Ist dir bekannt, warum in der Gefangenschaft Der Elefant verliert die Stammfortpflanzungskraft?
Weil er, der lustentbrannt im freien Wald gegangen, Von zahmer Weibchen List bethört ward und gefangen;
Die schmeichelnd lockten ihn und in die Mitte nahmen, Bis sie ins Fangbereich der Menschen mit ihm kamen.
Aus Scham nun, daß er sich von ihnen ließ verführen, Lass' er, so sagt man, nie mehr sich von ihnen rühren.
Doch andre sagen, nicht daß er den Weibchen grolle, Nur daß er kein Geschlecht von Knechten zeugen wolle.
Noch andre, daß er sei zu schamhaft, weil ihm fehlen Die dunklen Wälder, um sein Minnespiel zu hehlen.
Und wieder andre, weil mit seinem Kriegerstande Es unverträglich sei, zu knüpfen zarte Bande.
Darum auch dieses Heer, das stehnde, bald ausstürbe, Wenn nicht List und Gewalt stets neue Mannschaft würbe.
64.
Iſt dir bekannt, warum in der Gefangenſchaft Der Elefant verliert die Stammfortpflanzungskraft?
Weil er, der luſtentbrannt im freien Wald gegangen, Von zahmer Weibchen Liſt bethoͤrt ward und gefangen;
Die ſchmeichelnd lockten ihn und in die Mitte nahmen, Bis ſie ins Fangbereich der Menſchen mit ihm kamen.
Aus Scham nun, daß er ſich von ihnen ließ verfuͤhren, Laſſ' er, ſo ſagt man, nie mehr ſich von ihnen ruͤhren.
Doch andre ſagen, nicht daß er den Weibchen grolle, Nur daß er kein Geſchlecht von Knechten zeugen wolle.
Noch andre, daß er ſei zu ſchamhaft, weil ihm fehlen Die dunklen Waͤlder, um ſein Minneſpiel zu hehlen.
Und wieder andre, weil mit ſeinem Kriegerſtande Es unvertraͤglich ſei, zu knuͤpfen zarte Bande.
Darum auch dieſes Heer, das ſtehnde, bald ausſtuͤrbe, Wenn nicht Liſt und Gewalt ſtets neue Mannſchaft wuͤrbe.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0064"n="54"/><divn="2"><head>64.</head><lb/><lgtype="poem"><lgn="1"><l>Iſt dir bekannt, warum in der Gefangenſchaft</l><lb/><l>Der Elefant verliert die Stammfortpflanzungskraft?</l></lg><lb/><lgn="2"><l>Weil er, der luſtentbrannt im freien Wald gegangen,</l><lb/><l>Von zahmer Weibchen Liſt bethoͤrt ward und gefangen;</l></lg><lb/><lgn="3"><l>Die ſchmeichelnd lockten ihn und in die Mitte nahmen,</l><lb/><l>Bis ſie ins Fangbereich der Menſchen mit ihm kamen.</l></lg><lb/><lgn="4"><l>Aus Scham nun, daß er ſich von ihnen ließ verfuͤhren,</l><lb/><l>Laſſ' er, ſo ſagt man, nie mehr ſich von ihnen ruͤhren.</l></lg><lb/><lgn="5"><l>Doch andre ſagen, nicht daß er den Weibchen grolle,</l><lb/><l>Nur daß er kein Geſchlecht von Knechten zeugen wolle.</l></lg><lb/><lgn="6"><l>Noch andre, daß er ſei zu ſchamhaft, weil ihm fehlen</l><lb/><l>Die dunklen Waͤlder, um ſein Minneſpiel zu hehlen.</l></lg><lb/><lgn="7"><l>Und wieder andre, weil mit ſeinem Kriegerſtande</l><lb/><l>Es unvertraͤglich ſei, zu knuͤpfen zarte Bande.</l></lg><lb/><lgn="8"><l>Darum auch dieſes Heer, das ſtehnde, bald ausſtuͤrbe,</l><lb/><l>Wenn nicht Liſt und Gewalt ſtets neue Mannſchaft wuͤrbe.</l></lg><lb/></lg></div><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></body></text></TEI>
[54/0064]
64.
Iſt dir bekannt, warum in der Gefangenſchaft
Der Elefant verliert die Stammfortpflanzungskraft?
Weil er, der luſtentbrannt im freien Wald gegangen,
Von zahmer Weibchen Liſt bethoͤrt ward und gefangen;
Die ſchmeichelnd lockten ihn und in die Mitte nahmen,
Bis ſie ins Fangbereich der Menſchen mit ihm kamen.
Aus Scham nun, daß er ſich von ihnen ließ verfuͤhren,
Laſſ' er, ſo ſagt man, nie mehr ſich von ihnen ruͤhren.
Doch andre ſagen, nicht daß er den Weibchen grolle,
Nur daß er kein Geſchlecht von Knechten zeugen wolle.
Noch andre, daß er ſei zu ſchamhaft, weil ihm fehlen
Die dunklen Waͤlder, um ſein Minneſpiel zu hehlen.
Und wieder andre, weil mit ſeinem Kriegerſtande
Es unvertraͤglich ſei, zu knuͤpfen zarte Bande.
Darum auch dieſes Heer, das ſtehnde, bald ausſtuͤrbe,
Wenn nicht Liſt und Gewalt ſtets neue Mannſchaft wuͤrbe.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 3. Leipzig, 1837, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane03_1837/64>, abgerufen am 19.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.