entlehnte Anordnung der florentinischen Schule; doch rauscht eine leise, durch die bekanntesten Worte Christi veranlaßte Be- wegung über die Versammlung hin, welche ein ganz erfreu- liches Formenspiel hervorruft. In der Mitte des Bildes be- findet sich ein Tragstein, welcher dem Gewölbe der Decke zum Ansatze dient und in halber Höhe zwey Halbrundungen her- vorbringt; diese benutzte der Künstler, den Hintergrund in zwey einwärts laufende Gewölbe abzutheilen, in deren Grunde zwey Fensteröffnungen, durch welche ein heiterer Himmel und trefflich behandelte Stechpalmen und Orangenbäume hervor- blicken. Die Charaktere der Apostel sind, obwohl wahr, doch etwas derb, im Judas indeß der Ausdruck der Verlegenheit, das unwillkührliche Erschlaffen der Züge des Gesichtes ganz unübertrefflich. Den Kopf des Heilands hat der Künstler ent- weder offengelassen, oder ihn verfehlt; denn der gegenwärtig vorhandene ist von einem neueren Manieristen flach und ver- blasen hineingemalt worden.
Obwohl nun die Beywerke hier durchhin mit einer selte- nen Meisterschaft behandelt sind, so blieb doch in wesentliche- ren Dingen dem Künstler gar Manches nachzuholen, vor- nehmlich in der Handhabung der Gestalt, in der freyen Be- wegung der Figuren, aber auch in der Mischung und in dem Auftrag der Lichter in den Fleischparthieen. Wie rasch unser Meister auch über diese Schwierigkeit hinausgegangen sey, leh- ren seine Frescogemälde in der Kappelle Sassetti der florenti- nischen Kirche sta Trinita. Unter den Bildnissen der Stifter zu beiden Seiten des Altares liest man auf einer malerisch nachgeahmten Marmorfläche: A. D. M. CCCC. LXXXV. = XV. DECEMBRIS., woraus erhellt, daß diese Arbeit etwa um fünf Jahre neuer sey, als die oben beschriebenen.
entlehnte Anordnung der florentiniſchen Schule; doch rauſcht eine leiſe, durch die bekannteſten Worte Chriſti veranlaßte Be- wegung uͤber die Verſammlung hin, welche ein ganz erfreu- liches Formenſpiel hervorruft. In der Mitte des Bildes be- findet ſich ein Tragſtein, welcher dem Gewoͤlbe der Decke zum Anſatze dient und in halber Hoͤhe zwey Halbrundungen her- vorbringt; dieſe benutzte der Kuͤnſtler, den Hintergrund in zwey einwaͤrts laufende Gewoͤlbe abzutheilen, in deren Grunde zwey Fenſteroͤffnungen, durch welche ein heiterer Himmel und trefflich behandelte Stechpalmen und Orangenbaͤume hervor- blicken. Die Charaktere der Apoſtel ſind, obwohl wahr, doch etwas derb, im Judas indeß der Ausdruck der Verlegenheit, das unwillkuͤhrliche Erſchlaffen der Zuͤge des Geſichtes ganz unuͤbertrefflich. Den Kopf des Heilands hat der Kuͤnſtler ent- weder offengelaſſen, oder ihn verfehlt; denn der gegenwaͤrtig vorhandene iſt von einem neueren Manieriſten flach und ver- blaſen hineingemalt worden.
Obwohl nun die Beywerke hier durchhin mit einer ſelte- nen Meiſterſchaft behandelt ſind, ſo blieb doch in weſentliche- ren Dingen dem Kuͤnſtler gar Manches nachzuholen, vor- nehmlich in der Handhabung der Geſtalt, in der freyen Be- wegung der Figuren, aber auch in der Miſchung und in dem Auftrag der Lichter in den Fleiſchparthieen. Wie raſch unſer Meiſter auch uͤber dieſe Schwierigkeit hinausgegangen ſey, leh- ren ſeine Frescogemaͤlde in der Kappelle Saſſetti der florenti- niſchen Kirche ſta Trinità. Unter den Bildniſſen der Stifter zu beiden Seiten des Altares lieſt man auf einer maleriſch nachgeahmten Marmorflaͤche: A. D. M. CCCC. LXXXV. = XV. DECEMBRIS., woraus erhellt, daß dieſe Arbeit etwa um fuͤnf Jahre neuer ſey, als die oben beſchriebenen.
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entlehnte Anordnung der florentiniſchen Schule; doch rauſcht
eine leiſe, durch die bekannteſten Worte Chriſti veranlaßte Be-
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liches Formenſpiel hervorruft. In der Mitte des Bildes be-
findet ſich ein Tragſtein, welcher dem Gewoͤlbe der Decke zum
Anſatze dient und in halber Hoͤhe zwey Halbrundungen her-
vorbringt; dieſe benutzte der Kuͤnſtler, den Hintergrund in
zwey einwaͤrts laufende Gewoͤlbe abzutheilen, in deren Grunde
zwey Fenſteroͤffnungen, durch welche ein heiterer Himmel und
trefflich behandelte Stechpalmen und Orangenbaͤume hervor-
blicken. Die Charaktere der Apoſtel ſind, obwohl wahr, doch
etwas derb, im Judas indeß der Ausdruck der Verlegenheit,
das unwillkuͤhrliche Erſchlaffen der Zuͤge des Geſichtes ganz
unuͤbertrefflich. Den Kopf des Heilands hat der Kuͤnſtler ent-
weder offengelaſſen, oder ihn verfehlt; denn der gegenwaͤrtig
vorhandene iſt von einem neueren Manieriſten flach und ver-
blaſen hineingemalt worden.
Obwohl nun die Beywerke hier durchhin mit einer ſelte-
nen Meiſterſchaft behandelt ſind, ſo blieb doch in weſentliche-
ren Dingen dem Kuͤnſtler gar Manches nachzuholen, vor-
nehmlich in der Handhabung der Geſtalt, in der freyen Be-
wegung der Figuren, aber auch in der Miſchung und in dem
Auftrag der Lichter in den Fleiſchparthieen. Wie raſch unſer
Meiſter auch uͤber dieſe Schwierigkeit hinausgegangen ſey, leh-
ren ſeine Frescogemaͤlde in der Kappelle Saſſetti der florenti-
niſchen Kirche ſta Trinità. Unter den Bildniſſen der Stifter
zu beiden Seiten des Altares lieſt man auf einer maleriſch
nachgeahmten Marmorflaͤche: A. D. M. CCCC. LXXXV.
= XV. DECEMBRIS., woraus erhellt, daß dieſe Arbeit
etwa um fuͤnf Jahre neuer ſey, als die oben beſchriebenen.
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/297>, abgerufen am 22.11.2024.
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