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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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ganz vorzeitigen Verfalles der Kunst, welcher fast unmittelbar
nach dem Tode Raphaels eingetreten ist, auf ganz Anderem,
als auf der Wahl des Gegenstandes, auf der Richtung der
Beziehungen. Wir wollen beide Ereignisse für sich betrachten
und versuchen, aus ihrer Erklärung für die Pflege und För-
derung der Kunst Vortheil zu ziehn.

Unläugbar ging die neuere Kunst nach Maßgabe der An-
zeigen, welche ihr erstes Aufblühn begleiteten, dem Ziele, wel-
ches sie erreichen sollte, nur langsam und mit vielen Unter-
brechungen entgegen. Die großen Meister des dreyzehnten
Jahrhundertes, Nicolas von Pisa mit seinen Gehülfen, Cima-
bue
, Duccio, vielleicht selbst Ugolino, wenn die Madonna in
Orsanmichele sein Werk ist, erreichten, auch abgesehn von der
Würde und Herrlichkeit ihres Absehns, in der Ausbildung des
Einzelnen, im Ausdruck und in der Bezeichnung, verglichen
mit ihren Vorgängern eine sehr hohe Stufe. Weit entfernt,
diese Künstler zu überbieten, blieb Giotto und wer ihm folgte,
was die Charakteristik sittlichen Seyns und Wollens angeht,
weit hinter seinen Vorgängern zurück; wir erinnern uns, daß
sein Ruhm theils auf Abänderung der Manier, oder der ma-
lerischen Handhabung, theils auch auf der Einführung einer
neuen Richtung auf Handlung und Bewegung und freyere Er-
findung sich gründete, wodurch das Gebiet der künstlerischen
Beziehungen allerdings erweitert, doch der Sinn seiner Zeit-
genossen auf lange Zeit von der unumgänglichen Begründung
des Charakters abgelenkt ward. Nach Giotto blieb die Ma-
lerey besonders zu Florenz wohl ein Jahrhundert lang, bey
wenigen, theils schon von mir hervorgehobenen Ausnahmen,
hinsichtlich der Manier auf der Stufe, auf welche jener Stif-
ter sie erhoben hatte, hinsichtlich des Geistes, wie es überall

ganz vorzeitigen Verfalles der Kunſt, welcher faſt unmittelbar
nach dem Tode Raphaels eingetreten iſt, auf ganz Anderem,
als auf der Wahl des Gegenſtandes, auf der Richtung der
Beziehungen. Wir wollen beide Ereigniſſe fuͤr ſich betrachten
und verſuchen, aus ihrer Erklaͤrung fuͤr die Pflege und Foͤr-
derung der Kunſt Vortheil zu ziehn.

Unlaͤugbar ging die neuere Kunſt nach Maßgabe der An-
zeigen, welche ihr erſtes Aufbluͤhn begleiteten, dem Ziele, wel-
ches ſie erreichen ſollte, nur langſam und mit vielen Unter-
brechungen entgegen. Die großen Meiſter des dreyzehnten
Jahrhundertes, Nicolas von Piſa mit ſeinen Gehuͤlfen, Cima-
bue
, Duccio, vielleicht ſelbſt Ugolino, wenn die Madonna in
Orſanmichele ſein Werk iſt, erreichten, auch abgeſehn von der
Wuͤrde und Herrlichkeit ihres Abſehns, in der Ausbildung des
Einzelnen, im Ausdruck und in der Bezeichnung, verglichen
mit ihren Vorgaͤngern eine ſehr hohe Stufe. Weit entfernt,
dieſe Kuͤnſtler zu uͤberbieten, blieb Giotto und wer ihm folgte,
was die Charakteriſtik ſittlichen Seyns und Wollens angeht,
weit hinter ſeinen Vorgaͤngern zuruͤck; wir erinnern uns, daß
ſein Ruhm theils auf Abaͤnderung der Manier, oder der ma-
leriſchen Handhabung, theils auch auf der Einfuͤhrung einer
neuen Richtung auf Handlung und Bewegung und freyere Er-
findung ſich gruͤndete, wodurch das Gebiet der kuͤnſtleriſchen
Beziehungen allerdings erweitert, doch der Sinn ſeiner Zeit-
genoſſen auf lange Zeit von der unumgaͤnglichen Begruͤndung
des Charakters abgelenkt ward. Nach Giotto blieb die Ma-
lerey beſonders zu Florenz wohl ein Jahrhundert lang, bey
wenigen, theils ſchon von mir hervorgehobenen Ausnahmen,
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ter ſie erhoben hatte, hinſichtlich des Geiſtes, wie es uͤberall

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[399/0417] ganz vorzeitigen Verfalles der Kunſt, welcher faſt unmittelbar nach dem Tode Raphaels eingetreten iſt, auf ganz Anderem, als auf der Wahl des Gegenſtandes, auf der Richtung der Beziehungen. Wir wollen beide Ereigniſſe fuͤr ſich betrachten und verſuchen, aus ihrer Erklaͤrung fuͤr die Pflege und Foͤr- derung der Kunſt Vortheil zu ziehn. Unlaͤugbar ging die neuere Kunſt nach Maßgabe der An- zeigen, welche ihr erſtes Aufbluͤhn begleiteten, dem Ziele, wel- ches ſie erreichen ſollte, nur langſam und mit vielen Unter- brechungen entgegen. Die großen Meiſter des dreyzehnten Jahrhundertes, Nicolas von Piſa mit ſeinen Gehuͤlfen, Cima- bue, Duccio, vielleicht ſelbſt Ugolino, wenn die Madonna in Orſanmichele ſein Werk iſt, erreichten, auch abgeſehn von der Wuͤrde und Herrlichkeit ihres Abſehns, in der Ausbildung des Einzelnen, im Ausdruck und in der Bezeichnung, verglichen mit ihren Vorgaͤngern eine ſehr hohe Stufe. Weit entfernt, dieſe Kuͤnſtler zu uͤberbieten, blieb Giotto und wer ihm folgte, was die Charakteriſtik ſittlichen Seyns und Wollens angeht, weit hinter ſeinen Vorgaͤngern zuruͤck; wir erinnern uns, daß ſein Ruhm theils auf Abaͤnderung der Manier, oder der ma- leriſchen Handhabung, theils auch auf der Einfuͤhrung einer neuen Richtung auf Handlung und Bewegung und freyere Er- findung ſich gruͤndete, wodurch das Gebiet der kuͤnſtleriſchen Beziehungen allerdings erweitert, doch der Sinn ſeiner Zeit- genoſſen auf lange Zeit von der unumgaͤnglichen Begruͤndung des Charakters abgelenkt ward. Nach Giotto blieb die Ma- lerey beſonders zu Florenz wohl ein Jahrhundert lang, bey wenigen, theils ſchon von mir hervorgehobenen Ausnahmen, hinſichtlich der Manier auf der Stufe, auf welche jener Stif- ter ſie erhoben hatte, hinſichtlich des Geiſtes, wie es uͤberall

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/417>, abgerufen am 24.11.2024.