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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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gegen scheinen die kritisch-philosophischen Kunstbetrachtungen,
welche wiederholt, obwohl mit sehr ungleichen Kräften ange-
stellt worden, die künstlerische Geistesart ganz zu verkennen,
indem sie deren Höhe in eine gewisse Annäherung an das
Begriffsleben versetzen, die wenigstens mit jener allgemeinen
Erklärung der Kunst, welche ich oben vorangestellt, nicht
wohl vereinbar ist. In den geistreichen und consequenten
ästhetischen Versuchen Wilhelms von Humboldt scheint
allerdings, was dieser Denker in Kunstwerken Totalität nennt,
auf den ersten Blick dem anschaulichen, völligen, ausgerunde-
ten Denken des Künstlers zu entsprechen. Doch bey näherer
Betrachtung ergiebt es sich als ein anderer Ausdruck für den
Gegenstand eines allen Denkern derselben Schule eigenthüm-
lichen Verlangens, auch in der Kunst die ihnen befreundete
Abstraktion, den Begriff, wieder aufzufinden *). In einer
anderen, doch schwächeren Arbeit, wo dasselbe Bestreben sich
naiver und eben deshalb vielleicht um so deutlicher zeigt, ver-
sinnlicht der Verfasser seine Erklärung des Idealen durch das
Beyspiel der verschiedenen Lebensstufen **). So denkt er sich
das Ideal des Knaben, in welchem die Merkmale der frühe-
ren Jugend vereinigt sind; ein anderes des Mannes, des

*) Fernow in Briefen an den Maler Kügelgen, Joh.
Schopenhauer
, Leben Fernows, S. 359.: abstracte Ideal-
bildungen
, weiter unten: abstracte Formen; welch' ein in-
nerer Widerspruch!
**) Heydenreich, ästh. Wörterbuch über die bild. K., nach
Watelet und Levesque, Leipzig 1795. s. v. Ideal. Zu dieser
Wahl indeß hatte ihn Winckelmann veranlaßt, welcher, nach-
dem er B. IV. und V. der Kunstgeschichte über die Schönheit wie
ein Begeisterter geredet, alsobald zu den wenig entscheidenden Cha-
rakteren der Lebensstufen übergeht.

gegen ſcheinen die kritiſch-philoſophiſchen Kunſtbetrachtungen,
welche wiederholt, obwohl mit ſehr ungleichen Kraͤften ange-
ſtellt worden, die kuͤnſtleriſche Geiſtesart ganz zu verkennen,
indem ſie deren Hoͤhe in eine gewiſſe Annaͤherung an das
Begriffsleben verſetzen, die wenigſtens mit jener allgemeinen
Erklaͤrung der Kunſt, welche ich oben vorangeſtellt, nicht
wohl vereinbar iſt. In den geiſtreichen und conſequenten
aͤſthetiſchen Verſuchen Wilhelms von Humboldt ſcheint
allerdings, was dieſer Denker in Kunſtwerken Totalitaͤt nennt,
auf den erſten Blick dem anſchaulichen, voͤlligen, ausgerunde-
ten Denken des Kuͤnſtlers zu entſprechen. Doch bey naͤherer
Betrachtung ergiebt es ſich als ein anderer Ausdruck fuͤr den
Gegenſtand eines allen Denkern derſelben Schule eigenthuͤm-
lichen Verlangens, auch in der Kunſt die ihnen befreundete
Abſtraktion, den Begriff, wieder aufzufinden *). In einer
anderen, doch ſchwaͤcheren Arbeit, wo daſſelbe Beſtreben ſich
naiver und eben deshalb vielleicht um ſo deutlicher zeigt, ver-
ſinnlicht der Verfaſſer ſeine Erklaͤrung des Idealen durch das
Beyſpiel der verſchiedenen Lebensſtufen **). So denkt er ſich
das Ideal des Knaben, in welchem die Merkmale der fruͤhe-
ren Jugend vereinigt ſind; ein anderes des Mannes, des

*) Fernow in Briefen an den Maler Kuͤgelgen, Joh.
Schopenhauer
, Leben Fernows, S. 359.: abſtracte Ideal-
bildungen
, weiter unten: abſtracte Formen; welch’ ein in-
nerer Widerſpruch!
**) Heydenreich, aͤſth. Woͤrterbuch uͤber die bild. K., nach
Watelet und Levesque, Leipzig 1795. s. v. Ideal. Zu dieſer
Wahl indeß hatte ihn Winckelmann veranlaßt, welcher, nach-
dem er B. IV. und V. der Kunſtgeſchichte uͤber die Schoͤnheit wie
ein Begeiſterter geredet, alſobald zu den wenig entſcheidenden Cha-
rakteren der Lebensſtufen uͤbergeht.
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[47/0065] gegen ſcheinen die kritiſch-philoſophiſchen Kunſtbetrachtungen, welche wiederholt, obwohl mit ſehr ungleichen Kraͤften ange- ſtellt worden, die kuͤnſtleriſche Geiſtesart ganz zu verkennen, indem ſie deren Hoͤhe in eine gewiſſe Annaͤherung an das Begriffsleben verſetzen, die wenigſtens mit jener allgemeinen Erklaͤrung der Kunſt, welche ich oben vorangeſtellt, nicht wohl vereinbar iſt. In den geiſtreichen und conſequenten aͤſthetiſchen Verſuchen Wilhelms von Humboldt ſcheint allerdings, was dieſer Denker in Kunſtwerken Totalitaͤt nennt, auf den erſten Blick dem anſchaulichen, voͤlligen, ausgerunde- ten Denken des Kuͤnſtlers zu entſprechen. Doch bey naͤherer Betrachtung ergiebt es ſich als ein anderer Ausdruck fuͤr den Gegenſtand eines allen Denkern derſelben Schule eigenthuͤm- lichen Verlangens, auch in der Kunſt die ihnen befreundete Abſtraktion, den Begriff, wieder aufzufinden *). In einer anderen, doch ſchwaͤcheren Arbeit, wo daſſelbe Beſtreben ſich naiver und eben deshalb vielleicht um ſo deutlicher zeigt, ver- ſinnlicht der Verfaſſer ſeine Erklaͤrung des Idealen durch das Beyſpiel der verſchiedenen Lebensſtufen **). So denkt er ſich das Ideal des Knaben, in welchem die Merkmale der fruͤhe- ren Jugend vereinigt ſind; ein anderes des Mannes, des *) Fernow in Briefen an den Maler Kuͤgelgen, Joh. Schopenhauer, Leben Fernows, S. 359.: abſtracte Ideal- bildungen, weiter unten: abſtracte Formen; welch’ ein in- nerer Widerſpruch! **) Heydenreich, aͤſth. Woͤrterbuch uͤber die bild. K., nach Watelet und Levesque, Leipzig 1795. s. v. Ideal. Zu dieſer Wahl indeß hatte ihn Winckelmann veranlaßt, welcher, nach- dem er B. IV. und V. der Kunſtgeſchichte uͤber die Schoͤnheit wie ein Begeiſterter geredet, alſobald zu den wenig entſcheidenden Cha- rakteren der Lebensſtufen uͤbergeht.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/65>, abgerufen am 24.11.2024.