Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4. Leipzig, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
Darum, wenn Gottes Glanz, nicht Schatten seyn willst du,
So wende nicht dem Licht dich ab, dir selber zu.
Dein schönstes Streben sei, dem Lichte zuzuwenden
Dich und die Welt, so daß euch nicht die Strahlen blenden.

62.
Mag doch aus Neubegier und Lust am Wechsel reisen
Die Jugend, treu bleibt gern das Alter seinen Kreisen.
Nach fernem Schönen laß dich locken nicht das Sehnen;
Zieh es im Geist heran, und schmücke deine Scenen.
Dann aber, wann dich nah ein Unerträgliches
Umdrängen will, ein wüst und trüb Alltägliches;
Dann, eh' den hellen Sinn der Trübsinn dir umgraut,
Der Wahnsinn, auf und fort, soweit der Himmel blaut!
Und schaue dich nach dem nicht um, dem du entrennst,
Du möchtest sonst dir nach beschwören das Gespenst.
Nicht stille steh, bis du bist weit genug davon,
Dann steh, und athme nur, und fühle dich entflohn.
Darum, wenn Gottes Glanz, nicht Schatten ſeyn willſt du,
So wende nicht dem Licht dich ab, dir ſelber zu.
Dein ſchoͤnſtes Streben ſei, dem Lichte zuzuwenden
Dich und die Welt, ſo daß euch nicht die Strahlen blenden.

62.
Mag doch aus Neubegier und Luſt am Wechſel reiſen
Die Jugend, treu bleibt gern das Alter ſeinen Kreiſen.
Nach fernem Schoͤnen laß dich locken nicht das Sehnen;
Zieh es im Geiſt heran, und ſchmuͤcke deine Scenen.
Dann aber, wann dich nah ein Unertraͤgliches
Umdraͤngen will, ein wuͤſt und truͤb Alltaͤgliches;
Dann, eh' den hellen Sinn der Truͤbſinn dir umgraut,
Der Wahnſinn, auf und fort, ſoweit der Himmel blaut!
Und ſchaue dich nach dem nicht um, dem du entrennſt,
Du moͤchteſt ſonſt dir nach beſchwoͤren das Geſpenſt.
Nicht ſtille ſteh, bis du biſt weit genug davon,
Dann ſteh, und athme nur, und fuͤhle dich entflohn.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0316" n="306"/>
            <lg n="5">
              <l>Darum, wenn Gottes Glanz, nicht Schatten &#x017F;eyn will&#x017F;t du,</l><lb/>
              <l>So wende nicht dem Licht dich ab, dir &#x017F;elber zu.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Dein &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;tes Streben &#x017F;ei, dem Lichte zuzuwenden</l><lb/>
              <l>Dich und die Welt, &#x017F;o daß euch nicht die Strahlen blenden.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>62.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Mag doch aus Neubegier und Lu&#x017F;t am Wech&#x017F;el rei&#x017F;en</l><lb/>
              <l>Die Jugend, treu bleibt gern das Alter &#x017F;einen Krei&#x017F;en.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Nach fernem Scho&#x0364;nen laß dich locken nicht das Sehnen;</l><lb/>
              <l>Zieh es im Gei&#x017F;t heran, und &#x017F;chmu&#x0364;cke deine Scenen.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Dann aber, wann dich nah ein Unertra&#x0364;gliches</l><lb/>
              <l>Umdra&#x0364;ngen will, ein wu&#x0364;&#x017F;t und tru&#x0364;b Allta&#x0364;gliches;</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Dann, eh' den hellen Sinn der Tru&#x0364;b&#x017F;inn dir umgraut,</l><lb/>
              <l>Der Wahn&#x017F;inn, auf und fort, &#x017F;oweit der Himmel blaut!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Und &#x017F;chaue dich nach dem nicht um, dem du entrenn&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Du mo&#x0364;chte&#x017F;t &#x017F;on&#x017F;t dir nach be&#x017F;chwo&#x0364;ren das Ge&#x017F;pen&#x017F;t.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Nicht &#x017F;tille &#x017F;teh, bis du bi&#x017F;t weit genug davon,</l><lb/>
              <l>Dann &#x017F;teh, und athme nur, und fu&#x0364;hle dich entflohn.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[306/0316] Darum, wenn Gottes Glanz, nicht Schatten ſeyn willſt du, So wende nicht dem Licht dich ab, dir ſelber zu. Dein ſchoͤnſtes Streben ſei, dem Lichte zuzuwenden Dich und die Welt, ſo daß euch nicht die Strahlen blenden. 62. Mag doch aus Neubegier und Luſt am Wechſel reiſen Die Jugend, treu bleibt gern das Alter ſeinen Kreiſen. Nach fernem Schoͤnen laß dich locken nicht das Sehnen; Zieh es im Geiſt heran, und ſchmuͤcke deine Scenen. Dann aber, wann dich nah ein Unertraͤgliches Umdraͤngen will, ein wuͤſt und truͤb Alltaͤgliches; Dann, eh' den hellen Sinn der Truͤbſinn dir umgraut, Der Wahnſinn, auf und fort, ſoweit der Himmel blaut! Und ſchaue dich nach dem nicht um, dem du entrennſt, Du moͤchteſt ſonſt dir nach beſchwoͤren das Geſpenſt. Nicht ſtille ſteh, bis du biſt weit genug davon, Dann ſteh, und athme nur, und fuͤhle dich entflohn.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane04_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane04_1838/316
Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4. Leipzig, 1838, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane04_1838/316>, abgerufen am 24.11.2024.