Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

in Hand gehen *). Die bildenden Künste aber, wie unver-
gleichlich tief und völlig und erschöpfend alles anschaulich Er-
faßte in ihnen dargestellt werden könne, vermögen doch selbst
durch jene willkührlichen Zeichen, auf denen Bilderschrift und
Allegorie beruht, nur mit Unbehülflichkeit auszudrücken, was
irgend Gutes und Löbliches in Begriffen erdacht worden. Der
bildende Künstler also ist allerdings mehr als der Dichter auf
das Gebiet eigentlicher Poesie eingeschränkt; doch entschädigt
ihn die Fähigkeit, dasselbe tiefer zu durchdringen und bis auf
den Grund auszunutzen, welche jenem versagt ist. Und wenn
ich mich nicht täusche, so entsprang aus einer dunklen, nicht
zu voller Deutlichkeit entwickelten Wahrnehmung dieses Gegen-
satzes auch Lessings Entgegenstellung der Poesie und Kunst **),
auf welche wir zurückkommen werden.

Unter den Dingen nun, welche nicht einzig dem abge-
sonderten Denken, vielmehr auch und vornehmlich der anschau-
lichen Auffassung unterliegen, welche mithin, da es Verwegen-
heit wäre, gleich einigen unserer Vorgänger, dem Genius vor-
zugreifen, ohne einige Ausnahme, Gegenstände der Kunst sind,
oder doch seyn könnten, ist die menschliche Seele und, wie

*) Seneca, Ep. VIII. Quam multa poetae dicunt, quae a phi-
losophis dicta sunt, aut dicenda
.
**) Lessing, Laok. Anhang XXXI. "Die eigentliche Be-
stimmung einer schönen Kunst kann nur dasjenige seyn, was sie
ohne Beyhülfe einer anderen hervorzubringen im Stande ist;"
und kurz darauf: "die neuen Mahler -- bedenken nicht --, daß
ihre Kunst den Werth einer primitiven Kunst gänzlich dadurch
verliert etc.;" nemlich solche, welche nur in die Form übertragen
wollen, was in den Redekünsten gereift und ausgebildet worden.

in Hand gehen *). Die bildenden Kuͤnſte aber, wie unver-
gleichlich tief und voͤllig und erſchoͤpfend alles anſchaulich Er-
faßte in ihnen dargeſtellt werden koͤnne, vermoͤgen doch ſelbſt
durch jene willkuͤhrlichen Zeichen, auf denen Bilderſchrift und
Allegorie beruht, nur mit Unbehuͤlflichkeit auszudruͤcken, was
irgend Gutes und Loͤbliches in Begriffen erdacht worden. Der
bildende Kuͤnſtler alſo iſt allerdings mehr als der Dichter auf
das Gebiet eigentlicher Poeſie eingeſchraͤnkt; doch entſchaͤdigt
ihn die Faͤhigkeit, daſſelbe tiefer zu durchdringen und bis auf
den Grund auszunutzen, welche jenem verſagt iſt. Und wenn
ich mich nicht taͤuſche, ſo entſprang aus einer dunklen, nicht
zu voller Deutlichkeit entwickelten Wahrnehmung dieſes Gegen-
ſatzes auch Leſſings Entgegenſtellung der Poeſie und Kunſt **),
auf welche wir zuruͤckkommen werden.

Unter den Dingen nun, welche nicht einzig dem abge-
ſonderten Denken, vielmehr auch und vornehmlich der anſchau-
lichen Auffaſſung unterliegen, welche mithin, da es Verwegen-
heit waͤre, gleich einigen unſerer Vorgaͤnger, dem Genius vor-
zugreifen, ohne einige Ausnahme, Gegenſtaͤnde der Kunſt ſind,
oder doch ſeyn koͤnnten, iſt die menſchliche Seele und, wie

*) Seneca, Ep. VIII. Quam multa poetae dicunt, quae a phi-
losophis dicta sunt, aut dicenda
.
**) Leſſing, Laok. Anhang XXXI. „Die eigentliche Be-
ſtimmung einer ſchoͤnen Kunſt kann nur dasjenige ſeyn, was ſie
ohne Beyhuͤlfe einer anderen hervorzubringen im Stande iſt;“
und kurz darauf: „die neuen Mahler — bedenken nicht —, daß
ihre Kunſt den Werth einer primitiven Kunſt gaͤnzlich dadurch
verliert ꝛc.;“ nemlich ſolche, welche nur in die Form uͤbertragen
wollen, was in den Redekuͤnſten gereift und ausgebildet worden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0028" n="10"/>
in Hand gehen <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118613200">Seneca</persName>, Ep. VIII. Quam multa poetae dicunt, quae a phi-<lb/>
losophis dicta sunt, aut dicenda</hi>.</note>. Die bildenden Ku&#x0364;n&#x017F;te aber, wie unver-<lb/>
gleichlich tief und vo&#x0364;llig und er&#x017F;cho&#x0364;pfend alles an&#x017F;chaulich Er-<lb/>
faßte in ihnen darge&#x017F;tellt werden ko&#x0364;nne, vermo&#x0364;gen doch &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
durch jene willku&#x0364;hrlichen Zeichen, auf denen Bilder&#x017F;chrift und<lb/>
Allegorie beruht, nur mit Unbehu&#x0364;lflichkeit auszudru&#x0364;cken, was<lb/>
irgend Gutes und Lo&#x0364;bliches in Begriffen erdacht worden. Der<lb/>
bildende Ku&#x0364;n&#x017F;tler al&#x017F;o i&#x017F;t allerdings mehr als der Dichter auf<lb/>
das Gebiet eigentlicher Poe&#x017F;ie einge&#x017F;chra&#x0364;nkt; doch ent&#x017F;cha&#x0364;digt<lb/>
ihn die Fa&#x0364;higkeit, da&#x017F;&#x017F;elbe tiefer zu durchdringen und bis auf<lb/>
den Grund auszunutzen, welche jenem ver&#x017F;agt i&#x017F;t. Und wenn<lb/>
ich mich nicht ta&#x0364;u&#x017F;che, &#x017F;o ent&#x017F;prang aus einer dunklen, nicht<lb/>
zu voller Deutlichkeit entwickelten Wahrnehmung die&#x017F;es Gegen-<lb/>
&#x017F;atzes auch <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118572121">Le&#x017F;&#x017F;ings</persName></hi> Entgegen&#x017F;tellung der Poe&#x017F;ie und Kun&#x017F;t <note place="foot" n="**)"><hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118572121">Le&#x017F;&#x017F;ing</persName>, Laok</hi>. Anhang <hi rendition="#aq">XXXI</hi>. &#x201E;Die eigentliche Be-<lb/>
&#x017F;timmung einer &#x017F;cho&#x0364;nen Kun&#x017F;t kann nur dasjenige &#x017F;eyn, was &#x017F;ie<lb/>
ohne Beyhu&#x0364;lfe einer anderen hervorzubringen im Stande i&#x017F;t;&#x201C;<lb/>
und kurz darauf: &#x201E;die neuen Mahler &#x2014; bedenken nicht &#x2014;, daß<lb/>
ihre Kun&#x017F;t den Werth einer <hi rendition="#g">primitiven Kun&#x017F;t</hi> ga&#x0364;nzlich dadurch<lb/>
verliert &#xA75B;c.;&#x201C; nemlich &#x017F;olche, welche nur in die Form u&#x0364;bertragen<lb/>
wollen, was in den Redeku&#x0364;n&#x017F;ten gereift und ausgebildet worden.</note>,<lb/>
auf welche wir zuru&#x0364;ckkommen werden.</p><lb/>
          <p>Unter den Dingen nun, welche nicht einzig dem abge-<lb/>
&#x017F;onderten Denken, vielmehr auch und vornehmlich der an&#x017F;chau-<lb/>
lichen Auffa&#x017F;&#x017F;ung unterliegen, welche mithin, da es Verwegen-<lb/>
heit wa&#x0364;re, gleich einigen un&#x017F;erer Vorga&#x0364;nger, dem Genius vor-<lb/>
zugreifen, ohne einige Ausnahme, Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde der Kun&#x017F;t &#x017F;ind,<lb/>
oder doch &#x017F;eyn ko&#x0364;nnten, i&#x017F;t die men&#x017F;chliche Seele und, wie<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0028] in Hand gehen *). Die bildenden Kuͤnſte aber, wie unver- gleichlich tief und voͤllig und erſchoͤpfend alles anſchaulich Er- faßte in ihnen dargeſtellt werden koͤnne, vermoͤgen doch ſelbſt durch jene willkuͤhrlichen Zeichen, auf denen Bilderſchrift und Allegorie beruht, nur mit Unbehuͤlflichkeit auszudruͤcken, was irgend Gutes und Loͤbliches in Begriffen erdacht worden. Der bildende Kuͤnſtler alſo iſt allerdings mehr als der Dichter auf das Gebiet eigentlicher Poeſie eingeſchraͤnkt; doch entſchaͤdigt ihn die Faͤhigkeit, daſſelbe tiefer zu durchdringen und bis auf den Grund auszunutzen, welche jenem verſagt iſt. Und wenn ich mich nicht taͤuſche, ſo entſprang aus einer dunklen, nicht zu voller Deutlichkeit entwickelten Wahrnehmung dieſes Gegen- ſatzes auch Leſſings Entgegenſtellung der Poeſie und Kunſt **), auf welche wir zuruͤckkommen werden. Unter den Dingen nun, welche nicht einzig dem abge- ſonderten Denken, vielmehr auch und vornehmlich der anſchau- lichen Auffaſſung unterliegen, welche mithin, da es Verwegen- heit waͤre, gleich einigen unſerer Vorgaͤnger, dem Genius vor- zugreifen, ohne einige Ausnahme, Gegenſtaͤnde der Kunſt ſind, oder doch ſeyn koͤnnten, iſt die menſchliche Seele und, wie *) Seneca, Ep. VIII. Quam multa poetae dicunt, quae a phi- losophis dicta sunt, aut dicenda. **) Leſſing, Laok. Anhang XXXI. „Die eigentliche Be- ſtimmung einer ſchoͤnen Kunſt kann nur dasjenige ſeyn, was ſie ohne Beyhuͤlfe einer anderen hervorzubringen im Stande iſt;“ und kurz darauf: „die neuen Mahler — bedenken nicht —, daß ihre Kunſt den Werth einer primitiven Kunſt gaͤnzlich dadurch verliert ꝛc.;“ nemlich ſolche, welche nur in die Form uͤbertragen wollen, was in den Redekuͤnſten gereift und ausgebildet worden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/28
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/28>, abgerufen am 23.11.2024.