>
              <l>Verdecken vor &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, daß &#x017F;ie es &#x017F;elber meine.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0233] Du ſiehſt ein weites Leer, und weißt es nicht zu fuͤllen, Und willſt mit holem Schein der Luft es uͤberhuͤllen. Vertreibe denn die Zeit, bis dich die Zeit vertreibt; Zerſtreue dich, bis nichts an dir zu ſammeln bleibt; Bis wieder ſammelt einſt des Lebens Herr und Meiſter Deine in alle Welt zerſtreuten Lebensgeiſter. Er wird nicht ſchwerer auch ſie bringen zum Vereine Als unſere zu Staub zerſtreuten Todtenbeine. 131. Selbliebe liebte gern ſich ſelber ungeſtoͤrt, Und iſt von allem, was darin ſie ſtoͤrt, empoͤrt. Sie moͤchte ſeyn, um nur recht lieben ſich zu koͤnnen, Recht liebenswuͤrdig, und ſich jeden Vorzug goͤnnen. Entdecken muß ſie da mit Schrecken manchen Flecken; Was bleibt ihr denn, als ihn verdecken und verſtecken? Verſtecken vor der Welt, daß ſchoͤn der Welt ſie ſcheine; Verdecken vor ſich ſelbſt, daß ſie es ſelber meine.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane03_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane03_1837/233
Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 3. Leipzig, 1837, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane03_1837/233>, abgerufen am 24.11.2024.