der, als eben nur den Vasari. Dessenungeachtet halte ich sie für ächt, weil die angegebenen Eigenthümlichkeiten der Ma- nier darin deutlich zu Tage liegen; weil sie, was die Erfin- dung angeht, geistreich, bewegt und abwechselnd sind, ein Ver- dienst, welches höchst wahrscheinlich, verbunden mit Leichtig- keit der Production und Behandlung, Vieles beygetragen, dem Giotto jene ungemessene Verehrung seiner Zeitgenossen zu er- werben. Im Leben des heiligen Franz neigt er sich hie und da zum Scherzhaften; hingegen hat er im Leben des Heilands verschiedentlich die herkömmliche Anordnung wiederum hervor- gezogen, besonders in der Transfiguration, welche den älteren Darstellungen griechischer Maler nachgebildet ist. -- Dieselbe Anordnung gab noch Raphael der oberen Hälfte seines be- rühmten Altarbildes; vielleicht entlehnte er sie aus jener Folge, welche ihm bekannt seyn mußte; unter allen Umstän- den zeigte er hier, wie in anderen Fällen, daß man aus sei- nen Vorgängern allgemeine Züge entlehnen könne, ohne in das vergebliche und müssige Streben zu verfallen, deren persön- liche, örtliche, zeitliche Eigenthümlichkeiten nachzuahmen.
Nach dem Ghiberti hat Giotto auch zu Neapel gemalt, und Vasari, der hier, ich weiß nicht auf welchem Grunde bauend, mehr in das Einzelne eingeht, will, daß auch die Mauergemälde der Kirche der Madonna incoronata von Giotto's Hand seyen. Vor etwa zwanzig Jahren war noch ein Theil dieser Malereyen, theils beschädigt, theils ganz wohl erhalten über dem Chore vorhanden; sie erfüllten die Felder eines gothischen Gewölbes und enthielten Darstellungen der sieben Sacramente. Die beiden besterhaltenen, der Kirche zu- gewendeten, genügten mir in der Anordnung, die mir bequem und harmonisch zu seyn schien. In der Priesterweihe singen
und
der, als eben nur den Vaſari. Deſſenungeachtet halte ich ſie fuͤr aͤcht, weil die angegebenen Eigenthuͤmlichkeiten der Ma- nier darin deutlich zu Tage liegen; weil ſie, was die Erfin- dung angeht, geiſtreich, bewegt und abwechſelnd ſind, ein Ver- dienſt, welches hoͤchſt wahrſcheinlich, verbunden mit Leichtig- keit der Production und Behandlung, Vieles beygetragen, dem Giotto jene ungemeſſene Verehrung ſeiner Zeitgenoſſen zu er- werben. Im Leben des heiligen Franz neigt er ſich hie und da zum Scherzhaften; hingegen hat er im Leben des Heilands verſchiedentlich die herkoͤmmliche Anordnung wiederum hervor- gezogen, beſonders in der Transfiguration, welche den aͤlteren Darſtellungen griechiſcher Maler nachgebildet iſt. — Dieſelbe Anordnung gab noch Raphael der oberen Haͤlfte ſeines be- ruͤhmten Altarbildes; vielleicht entlehnte er ſie aus jener Folge, welche ihm bekannt ſeyn mußte; unter allen Umſtaͤn- den zeigte er hier, wie in anderen Faͤllen, daß man aus ſei- nen Vorgaͤngern allgemeine Zuͤge entlehnen koͤnne, ohne in das vergebliche und muͤſſige Streben zu verfallen, deren perſoͤn- liche, oͤrtliche, zeitliche Eigenthuͤmlichkeiten nachzuahmen.
Nach dem Ghiberti hat Giotto auch zu Neapel gemalt, und Vaſari, der hier, ich weiß nicht auf welchem Grunde bauend, mehr in das Einzelne eingeht, will, daß auch die Mauergemaͤlde der Kirche der Madonna incoronata von Giotto’s Hand ſeyen. Vor etwa zwanzig Jahren war noch ein Theil dieſer Malereyen, theils beſchaͤdigt, theils ganz wohl erhalten uͤber dem Chore vorhanden; ſie erfuͤllten die Felder eines gothiſchen Gewoͤlbes und enthielten Darſtellungen der ſieben Sacramente. Die beiden beſterhaltenen, der Kirche zu- gewendeten, genuͤgten mir in der Anordnung, die mir bequem und harmoniſch zu ſeyn ſchien. In der Prieſterweihe ſingen
und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0082"n="64"/>
der, als eben nur den <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Vaſari</persName>. Deſſenungeachtet halte ich ſie<lb/>
fuͤr aͤcht, weil die angegebenen Eigenthuͤmlichkeiten der Ma-<lb/>
nier darin deutlich zu Tage liegen; weil ſie, was die Erfin-<lb/>
dung angeht, geiſtreich, bewegt und abwechſelnd ſind, ein Ver-<lb/>
dienſt, welches hoͤchſt wahrſcheinlich, verbunden mit Leichtig-<lb/>
keit der Production und Behandlung, Vieles beygetragen, dem<lb/><persNameref="http://d-nb.info/gnd/118539477">Giotto</persName> jene ungemeſſene Verehrung ſeiner Zeitgenoſſen zu er-<lb/>
werben. Im Leben des heiligen <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118534963">Franz</persName> neigt er ſich hie und<lb/>
da zum Scherzhaften; hingegen hat er im Leben des Heilands<lb/>
verſchiedentlich die herkoͤmmliche Anordnung wiederum hervor-<lb/>
gezogen, beſonders in der Transfiguration, welche den aͤlteren<lb/>
Darſtellungen griechiſcher Maler nachgebildet iſt. — Dieſelbe<lb/>
Anordnung gab noch <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName> der oberen Haͤlfte ſeines be-<lb/>
ruͤhmten Altarbildes; vielleicht entlehnte er ſie aus jener<lb/>
Folge, welche ihm bekannt ſeyn mußte; unter allen Umſtaͤn-<lb/>
den zeigte er hier, wie in anderen Faͤllen, daß man aus ſei-<lb/>
nen Vorgaͤngern allgemeine Zuͤge entlehnen koͤnne, ohne in das<lb/>
vergebliche und muͤſſige Streben zu verfallen, deren perſoͤn-<lb/>
liche, oͤrtliche, zeitliche Eigenthuͤmlichkeiten nachzuahmen.</p><lb/><p>Nach dem <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118539086">Ghiberti</persName> hat <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118539477">Giotto</persName> auch zu <placeName>Neapel</placeName> gemalt,<lb/>
und <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Vaſari</persName>, der hier, ich weiß nicht auf welchem Grunde<lb/>
bauend, mehr in das Einzelne eingeht, will, daß auch die<lb/>
Mauergemaͤlde der Kirche der Madonna incoronata von<lb/><persNameref="http://d-nb.info/gnd/118539477">Giotto’s</persName> Hand ſeyen. Vor etwa zwanzig Jahren war noch<lb/>
ein Theil dieſer Malereyen, theils beſchaͤdigt, theils ganz wohl<lb/>
erhalten uͤber dem Chore vorhanden; ſie erfuͤllten die Felder<lb/>
eines gothiſchen Gewoͤlbes und enthielten Darſtellungen der<lb/>ſieben Sacramente. Die beiden beſterhaltenen, der Kirche zu-<lb/>
gewendeten, genuͤgten mir in der Anordnung, die mir bequem<lb/>
und harmoniſch zu ſeyn ſchien. In der Prieſterweihe ſingen<lb/><fwplace="bottom"type="catch">und</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[64/0082]
der, als eben nur den Vaſari. Deſſenungeachtet halte ich ſie
fuͤr aͤcht, weil die angegebenen Eigenthuͤmlichkeiten der Ma-
nier darin deutlich zu Tage liegen; weil ſie, was die Erfin-
dung angeht, geiſtreich, bewegt und abwechſelnd ſind, ein Ver-
dienſt, welches hoͤchſt wahrſcheinlich, verbunden mit Leichtig-
keit der Production und Behandlung, Vieles beygetragen, dem
Giotto jene ungemeſſene Verehrung ſeiner Zeitgenoſſen zu er-
werben. Im Leben des heiligen Franz neigt er ſich hie und
da zum Scherzhaften; hingegen hat er im Leben des Heilands
verſchiedentlich die herkoͤmmliche Anordnung wiederum hervor-
gezogen, beſonders in der Transfiguration, welche den aͤlteren
Darſtellungen griechiſcher Maler nachgebildet iſt. — Dieſelbe
Anordnung gab noch Raphael der oberen Haͤlfte ſeines be-
ruͤhmten Altarbildes; vielleicht entlehnte er ſie aus jener
Folge, welche ihm bekannt ſeyn mußte; unter allen Umſtaͤn-
den zeigte er hier, wie in anderen Faͤllen, daß man aus ſei-
nen Vorgaͤngern allgemeine Zuͤge entlehnen koͤnne, ohne in das
vergebliche und muͤſſige Streben zu verfallen, deren perſoͤn-
liche, oͤrtliche, zeitliche Eigenthuͤmlichkeiten nachzuahmen.
Nach dem Ghiberti hat Giotto auch zu Neapel gemalt,
und Vaſari, der hier, ich weiß nicht auf welchem Grunde
bauend, mehr in das Einzelne eingeht, will, daß auch die
Mauergemaͤlde der Kirche der Madonna incoronata von
Giotto’s Hand ſeyen. Vor etwa zwanzig Jahren war noch
ein Theil dieſer Malereyen, theils beſchaͤdigt, theils ganz wohl
erhalten uͤber dem Chore vorhanden; ſie erfuͤllten die Felder
eines gothiſchen Gewoͤlbes und enthielten Darſtellungen der
ſieben Sacramente. Die beiden beſterhaltenen, der Kirche zu-
gewendeten, genuͤgten mir in der Anordnung, die mir bequem
und harmoniſch zu ſeyn ſchien. In der Prieſterweihe ſingen
und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/82>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.