Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4. Leipzig, 1838.60. Wenn jene haben Recht, die in des Lebens Mitte Das Böse sehn, den Feind lauernd auf Tritt und Schritte; Die Seele, Sträfling-gleich, geschmiedet an den Karren, Und allzeit fertig zum Verbrecher oder Narren; Im unglückseligen verhältnislosen Streite Das lichte Pünktchen mit der breiten Schattenseite: Wenn das die Weisen sind, so sind wir blöde Knaben, Die wir am heitern Schein von außen Lust noch haben; Daß wir nach Blumen gehn, von Krötengift bespritzt, Und nach den Früchten sehn, vom innern Wurm beschmitzt. Doch wenn wir haben Recht, wie Recht wir haben müßen, Am Schönen uns zu freun, zu laben uns am Süßen; So droht es unserem Genusse doch Verstörung, Zu sehn stets jener dort unselige Bethörung. Alswie ein Wachender ganz aus dem Sinn nicht schlagen Die dummen Fratzen kann, die ihn im Traume plagen. 60. Wenn jene haben Recht, die in des Lebens Mitte Das Boͤſe ſehn, den Feind lauernd auf Tritt und Schritte; Die Seele, Straͤfling-gleich, geſchmiedet an den Karren, Und allzeit fertig zum Verbrecher oder Narren; Im ungluͤckſeligen verhaͤltnisloſen Streite Das lichte Puͤnktchen mit der breiten Schattenſeite: Wenn das die Weiſen ſind, ſo ſind wir bloͤde Knaben, Die wir am heitern Schein von außen Luſt noch haben; Daß wir nach Blumen gehn, von Kroͤtengift beſpritzt, Und nach den Fruͤchten ſehn, vom innern Wurm beſchmitzt. Doch wenn wir haben Recht, wie Recht wir haben muͤßen, Am Schoͤnen uns zu freun, zu laben uns am Suͤßen; So droht es unſerem Genuſſe doch Verſtoͤrung, Zu ſehn ſtets jener dort unſelige Bethoͤrung. Alswie ein Wachender ganz aus dem Sinn nicht ſchlagen Die dummen Fratzen kann, die ihn im Traume plagen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0172" n="162"/> <div n="2"> <head>60.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Wenn jene haben Recht, die in des Lebens Mitte</l><lb/> <l>Das Boͤſe ſehn, den Feind lauernd auf Tritt und Schritte;</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Die Seele, Straͤfling-gleich, geſchmiedet an den Karren,</l><lb/> <l>Und allzeit fertig zum Verbrecher oder Narren;</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Im ungluͤckſeligen verhaͤltnisloſen Streite</l><lb/> <l>Das lichte Puͤnktchen mit der breiten Schattenſeite:</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Wenn das die Weiſen ſind, ſo ſind wir bloͤde Knaben,</l><lb/> <l>Die wir am heitern Schein von außen Luſt noch haben;</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Daß wir nach Blumen gehn, von Kroͤtengift beſpritzt,</l><lb/> <l>Und nach den Fruͤchten ſehn, vom innern Wurm beſchmitzt.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Doch wenn wir haben Recht, wie Recht wir haben muͤßen,</l><lb/> <l>Am Schoͤnen uns zu freun, zu laben uns am Suͤßen;</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>So droht es unſerem Genuſſe doch Verſtoͤrung,</l><lb/> <l>Zu ſehn ſtets jener dort unſelige Bethoͤrung.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Alswie ein Wachender ganz aus dem Sinn nicht ſchlagen</l><lb/> <l>Die dummen Fratzen kann, die ihn im Traume plagen.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [162/0172]
60.
Wenn jene haben Recht, die in des Lebens Mitte
Das Boͤſe ſehn, den Feind lauernd auf Tritt und Schritte;
Die Seele, Straͤfling-gleich, geſchmiedet an den Karren,
Und allzeit fertig zum Verbrecher oder Narren;
Im ungluͤckſeligen verhaͤltnisloſen Streite
Das lichte Puͤnktchen mit der breiten Schattenſeite:
Wenn das die Weiſen ſind, ſo ſind wir bloͤde Knaben,
Die wir am heitern Schein von außen Luſt noch haben;
Daß wir nach Blumen gehn, von Kroͤtengift beſpritzt,
Und nach den Fruͤchten ſehn, vom innern Wurm beſchmitzt.
Doch wenn wir haben Recht, wie Recht wir haben muͤßen,
Am Schoͤnen uns zu freun, zu laben uns am Suͤßen;
So droht es unſerem Genuſſe doch Verſtoͤrung,
Zu ſehn ſtets jener dort unſelige Bethoͤrung.
Alswie ein Wachender ganz aus dem Sinn nicht ſchlagen
Die dummen Fratzen kann, die ihn im Traume plagen.
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