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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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damaligem höchst niedrigem Stande der malerischen Technik,
weder den Anschein der Dinge, noch ihren Charakter vollstän-
dig fassen und ausdrücken konnte, so wußte er doch seiner
Darstellung so viel durchgehende Gleichmäßigkeit, den gegen-
seitigen Beziehungen der Gestalten so viel Bewegung, Man-
nichfaltigkeit und Ausdruck zu geben, als hinreichen mag, seine
Richtung auf Beobachtung des ihn umgebenden Lebens zu be-
währen und zu erklären, daß die Zeitgenossen, bey der jugend-
lichsten Phantasie und in Abwesenheit von Gegenständen der
Vergleichung, in seinen Malereyen einen täuschenden Anschein
wirklichen Seyns und Geschehens wahrzunehmen glaubten.

Eben wie Ghiberti, an einer oben ausgehobenen Stelle,
von Giotto gerühmt hatte, er habe Natürlichkeit in die Kunst
eingeführt (was hier voraussetzlich nicht die Form, sondern
die Handlung angeht), so schrieb auch Johannes Villani: *)
Giotto unser Mitbürger, welcher in der Malerkunst der grö-
ßeste Meister war, den es zu seiner Zeit gegeben, und der-
jenige, welcher jegliche Figur und Handlung am na-
türlichsten dargestellt
. **) In demselben Sinne sagt
Boccaz, obwohl nicht ohne rednerische Uebertreibung: daß die
Natur nichts hervorbringe, was Giotto nicht bis zur Täu-
schung nachgeahmt habe. ***) Die Erwähnungen des Dante
und Petrarca, (der ihm jedoch seinen Simon von Siena
gleichstellt) sind, gleich den Lobsprüchen vieler florentinischen

*) Villani, Gio. Stor. Fior. libr. XI. cap. XII.
**) Das. -- e quegli, che piu trasse ogni figura ed atti al na-
turale,
-- genau genommen: welcher die Erscheinung der
Dinge mit der größten Treue und dem glücklichsten Er-
folge nachgeahmt hat
.
***) Decamerone, giorn. sesta, Nov. V.

damaligem hoͤchſt niedrigem Stande der maleriſchen Technik,
weder den Anſchein der Dinge, noch ihren Charakter vollſtaͤn-
dig faſſen und ausdruͤcken konnte, ſo wußte er doch ſeiner
Darſtellung ſo viel durchgehende Gleichmaͤßigkeit, den gegen-
ſeitigen Beziehungen der Geſtalten ſo viel Bewegung, Man-
nichfaltigkeit und Ausdruck zu geben, als hinreichen mag, ſeine
Richtung auf Beobachtung des ihn umgebenden Lebens zu be-
waͤhren und zu erklaͤren, daß die Zeitgenoſſen, bey der jugend-
lichſten Phantaſie und in Abweſenheit von Gegenſtaͤnden der
Vergleichung, in ſeinen Malereyen einen taͤuſchenden Anſchein
wirklichen Seyns und Geſchehens wahrzunehmen glaubten.

Eben wie Ghiberti, an einer oben ausgehobenen Stelle,
von Giotto geruͤhmt hatte, er habe Natuͤrlichkeit in die Kunſt
eingefuͤhrt (was hier vorausſetzlich nicht die Form, ſondern
die Handlung angeht), ſo ſchrieb auch Johannes Villani: *)
Giotto unſer Mitbuͤrger, welcher in der Malerkunſt der groͤ-
ßeſte Meiſter war, den es zu ſeiner Zeit gegeben, und der-
jenige, welcher jegliche Figur und Handlung am na-
tuͤrlichſten dargeſtellt
. **) In demſelben Sinne ſagt
Boccaz, obwohl nicht ohne redneriſche Uebertreibung: daß die
Natur nichts hervorbringe, was Giotto nicht bis zur Taͤu-
ſchung nachgeahmt habe. ***) Die Erwaͤhnungen des Dante
und Petrarca, (der ihm jedoch ſeinen Simon von Siena
gleichſtellt) ſind, gleich den Lobſpruͤchen vieler florentiniſchen

*) Villani, Gio. Stor. Fior. libr. XI. cap. XII.
**) Daſ. — e quegli, che più trasse ogni figura ed atti al na-
turale,
— genau genommen: welcher die Erſcheinung der
Dinge mit der groͤßten Treue und dem gluͤcklichſten Er-
folge nachgeahmt hat
.
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[45/0063] damaligem hoͤchſt niedrigem Stande der maleriſchen Technik, weder den Anſchein der Dinge, noch ihren Charakter vollſtaͤn- dig faſſen und ausdruͤcken konnte, ſo wußte er doch ſeiner Darſtellung ſo viel durchgehende Gleichmaͤßigkeit, den gegen- ſeitigen Beziehungen der Geſtalten ſo viel Bewegung, Man- nichfaltigkeit und Ausdruck zu geben, als hinreichen mag, ſeine Richtung auf Beobachtung des ihn umgebenden Lebens zu be- waͤhren und zu erklaͤren, daß die Zeitgenoſſen, bey der jugend- lichſten Phantaſie und in Abweſenheit von Gegenſtaͤnden der Vergleichung, in ſeinen Malereyen einen taͤuſchenden Anſchein wirklichen Seyns und Geſchehens wahrzunehmen glaubten. Eben wie Ghiberti, an einer oben ausgehobenen Stelle, von Giotto geruͤhmt hatte, er habe Natuͤrlichkeit in die Kunſt eingefuͤhrt (was hier vorausſetzlich nicht die Form, ſondern die Handlung angeht), ſo ſchrieb auch Johannes Villani: *) Giotto unſer Mitbuͤrger, welcher in der Malerkunſt der groͤ- ßeſte Meiſter war, den es zu ſeiner Zeit gegeben, und der- jenige, welcher jegliche Figur und Handlung am na- tuͤrlichſten dargeſtellt. **) In demſelben Sinne ſagt Boccaz, obwohl nicht ohne redneriſche Uebertreibung: daß die Natur nichts hervorbringe, was Giotto nicht bis zur Taͤu- ſchung nachgeahmt habe. ***) Die Erwaͤhnungen des Dante und Petrarca, (der ihm jedoch ſeinen Simon von Siena gleichſtellt) ſind, gleich den Lobſpruͤchen vieler florentiniſchen *) Villani, Gio. Stor. Fior. libr. XI. cap. XII. **) Daſ. — e quegli, che più trasse ogni figura ed atti al na- turale, — genau genommen: welcher die Erſcheinung der Dinge mit der groͤßten Treue und dem gluͤcklichſten Er- folge nachgeahmt hat. ***) Decamerone, giorn. sesta, Nov. V.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/63>, abgerufen am 23.11.2024.