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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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am Schauen aufzusuchen, welche, da dieses Wohlgefallen of-
fenbar, theils ein rein sinnliches, theils ein gemischtes und
mehrdeutiges, theils wiederum ein rein sittlich-geistiges ist,
nothwendig sowohl verschiedene, als auch verschiedenartige
sind.

Wir bedürfen demnach, wie es vortrefflichen Geistern
längst eingeleuchtet, einer Abtheilung nicht innerhalb des
Schönen, dem wir nun einmal seine unübersehliche Mannig-
faltigkeit einräumen müssen, vielmehr innerhalb der allgemei-
nen Eigenschaft, welche wir Schönheit nennen. Dreyfach
theilte schon Baco *) die Schönheit ein, obwohl er, da sein
Antheil an Dingen der Kunst zu allgemein war, uns die Be-
gründung und nähere Entwickelung schuldig geblieben. Auch

*) Francis Bacon, Works etc. Lond. 1753. fo. Vol. III. Ser-
mones findeles XLI. de Pulchritudine. "In pulchritudine praefertur
venustas colori; et decorus ac gratiosus oris et corporis motus ipsi
venustati."
Bey diesem, gleich anderen derselben Aphorismen, wie
im ersten Aufsteigen hingeworfenen Gedenken läßt die Unbestimmt-
heit des Ausdrucks manchem Zweifel Raum. Der englische Ueber-
setzer überträgt, venustas, in favour, Reiz, und hält sich dabey
mehr an das Etymon des lateinischen Wortes, als an den muth-
maßlichen Sinn seines Originales. Denn es ist nicht denkbar, daß
Baco hier, den Reiz, der Farbe und der Anmuth entgegengesetzt
habe, welche mit jenem eng verschwistert sind; ich glaube daher,
daß er damit eben solches bezeichnen wollen, was durch formositas
unübertrefflich, gewiß in keiner Sprache gleichdeckend ausgedrückt
wird. Nach seiner ganzen Denkart verstand er aber Anmuth der
Bewegung sicherlich nicht einzig vom Liebreiz, oder vom bloß sinn-
lich Gefälligen, vielmehr vom Ethischen überhaupt. Farbe aber
dürfte an dieser Stelle die Veranlassungen eines rein sinnlichen
Wohlgefallens am Schauen vertreten, mithin dürften darin alle
Elemente der nachfolgenden Darlegung enthalten seyn.

am Schauen aufzuſuchen, welche, da dieſes Wohlgefallen of-
fenbar, theils ein rein ſinnliches, theils ein gemiſchtes und
mehrdeutiges, theils wiederum ein rein ſittlich-geiſtiges iſt,
nothwendig ſowohl verſchiedene, als auch verſchiedenartige
ſind.

Wir beduͤrfen demnach, wie es vortrefflichen Geiſtern
laͤngſt eingeleuchtet, einer Abtheilung nicht innerhalb des
Schoͤnen, dem wir nun einmal ſeine unuͤberſehliche Mannig-
faltigkeit einraͤumen muͤſſen, vielmehr innerhalb der allgemei-
nen Eigenſchaft, welche wir Schoͤnheit nennen. Dreyfach
theilte ſchon Baco *) die Schoͤnheit ein, obwohl er, da ſein
Antheil an Dingen der Kunſt zu allgemein war, uns die Be-
gruͤndung und naͤhere Entwickelung ſchuldig geblieben. Auch

*) Francis Bacon, Works etc. Lond. 1753. fo. Vol. III. Ser-
mones findeles XLI. de Pulchritudine. „In pulchritudine praefertur
venustas colori; et decorus ac gratiosus oris et corporis motus ipsi
venustati.“
Bey dieſem, gleich anderen derſelben Aphorismen, wie
im erſten Aufſteigen hingeworfenen Gedenken laͤßt die Unbeſtimmt-
heit des Ausdrucks manchem Zweifel Raum. Der engliſche Ueber-
ſetzer uͤbertraͤgt, venustas, in favour, Reiz, und haͤlt ſich dabey
mehr an das Etymon des lateiniſchen Wortes, als an den muth-
maßlichen Sinn ſeines Originales. Denn es iſt nicht denkbar, daß
Baco hier, den Reiz, der Farbe und der Anmuth entgegengeſetzt
habe, welche mit jenem eng verſchwiſtert ſind; ich glaube daher,
daß er damit eben ſolches bezeichnen wollen, was durch formositas
unuͤbertrefflich, gewiß in keiner Sprache gleichdeckend ausgedruͤckt
wird. Nach ſeiner ganzen Denkart verſtand er aber Anmuth der
Bewegung ſicherlich nicht einzig vom Liebreiz, oder vom bloß ſinn-
lich Gefaͤlligen, vielmehr vom Ethiſchen uͤberhaupt. Farbe aber
duͤrfte an dieſer Stelle die Veranlaſſungen eines rein ſinnlichen
Wohlgefallens am Schauen vertreten, mithin duͤrften darin alle
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[137/0155] am Schauen aufzuſuchen, welche, da dieſes Wohlgefallen of- fenbar, theils ein rein ſinnliches, theils ein gemiſchtes und mehrdeutiges, theils wiederum ein rein ſittlich-geiſtiges iſt, nothwendig ſowohl verſchiedene, als auch verſchiedenartige ſind. Wir beduͤrfen demnach, wie es vortrefflichen Geiſtern laͤngſt eingeleuchtet, einer Abtheilung nicht innerhalb des Schoͤnen, dem wir nun einmal ſeine unuͤberſehliche Mannig- faltigkeit einraͤumen muͤſſen, vielmehr innerhalb der allgemei- nen Eigenſchaft, welche wir Schoͤnheit nennen. Dreyfach theilte ſchon Baco *) die Schoͤnheit ein, obwohl er, da ſein Antheil an Dingen der Kunſt zu allgemein war, uns die Be- gruͤndung und naͤhere Entwickelung ſchuldig geblieben. Auch *) Francis Bacon, Works etc. Lond. 1753. fo. Vol. III. Ser- mones findeles XLI. de Pulchritudine. „In pulchritudine praefertur venustas colori; et decorus ac gratiosus oris et corporis motus ipsi venustati.“ Bey dieſem, gleich anderen derſelben Aphorismen, wie im erſten Aufſteigen hingeworfenen Gedenken laͤßt die Unbeſtimmt- heit des Ausdrucks manchem Zweifel Raum. Der engliſche Ueber- ſetzer uͤbertraͤgt, venustas, in favour, Reiz, und haͤlt ſich dabey mehr an das Etymon des lateiniſchen Wortes, als an den muth- maßlichen Sinn ſeines Originales. Denn es iſt nicht denkbar, daß Baco hier, den Reiz, der Farbe und der Anmuth entgegengeſetzt habe, welche mit jenem eng verſchwiſtert ſind; ich glaube daher, daß er damit eben ſolches bezeichnen wollen, was durch formositas unuͤbertrefflich, gewiß in keiner Sprache gleichdeckend ausgedruͤckt wird. Nach ſeiner ganzen Denkart verſtand er aber Anmuth der Bewegung ſicherlich nicht einzig vom Liebreiz, oder vom bloß ſinn- lich Gefaͤlligen, vielmehr vom Ethiſchen uͤberhaupt. Farbe aber duͤrfte an dieſer Stelle die Veranlaſſungen eines rein ſinnlichen Wohlgefallens am Schauen vertreten, mithin duͤrften darin alle Elemente der nachfolgenden Darlegung enthalten ſeyn.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/155>, abgerufen am 21.11.2024.