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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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wollen, so dürfte die Geschichte der Kunstbestrebungen der letz-
ten Jahrhunderte minder unerfreulich und tröstlicher seyn, als
nun der Fall ist. Denn gewiß gehören die Vorzüge der ra-
phaelischen Leistungen nicht einzig der übrigens unbestreitbaren
Größe und Schönheit seiner Eigenthümlichkeit, vielmehr guten-
theils auch dem Glücke an, welches ihn zeitig auf die einzig
rechte Bahn geleitet hat. Wie würde man sonst sich erklären
können, daß so viele seine Zeitgenossen, bey größter Verschie-
denheit des eigenthümlichen Seyns und Trachtens, doch ihm
so nahe gekommen sind, als Alle wissen, denen der Werth
und die Bedeutung der Benennung, Cinquecentisten, ganz ge-
läufig ist. Indeß enthalten die Leistungen dieser großen Zeit-
genossenschaft die vielseitigste Entfaltung der höheren Kunstbe-
strebungen neuerer Zeiten, werden daher aus einem ganz an-
deren Standpuncte zu betrachten seyn, als die Bestrebungen,
welche wir so eben im Ganzen übersehen haben.

Vielleicht vermissen Einige in der Ableitung welche ich
hier beschließe, eine Erwähnung des Francesco Francia und
anderer, dem Alunno und Pietro nahe verwandter Künstler.
Indeß habe ich absichtlich vermieden, über die Grenze dessen
hinauszugehn, was mir ansichtlich und umständlich bekannt ist,
und überlasse Anderen auszumachen, ob diese Verwandtschaft
aus Mittheilung und gegenseitiger Anregung, oder vielmehr
aus allgemeineren Ursachen zu erklären sey.

Eben so wenig fand ich die Stelle, wo des Piero di
Cosimo
erwähnt werden konnte, dem Vasari eine eigene Le-
bensbeschreibung gewidmet hat. Dieser abweichende Künstler
gehört der florentinischen Schule wohl nicht in dem Maße an,
als gemeinhin angenommen wird. Sein Bestreben, dem Ton
und Auftrag der Farbe, selbst auf Unkosten des Gegenstandes

wollen, ſo duͤrfte die Geſchichte der Kunſtbeſtrebungen der letz-
ten Jahrhunderte minder unerfreulich und troͤſtlicher ſeyn, als
nun der Fall iſt. Denn gewiß gehoͤren die Vorzuͤge der ra-
phaeliſchen Leiſtungen nicht einzig der uͤbrigens unbeſtreitbaren
Groͤße und Schoͤnheit ſeiner Eigenthuͤmlichkeit, vielmehr guten-
theils auch dem Gluͤcke an, welches ihn zeitig auf die einzig
rechte Bahn geleitet hat. Wie wuͤrde man ſonſt ſich erklaͤren
koͤnnen, daß ſo viele ſeine Zeitgenoſſen, bey groͤßter Verſchie-
denheit des eigenthuͤmlichen Seyns und Trachtens, doch ihm
ſo nahe gekommen ſind, als Alle wiſſen, denen der Werth
und die Bedeutung der Benennung, Cinquecentiſten, ganz ge-
laͤufig iſt. Indeß enthalten die Leiſtungen dieſer großen Zeit-
genoſſenſchaft die vielſeitigſte Entfaltung der hoͤheren Kunſtbe-
ſtrebungen neuerer Zeiten, werden daher aus einem ganz an-
deren Standpuncte zu betrachten ſeyn, als die Beſtrebungen,
welche wir ſo eben im Ganzen uͤberſehen haben.

Vielleicht vermiſſen Einige in der Ableitung welche ich
hier beſchließe, eine Erwaͤhnung des Francesco Francia und
anderer, dem Alunno und Pietro nahe verwandter Kuͤnſtler.
Indeß habe ich abſichtlich vermieden, uͤber die Grenze deſſen
hinauszugehn, was mir anſichtlich und umſtaͤndlich bekannt iſt,
und uͤberlaſſe Anderen auszumachen, ob dieſe Verwandtſchaft
aus Mittheilung und gegenſeitiger Anregung, oder vielmehr
aus allgemeineren Urſachen zu erklaͤren ſey.

Eben ſo wenig fand ich die Stelle, wo des Piero di
Coſimo
erwaͤhnt werden konnte, dem Vaſari eine eigene Le-
bensbeſchreibung gewidmet hat. Dieſer abweichende Kuͤnſtler
gehoͤrt der florentiniſchen Schule wohl nicht in dem Maße an,
als gemeinhin angenommen wird. Sein Beſtreben, dem Ton
und Auftrag der Farbe, ſelbſt auf Unkoſten des Gegenſtandes

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[351/0369] wollen, ſo duͤrfte die Geſchichte der Kunſtbeſtrebungen der letz- ten Jahrhunderte minder unerfreulich und troͤſtlicher ſeyn, als nun der Fall iſt. Denn gewiß gehoͤren die Vorzuͤge der ra- phaeliſchen Leiſtungen nicht einzig der uͤbrigens unbeſtreitbaren Groͤße und Schoͤnheit ſeiner Eigenthuͤmlichkeit, vielmehr guten- theils auch dem Gluͤcke an, welches ihn zeitig auf die einzig rechte Bahn geleitet hat. Wie wuͤrde man ſonſt ſich erklaͤren koͤnnen, daß ſo viele ſeine Zeitgenoſſen, bey groͤßter Verſchie- denheit des eigenthuͤmlichen Seyns und Trachtens, doch ihm ſo nahe gekommen ſind, als Alle wiſſen, denen der Werth und die Bedeutung der Benennung, Cinquecentiſten, ganz ge- laͤufig iſt. Indeß enthalten die Leiſtungen dieſer großen Zeit- genoſſenſchaft die vielſeitigſte Entfaltung der hoͤheren Kunſtbe- ſtrebungen neuerer Zeiten, werden daher aus einem ganz an- deren Standpuncte zu betrachten ſeyn, als die Beſtrebungen, welche wir ſo eben im Ganzen uͤberſehen haben. Vielleicht vermiſſen Einige in der Ableitung welche ich hier beſchließe, eine Erwaͤhnung des Francesco Francia und anderer, dem Alunno und Pietro nahe verwandter Kuͤnſtler. Indeß habe ich abſichtlich vermieden, uͤber die Grenze deſſen hinauszugehn, was mir anſichtlich und umſtaͤndlich bekannt iſt, und uͤberlaſſe Anderen auszumachen, ob dieſe Verwandtſchaft aus Mittheilung und gegenſeitiger Anregung, oder vielmehr aus allgemeineren Urſachen zu erklaͤren ſey. Eben ſo wenig fand ich die Stelle, wo des Piero di Coſimo erwaͤhnt werden konnte, dem Vaſari eine eigene Le- bensbeſchreibung gewidmet hat. Dieſer abweichende Kuͤnſtler gehoͤrt der florentiniſchen Schule wohl nicht in dem Maße an, als gemeinhin angenommen wird. Sein Beſtreben, dem Ton und Auftrag der Farbe, ſelbſt auf Unkoſten des Gegenſtandes

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/369>, abgerufen am 01.11.2024.