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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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Verochio ausgehenden, gemischt bildnerisch-malerischen Rich-
tung es vorbehalten war, der nun schon mehrseitig ausgebil-
deten Malerey der Florentiner zu verleihen, was selbst jenen
Meisterwerken des Ghirlandajo noch fehlte: Gründlichkeit und
Feinheit in der Auffassung der Form, Sicherheit und Zartheit
in ihrer Anwendung auf malerische Darstellungen.

Dieses, schon an sich selbst unermeßliche Verdienst, um
die Vollendung und tiefere Begründung der malerischen Tech-
nik, erhöhete Lionardo durch eine reinere, ernstlicher gemeinte
Auffassung der obwaltenden kirchlichen Kunstaufgaben, als
während der zweyten Hälfte des funfzehnten Jahrhundertes
bey den florentinischen Malern vorzukommen pflegt. Aller-
dings erfaßte die Schule des Fra Filippo Aufgaben, welche
ihrem Sinne für Bewegung und Handlung entsprachen, im
Allgemeinen richtig, nicht selten höchst glücklich; allerdings er-
freute die Schule des Cosimo Roselli durch Schärfe und Deut-
lichkeit der Charakteristik. Doch wenn es den Ausdruck rei-
nen Gemüthes und religiöser Stimmungen galt, verfehlten sie
durchhin die innere Bedeutung ihrer Aufgaben. Besonders
mißglückte ihnen die Madonna, deren leicht verletzliche Idee
von den Giottesken ungleich reiner aufgefaßt worden; obwohl
hier Täuschungen möglich sind, da deren allgemeine und leichte
Andeutung der Phantasie des Beschauenden einen weiten Spiel-
raum gewährt, während die bestimmtere Darstellung der spä-
teren Florentiner über allen Zweifel erhebt: daß die Madonnen
des Fra Filippo meist gemein sind, des Cosimo Roselli ab-
scheulich, des Sandro und Domenico Ghirlandajo ehrliche
Bürgerfrauen, des Filippino liebliche Dirnen. Dahingegen
gelang es dem Lionardo, schon seinen älteren Madonnen (in
s. Onofrio, im Hause Buonvisi) einen geheimen Zauber zu

Verochio ausgehenden, gemiſcht bildneriſch-maleriſchen Rich-
tung es vorbehalten war, der nun ſchon mehrſeitig ausgebil-
deten Malerey der Florentiner zu verleihen, was ſelbſt jenen
Meiſterwerken des Ghirlandajo noch fehlte: Gruͤndlichkeit und
Feinheit in der Auffaſſung der Form, Sicherheit und Zartheit
in ihrer Anwendung auf maleriſche Darſtellungen.

Dieſes, ſchon an ſich ſelbſt unermeßliche Verdienſt, um
die Vollendung und tiefere Begruͤndung der maleriſchen Tech-
nik, erhoͤhete Lionardo durch eine reinere, ernſtlicher gemeinte
Auffaſſung der obwaltenden kirchlichen Kunſtaufgaben, als
waͤhrend der zweyten Haͤlfte des funfzehnten Jahrhundertes
bey den florentiniſchen Malern vorzukommen pflegt. Aller-
dings erfaßte die Schule des Fra Filippo Aufgaben, welche
ihrem Sinne fuͤr Bewegung und Handlung entſprachen, im
Allgemeinen richtig, nicht ſelten hoͤchſt gluͤcklich; allerdings er-
freute die Schule des Coſimo Roſelli durch Schaͤrfe und Deut-
lichkeit der Charakteriſtik. Doch wenn es den Ausdruck rei-
nen Gemuͤthes und religioͤſer Stimmungen galt, verfehlten ſie
durchhin die innere Bedeutung ihrer Aufgaben. Beſonders
mißgluͤckte ihnen die Madonna, deren leicht verletzliche Idee
von den Giottesken ungleich reiner aufgefaßt worden; obwohl
hier Taͤuſchungen moͤglich ſind, da deren allgemeine und leichte
Andeutung der Phantaſie des Beſchauenden einen weiten Spiel-
raum gewaͤhrt, waͤhrend die beſtimmtere Darſtellung der ſpaͤ-
teren Florentiner uͤber allen Zweifel erhebt: daß die Madonnen
des Fra Filippo meiſt gemein ſind, des Coſimo Roſelli ab-
ſcheulich, des Sandro und Domenico Ghirlandajo ehrliche
Buͤrgerfrauen, des Filippino liebliche Dirnen. Dahingegen
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[309/0327] Verochio ausgehenden, gemiſcht bildneriſch-maleriſchen Rich- tung es vorbehalten war, der nun ſchon mehrſeitig ausgebil- deten Malerey der Florentiner zu verleihen, was ſelbſt jenen Meiſterwerken des Ghirlandajo noch fehlte: Gruͤndlichkeit und Feinheit in der Auffaſſung der Form, Sicherheit und Zartheit in ihrer Anwendung auf maleriſche Darſtellungen. Dieſes, ſchon an ſich ſelbſt unermeßliche Verdienſt, um die Vollendung und tiefere Begruͤndung der maleriſchen Tech- nik, erhoͤhete Lionardo durch eine reinere, ernſtlicher gemeinte Auffaſſung der obwaltenden kirchlichen Kunſtaufgaben, als waͤhrend der zweyten Haͤlfte des funfzehnten Jahrhundertes bey den florentiniſchen Malern vorzukommen pflegt. Aller- dings erfaßte die Schule des Fra Filippo Aufgaben, welche ihrem Sinne fuͤr Bewegung und Handlung entſprachen, im Allgemeinen richtig, nicht ſelten hoͤchſt gluͤcklich; allerdings er- freute die Schule des Coſimo Roſelli durch Schaͤrfe und Deut- lichkeit der Charakteriſtik. Doch wenn es den Ausdruck rei- nen Gemuͤthes und religioͤſer Stimmungen galt, verfehlten ſie durchhin die innere Bedeutung ihrer Aufgaben. Beſonders mißgluͤckte ihnen die Madonna, deren leicht verletzliche Idee von den Giottesken ungleich reiner aufgefaßt worden; obwohl hier Taͤuſchungen moͤglich ſind, da deren allgemeine und leichte Andeutung der Phantaſie des Beſchauenden einen weiten Spiel- raum gewaͤhrt, waͤhrend die beſtimmtere Darſtellung der ſpaͤ- teren Florentiner uͤber allen Zweifel erhebt: daß die Madonnen des Fra Filippo meiſt gemein ſind, des Coſimo Roſelli ab- ſcheulich, des Sandro und Domenico Ghirlandajo ehrliche Buͤrgerfrauen, des Filippino liebliche Dirnen. Dahingegen gelang es dem Lionardo, ſchon ſeinen aͤlteren Madonnen (in ſ. Onofrio, im Hauſe Buonviſi) einen geheimen Zauber zu

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/327>, abgerufen am 22.11.2024.