steller zunächst eine Erneuerung der Manier, oder der techni- schen Behandlung, und in der That ergiebt es sich aus den sicheren Malereyen des Giotto und seiner florentinischen Zeit- genossen, daß er das zähere Bindemittel der griechischen Ma- ler ganz aufgegeben hat und zu jenem flüssigeren und minder verdunkelnden zurückgekehrt ist, dessen die älteren italienischen Maler, ehe sie zur griechischen Manier übergingen, lange Zeit sich bedient hatten. *) Allerdings wußte er aus diesem Bin- demittel, in welchem die geklärte Milch junger Sprossen und grüner Früchte des Feigenbaumes den Grundbestand bildet, schon ungleich mehr Vortheil zu ziehn, als jene rohesten Ma- ler des Mittelalters. Doch möchte Cennino, der seine ganze Aufmerksamkeit auf die Technik der Malerey gewendet hatte, nur diese Rückkehr zu den heimischen Gewohnheiten im Sinne haben, wo er sagt, daß Giotto die Malerey aus dem Grie- chischen ins eigenthümlich Italienische abgeändert habe.
Ghiberti hingegen bezeichnet deutlich genug, daß Giotto auch in der allgemeineren Richtung des Sinnes, in der Wahl und Behandlung seiner Aufgaben, die erfolgreichsten Neuerun- gen eingeführt hatte. Wie wir uns aus den früheren Unter- suchungen entsinnen, bewahrten die griechischen Maler, obwohl von eigenem Geiste entblößt, die Typen vieler Vorstellungen und Charaktere, welche auf früheren, beglückteren Stufen der christlichen Kunst waren ausgebildet worden. Die Würde und intensive Schönheit dieser Gebilde war, weder dem Ci- mabue, noch vornehmlich dem Duccio so gänzlich entgangen; sie hatten sie mit Freyheit nachgebildet, ihren Motiven nach- gespürt, diese, durch Vergleichung mit dem Wirklichen, neu zu
*) S. oben Abth. VII.
ſteller zunaͤchſt eine Erneuerung der Manier, oder der techni- ſchen Behandlung, und in der That ergiebt es ſich aus den ſicheren Malereyen des Giotto und ſeiner florentiniſchen Zeit- genoſſen, daß er das zaͤhere Bindemittel der griechiſchen Ma- ler ganz aufgegeben hat und zu jenem fluͤſſigeren und minder verdunkelnden zuruͤckgekehrt iſt, deſſen die aͤlteren italieniſchen Maler, ehe ſie zur griechiſchen Manier uͤbergingen, lange Zeit ſich bedient hatten. *) Allerdings wußte er aus dieſem Bin- demittel, in welchem die geklaͤrte Milch junger Sproſſen und gruͤner Fruͤchte des Feigenbaumes den Grundbeſtand bildet, ſchon ungleich mehr Vortheil zu ziehn, als jene roheſten Ma- ler des Mittelalters. Doch moͤchte Cennino, der ſeine ganze Aufmerkſamkeit auf die Technik der Malerey gewendet hatte, nur dieſe Ruͤckkehr zu den heimiſchen Gewohnheiten im Sinne haben, wo er ſagt, daß Giotto die Malerey aus dem Grie- chiſchen ins eigenthuͤmlich Italieniſche abgeaͤndert habe.
Ghiberti hingegen bezeichnet deutlich genug, daß Giotto auch in der allgemeineren Richtung des Sinnes, in der Wahl und Behandlung ſeiner Aufgaben, die erfolgreichſten Neuerun- gen eingefuͤhrt hatte. Wie wir uns aus den fruͤheren Unter- ſuchungen entſinnen, bewahrten die griechiſchen Maler, obwohl von eigenem Geiſte entbloͤßt, die Typen vieler Vorſtellungen und Charaktere, welche auf fruͤheren, begluͤckteren Stufen der chriſtlichen Kunſt waren ausgebildet worden. Die Wuͤrde und intenſive Schoͤnheit dieſer Gebilde war, weder dem Ci- mabue, noch vornehmlich dem Duccio ſo gaͤnzlich entgangen; ſie hatten ſie mit Freyheit nachgebildet, ihren Motiven nach- geſpuͤrt, dieſe, durch Vergleichung mit dem Wirklichen, neu zu
*) S. oben Abth. VII.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0061"n="43"/>ſteller zunaͤchſt eine Erneuerung der Manier, oder der techni-<lb/>ſchen Behandlung, und in der That ergiebt es ſich aus den<lb/>ſicheren Malereyen des <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118539477">Giotto</persName> und ſeiner florentiniſchen Zeit-<lb/>
genoſſen, daß er das zaͤhere Bindemittel der griechiſchen Ma-<lb/>
ler ganz aufgegeben hat und zu jenem fluͤſſigeren und minder<lb/>
verdunkelnden zuruͤckgekehrt iſt, deſſen die aͤlteren italieniſchen<lb/>
Maler, ehe ſie zur griechiſchen Manier uͤbergingen, lange Zeit<lb/>ſich bedient hatten. <noteplace="foot"n="*)">S. oben Abth. <hirendition="#aq">VII</hi>.</note> Allerdings wußte er aus dieſem Bin-<lb/>
demittel, in welchem die geklaͤrte Milch junger Sproſſen und<lb/>
gruͤner Fruͤchte des Feigenbaumes den Grundbeſtand bildet,<lb/>ſchon ungleich mehr Vortheil zu ziehn, als jene roheſten Ma-<lb/>
ler des Mittelalters. Doch moͤchte <persNameref="http://d-nb.info/gnd/100735797">Cennino</persName>, der ſeine ganze<lb/>
Aufmerkſamkeit auf die Technik der Malerey gewendet hatte,<lb/>
nur dieſe Ruͤckkehr zu den heimiſchen Gewohnheiten im Sinne<lb/>
haben, wo er ſagt, daß <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118539477">Giotto</persName> die Malerey aus dem Grie-<lb/>
chiſchen ins eigenthuͤmlich Italieniſche abgeaͤndert habe.</p><lb/><p><persNameref="http://d-nb.info/gnd/118539086">Ghiberti</persName> hingegen bezeichnet deutlich genug, daß <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118539477">Giotto</persName><lb/>
auch in der allgemeineren Richtung des Sinnes, in der Wahl<lb/>
und Behandlung ſeiner Aufgaben, die erfolgreichſten Neuerun-<lb/>
gen eingefuͤhrt hatte. Wie wir uns aus den fruͤheren Unter-<lb/>ſuchungen entſinnen, bewahrten die griechiſchen Maler, obwohl<lb/>
von eigenem Geiſte entbloͤßt, die Typen vieler Vorſtellungen<lb/>
und Charaktere, welche auf fruͤheren, begluͤckteren Stufen der<lb/>
chriſtlichen Kunſt waren ausgebildet worden. Die Wuͤrde<lb/>
und intenſive Schoͤnheit dieſer Gebilde war, weder dem <persNameref="http://d-nb.info/gnd/119138883">Ci-<lb/>
mabue</persName>, noch vornehmlich dem <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118527711">Duccio</persName>ſo gaͤnzlich entgangen;<lb/>ſie hatten ſie mit Freyheit nachgebildet, ihren Motiven nach-<lb/>
geſpuͤrt, dieſe, durch Vergleichung mit dem Wirklichen, neu zu<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[43/0061]
ſteller zunaͤchſt eine Erneuerung der Manier, oder der techni-
ſchen Behandlung, und in der That ergiebt es ſich aus den
ſicheren Malereyen des Giotto und ſeiner florentiniſchen Zeit-
genoſſen, daß er das zaͤhere Bindemittel der griechiſchen Ma-
ler ganz aufgegeben hat und zu jenem fluͤſſigeren und minder
verdunkelnden zuruͤckgekehrt iſt, deſſen die aͤlteren italieniſchen
Maler, ehe ſie zur griechiſchen Manier uͤbergingen, lange Zeit
ſich bedient hatten. *) Allerdings wußte er aus dieſem Bin-
demittel, in welchem die geklaͤrte Milch junger Sproſſen und
gruͤner Fruͤchte des Feigenbaumes den Grundbeſtand bildet,
ſchon ungleich mehr Vortheil zu ziehn, als jene roheſten Ma-
ler des Mittelalters. Doch moͤchte Cennino, der ſeine ganze
Aufmerkſamkeit auf die Technik der Malerey gewendet hatte,
nur dieſe Ruͤckkehr zu den heimiſchen Gewohnheiten im Sinne
haben, wo er ſagt, daß Giotto die Malerey aus dem Grie-
chiſchen ins eigenthuͤmlich Italieniſche abgeaͤndert habe.
Ghiberti hingegen bezeichnet deutlich genug, daß Giotto
auch in der allgemeineren Richtung des Sinnes, in der Wahl
und Behandlung ſeiner Aufgaben, die erfolgreichſten Neuerun-
gen eingefuͤhrt hatte. Wie wir uns aus den fruͤheren Unter-
ſuchungen entſinnen, bewahrten die griechiſchen Maler, obwohl
von eigenem Geiſte entbloͤßt, die Typen vieler Vorſtellungen
und Charaktere, welche auf fruͤheren, begluͤckteren Stufen der
chriſtlichen Kunſt waren ausgebildet worden. Die Wuͤrde
und intenſive Schoͤnheit dieſer Gebilde war, weder dem Ci-
mabue, noch vornehmlich dem Duccio ſo gaͤnzlich entgangen;
ſie hatten ſie mit Freyheit nachgebildet, ihren Motiven nach-
geſpuͤrt, dieſe, durch Vergleichung mit dem Wirklichen, neu zu
*) S. oben Abth. VII.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/61>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.