Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4. Leipzig, 1838.65. Neujahr 1836. Und nur durch Eines hast du dich als Kind verrathen, Daß du dem Mütterlein nicht konntest lang' entrathen. Ein halbes Jahr ist's nur, daß du bist hingegangen, Und schon hast du sie nachgezogen mit Verlangen. Wie oder hat sie ihr Verlangen nachgezogen? Entgegen sind sich zwei Verlangen nur geflogen. Die deine Mutter war, war sie doch meine auch; Wie haben wir getheilt mit so ungleichem Brauch? Dein Theil ist dort mit ihr zu lachen im Vereine, Und mein's hier, daß getrennt ich von euch beiden weine. Ich bin wol alt genug, der Mutter zu entwöhnen, Du jung und schön, um dort mit Palmen sie zu krönen. Doch bitt' ich, daß du mir den Schaden dadurch büßest, Daß du den Vater auch und Bruder schön mir grüßest. Denn Vater, Bruder auch, sie gingen dir voraus, Und wenig fehlt, so hast du dort dein ganzes Haus. 65. Neujahr 1836. Und nur durch Eines haſt du dich als Kind verrathen, Daß du dem Muͤtterlein nicht konnteſt lang' entrathen. Ein halbes Jahr iſt's nur, daß du biſt hingegangen, Und ſchon haſt du ſie nachgezogen mit Verlangen. Wie oder hat ſie ihr Verlangen nachgezogen? Entgegen ſind ſich zwei Verlangen nur geflogen. Die deine Mutter war, war ſie doch meine auch; Wie haben wir getheilt mit ſo ungleichem Brauch? Dein Theil iſt dort mit ihr zu lachen im Vereine, Und mein's hier, daß getrennt ich von euch beiden weine. Ich bin wol alt genug, der Mutter zu entwoͤhnen, Du jung und ſchoͤn, um dort mit Palmen ſie zu kroͤnen. Doch bitt' ich, daß du mir den Schaden dadurch buͤßeſt, Daß du den Vater auch und Bruder ſchoͤn mir gruͤßeſt. Denn Vater, Bruder auch, ſie gingen dir voraus, Und wenig fehlt, ſo haſt du dort dein ganzes Haus. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0320" n="310"/> <div n="2"> <head>65.</head><lb/> <p><hi rendition="#g">Neujahr</hi> 1836.</p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Und nur durch Eines haſt du dich als Kind verrathen,</l><lb/> <l>Daß du dem Muͤtterlein nicht konnteſt lang' entrathen.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Ein halbes Jahr iſt's nur, daß du biſt hingegangen,</l><lb/> <l>Und ſchon haſt du ſie nachgezogen mit Verlangen.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Wie oder hat ſie ihr Verlangen nachgezogen?</l><lb/> <l>Entgegen ſind ſich zwei Verlangen nur geflogen.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Die deine Mutter war, war ſie doch meine auch;</l><lb/> <l>Wie haben wir getheilt mit ſo ungleichem Brauch?</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Dein Theil iſt dort mit ihr zu lachen im Vereine,</l><lb/> <l>Und mein's hier, daß getrennt ich von euch beiden weine.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Ich bin wol alt genug, der Mutter zu entwoͤhnen,</l><lb/> <l>Du jung und ſchoͤn, um dort mit Palmen ſie zu kroͤnen.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Doch bitt' ich, daß du mir den Schaden dadurch buͤßeſt,</l><lb/> <l>Daß du den Vater auch und Bruder ſchoͤn mir gruͤßeſt.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Denn Vater, Bruder auch, ſie gingen dir voraus,</l><lb/> <l>Und wenig fehlt, ſo haſt du dort dein ganzes Haus.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [310/0320]
65.
Neujahr 1836.
Und nur durch Eines haſt du dich als Kind verrathen,
Daß du dem Muͤtterlein nicht konnteſt lang' entrathen.
Ein halbes Jahr iſt's nur, daß du biſt hingegangen,
Und ſchon haſt du ſie nachgezogen mit Verlangen.
Wie oder hat ſie ihr Verlangen nachgezogen?
Entgegen ſind ſich zwei Verlangen nur geflogen.
Die deine Mutter war, war ſie doch meine auch;
Wie haben wir getheilt mit ſo ungleichem Brauch?
Dein Theil iſt dort mit ihr zu lachen im Vereine,
Und mein's hier, daß getrennt ich von euch beiden weine.
Ich bin wol alt genug, der Mutter zu entwoͤhnen,
Du jung und ſchoͤn, um dort mit Palmen ſie zu kroͤnen.
Doch bitt' ich, daß du mir den Schaden dadurch buͤßeſt,
Daß du den Vater auch und Bruder ſchoͤn mir gruͤßeſt.
Denn Vater, Bruder auch, ſie gingen dir voraus,
Und wenig fehlt, ſo haſt du dort dein ganzes Haus.
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Zitationshilfe: | Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4. Leipzig, 1838, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane04_1838/320>, abgerufen am 16.02.2025. |