Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4. Leipzig, 1838.192. Die Pflanze hat das Jahr zum Leben das sie lebt, Wo sie der Frühling weckt, der Winter sie begräbt. Ihr Sproßen und ihr Blühn, Vergehn und Neuentstammen Fällt mit des Jahres Kreis unwandelbar zusammen. Jung ist sie, wenn die Welt ist jung, und alt, wenn alt, Des Großen kleines Bild in wandelnder Gestalt. Des Menschen Leben ist nicht solch ein Kreis geschlossen, Mit dem Naturumlauf zusammen so geflossen. Es lenzet, sommert zwar, es herbstet, wintert auch, Nicht aber mit dem Jahr, nicht mit der Lüfte Hauch. Es setzt sich davon unabhängig seine Grenzen, Vermag, ob wintern mag die Schöpfung, noch zu lenzen. Und legt es einmal sich zum Winterschlummer nieder, So weckt kein Frühlingshauch auf dieser Welt es wieder. 192. Die Pflanze hat das Jahr zum Leben das ſie lebt, Wo ſie der Fruͤhling weckt, der Winter ſie begraͤbt. Ihr Sproßen und ihr Bluͤhn, Vergehn und Neuentſtammen Faͤllt mit des Jahres Kreis unwandelbar zuſammen. Jung iſt ſie, wenn die Welt iſt jung, und alt, wenn alt, Des Großen kleines Bild in wandelnder Geſtalt. Des Menſchen Leben iſt nicht ſolch ein Kreis geſchloſſen, Mit dem Naturumlauf zuſammen ſo gefloſſen. Es lenzet, ſommert zwar, es herbſtet, wintert auch, Nicht aber mit dem Jahr, nicht mit der Luͤfte Hauch. Es ſetzt ſich davon unabhaͤngig ſeine Grenzen, Vermag, ob wintern mag die Schoͤpfung, noch zu lenzen. Und legt es einmal ſich zum Winterſchlummer nieder, So weckt kein Fruͤhlingshauch auf dieſer Welt es wieder. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0271" n="261"/> <div n="2"> <head>192.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Die Pflanze hat das Jahr zum Leben das ſie lebt,</l><lb/> <l>Wo ſie der Fruͤhling weckt, der Winter ſie begraͤbt.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Ihr Sproßen und ihr Bluͤhn, Vergehn und Neuentſtammen</l><lb/> <l>Faͤllt mit des Jahres Kreis unwandelbar zuſammen.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Jung iſt ſie, wenn die Welt iſt jung, und alt, wenn alt,</l><lb/> <l>Des Großen kleines Bild in wandelnder Geſtalt.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Des Menſchen Leben iſt nicht ſolch ein Kreis geſchloſſen,</l><lb/> <l>Mit dem Naturumlauf zuſammen ſo gefloſſen.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Es lenzet, ſommert zwar, es herbſtet, wintert auch,</l><lb/> <l>Nicht aber mit dem Jahr, nicht mit der Luͤfte Hauch.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Es ſetzt ſich davon unabhaͤngig ſeine Grenzen,</l><lb/> <l>Vermag, ob wintern mag die Schoͤpfung, noch zu lenzen.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Und legt es einmal ſich zum Winterſchlummer nieder,</l><lb/> <l>So weckt kein Fruͤhlingshauch auf dieſer Welt es wieder.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [261/0271]
192.
Die Pflanze hat das Jahr zum Leben das ſie lebt,
Wo ſie der Fruͤhling weckt, der Winter ſie begraͤbt.
Ihr Sproßen und ihr Bluͤhn, Vergehn und Neuentſtammen
Faͤllt mit des Jahres Kreis unwandelbar zuſammen.
Jung iſt ſie, wenn die Welt iſt jung, und alt, wenn alt,
Des Großen kleines Bild in wandelnder Geſtalt.
Des Menſchen Leben iſt nicht ſolch ein Kreis geſchloſſen,
Mit dem Naturumlauf zuſammen ſo gefloſſen.
Es lenzet, ſommert zwar, es herbſtet, wintert auch,
Nicht aber mit dem Jahr, nicht mit der Luͤfte Hauch.
Es ſetzt ſich davon unabhaͤngig ſeine Grenzen,
Vermag, ob wintern mag die Schoͤpfung, noch zu lenzen.
Und legt es einmal ſich zum Winterſchlummer nieder,
So weckt kein Fruͤhlingshauch auf dieſer Welt es wieder.
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