den, weil deren Entwickelung nothwendig nach ganz anderen Gesetzen erfolgt ist, als die Entstehung der Kunst an sich selbst. Denn obwohl man in den Sitzen der ältesten Bil- dung dem Mittelalter in technischen Dingen weit überlegen war, so kannte man doch vor Erfindung eigentlicher Kunst die Darstellung vermöge richtig verstandener, glücklich nachge- bildeter Naturformen, nun gar die Möglichkeit illusorischer Wirkungen, nicht einmal dem Begriffe nach; wohingegen im Mittelalter, durch mündliche Ueberlieferung, durch die Schriftsteller, und selbst durch die Denkmale unausgesetzt eine halbdeutliche Vorstellung von dem eigentlichen Ziele der bil- denden Künste sich erhalten mußte. Betrachtete man aber auch in den dunkelsten Zeiten die rohen Versuche damaliger Künstler nicht etwa als Andeutungen, oder vereinbarliche Be- zeichnungen, sondern als Darstellungen wirklichen Seyns und Geschehens; *) so war das Aufstreben der neueren Kunst seit der Mitte des dreyzehnten Jahrhunderts das Werk der Steigerung längst schon wirksamer Kräfte, des Wiedererwa- chens vorhandener, nur schlummernder Begriffe. Es wird demnach nicht befremden können, wenn wir bereits in ihren frühesten Leistungen die Begeisterung für die leitenden Be- griffe des Weltalters mit der Empfänglichkeit für die ursprüng- liche Bedeutung der organischen Formen gleichen Schritt hal- ten sehn.
Bey den älteren Nachahmern der byzantinischen Maler, dem Giunta, Guido und Anderen, mochten Schwierigkeiten in der Aneignung einer ganz neuen Manier die Aufmerksamkeit
den, weil deren Entwickelung nothwendig nach ganz anderen Geſetzen erfolgt iſt, als die Entſtehung der Kunſt an ſich ſelbſt. Denn obwohl man in den Sitzen der aͤlteſten Bil- dung dem Mittelalter in techniſchen Dingen weit uͤberlegen war, ſo kannte man doch vor Erfindung eigentlicher Kunſt die Darſtellung vermoͤge richtig verſtandener, gluͤcklich nachge- bildeter Naturformen, nun gar die Moͤglichkeit illuſoriſcher Wirkungen, nicht einmal dem Begriffe nach; wohingegen im Mittelalter, durch muͤndliche Ueberlieferung, durch die Schriftſteller, und ſelbſt durch die Denkmale unausgeſetzt eine halbdeutliche Vorſtellung von dem eigentlichen Ziele der bil- denden Kuͤnſte ſich erhalten mußte. Betrachtete man aber auch in den dunkelſten Zeiten die rohen Verſuche damaliger Kuͤnſtler nicht etwa als Andeutungen, oder vereinbarliche Be- zeichnungen, ſondern als Darſtellungen wirklichen Seyns und Geſchehens; *) ſo war das Aufſtreben der neueren Kunſt ſeit der Mitte des dreyzehnten Jahrhunderts das Werk der Steigerung laͤngſt ſchon wirkſamer Kraͤfte, des Wiedererwa- chens vorhandener, nur ſchlummernder Begriffe. Es wird demnach nicht befremden koͤnnen, wenn wir bereits in ihren fruͤheſten Leiſtungen die Begeiſterung fuͤr die leitenden Be- griffe des Weltalters mit der Empfaͤnglichkeit fuͤr die urſpruͤng- liche Bedeutung der organiſchen Formen gleichen Schritt hal- ten ſehn.
Bey den aͤlteren Nachahmern der byzantiniſchen Maler, dem Giunta, Guido und Anderen, mochten Schwierigkeiten in der Aneignung einer ganz neuen Manier die Aufmerkſamkeit
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den, weil deren Entwickelung nothwendig nach ganz anderen
Geſetzen erfolgt iſt, als die Entſtehung der Kunſt an ſich
ſelbſt. Denn obwohl man in den Sitzen der aͤlteſten Bil-
dung dem Mittelalter in techniſchen Dingen weit uͤberlegen
war, ſo kannte man doch vor Erfindung eigentlicher Kunſt
die Darſtellung vermoͤge richtig verſtandener, gluͤcklich nachge-
bildeter Naturformen, nun gar die Moͤglichkeit illuſoriſcher
Wirkungen, nicht einmal dem Begriffe nach; wohingegen
im Mittelalter, durch muͤndliche Ueberlieferung, durch die
Schriftſteller, und ſelbſt durch die Denkmale unausgeſetzt eine
halbdeutliche Vorſtellung von dem eigentlichen Ziele der bil-
denden Kuͤnſte ſich erhalten mußte. Betrachtete man aber
auch in den dunkelſten Zeiten die rohen Verſuche damaliger
Kuͤnſtler nicht etwa als Andeutungen, oder vereinbarliche Be-
zeichnungen, ſondern als Darſtellungen wirklichen Seyns
und Geſchehens; *) ſo war das Aufſtreben der neueren Kunſt
ſeit der Mitte des dreyzehnten Jahrhunderts das Werk der
Steigerung laͤngſt ſchon wirkſamer Kraͤfte, des Wiedererwa-
chens vorhandener, nur ſchlummernder Begriffe. Es wird
demnach nicht befremden koͤnnen, wenn wir bereits in ihren
fruͤheſten Leiſtungen die Begeiſterung fuͤr die leitenden Be-
griffe des Weltalters mit der Empfaͤnglichkeit fuͤr die urſpruͤng-
liche Bedeutung der organiſchen Formen gleichen Schritt hal-
ten ſehn.
Bey den aͤlteren Nachahmern der byzantiniſchen Maler,
dem Giunta, Guido und Anderen, mochten Schwierigkeiten in
der Aneignung einer ganz neuen Manier die Aufmerkſamkeit
*) S. Paul Diac, Luitprand, Leo, Oſt, und Andere an
haͤufig angezogenen Stellen.
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/21>, abgerufen am 09.11.2024.
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