Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

mehr als irdisch ist, umgeben von den Evangelisten, Erzvätern,
ersten Blutzeugen der Kirche; alle in regelmäßiger, doch mit
ungemeiner Feinheit sanft abgeänderter Anordnung. Wunder-
bar geistig ist die Gestalt des Heilands, in den Vätern und
Heiligen eine Güte und Milde des Charakters, welche kein
anderer Künstler jemals erreicht hat. Man nennt dieses Bild,
nach einer Andeutung des Vasari *), die Disputa.

In der folgenden Abtheilung die Wissenschaft und prac-
tische Aufrechterhaltung des Rechtes. Die allegorische Figur
erfüllt, wie dort, das größere Rund; darauf im Zwickel das
Urtheil Salomons, und in dem Halbrunde über dem Fenster
drey allegorische Figuren, die Tugenden, ohne welche die
Rechtswissenschaft für die Menschheit ohne Nutzen bleibt, wohl
selbst ihr verderblich wird. Den ausfallenden Raum zu bei-
den Seiten des Fensters erfüllen zwey Handlungen, des rö-
mischen, des canonischen Rechts Sicherung durch Justinian,
durch Gregor IX.

In der dritten Abtheilung zuerst die Philosophie, dann
keine symbolische Handlung, sondern eine zweyte Allegorie,
die Astronomie, oder Astrologie. Das weite Halbrund der
anstoßenden Wand enthält, was man gemeinhin die Schule
von Athen nennt. Wer zu diesem berühmten Werke den all-
gemeinen Gedanken dem Künstler angedeutet hat, wollte offen-
bar die Philosophie theils als Kunst, die Wahrheit zu erfas-
sen und zu behaupten, theils auch als Inbegriff menschlichen
Wissens ausgedrückt sehn.

Die Poesie beschließt den Cyclus. Die weibliche, einer

*) Vas . vita di Raff. d'Urb. -- "e sopra l'ostia, che e sull' al-
tare, disputano."
Indeß liegt dies nicht in dem Sinne der Auf-
gabe.

mehr als irdiſch iſt, umgeben von den Evangeliſten, Erzvaͤtern,
erſten Blutzeugen der Kirche; alle in regelmaͤßiger, doch mit
ungemeiner Feinheit ſanft abgeaͤnderter Anordnung. Wunder-
bar geiſtig iſt die Geſtalt des Heilands, in den Vaͤtern und
Heiligen eine Guͤte und Milde des Charakters, welche kein
anderer Kuͤnſtler jemals erreicht hat. Man nennt dieſes Bild,
nach einer Andeutung des Vaſari *), die Diſputa.

In der folgenden Abtheilung die Wiſſenſchaft und prac-
tiſche Aufrechterhaltung des Rechtes. Die allegoriſche Figur
erfuͤllt, wie dort, das groͤßere Rund; darauf im Zwickel das
Urtheil Salomons, und in dem Halbrunde uͤber dem Fenſter
drey allegoriſche Figuren, die Tugenden, ohne welche die
Rechtswiſſenſchaft fuͤr die Menſchheit ohne Nutzen bleibt, wohl
ſelbſt ihr verderblich wird. Den ausfallenden Raum zu bei-
den Seiten des Fenſters erfuͤllen zwey Handlungen, des roͤ-
miſchen, des canoniſchen Rechts Sicherung durch Juſtinian,
durch Gregor IX.

In der dritten Abtheilung zuerſt die Philoſophie, dann
keine ſymboliſche Handlung, ſondern eine zweyte Allegorie,
die Aſtronomie, oder Aſtrologie. Das weite Halbrund der
anſtoßenden Wand enthaͤlt, was man gemeinhin die Schule
von Athen nennt. Wer zu dieſem beruͤhmten Werke den all-
gemeinen Gedanken dem Kuͤnſtler angedeutet hat, wollte offen-
bar die Philoſophie theils als Kunſt, die Wahrheit zu erfaſ-
ſen und zu behaupten, theils auch als Inbegriff menſchlichen
Wiſſens ausgedruͤckt ſehn.

Die Poeſie beſchließt den Cyclus. Die weibliche, einer

*) Vas . vita di Raff. d’Urb. — „e sopra l’ostia, che é sull’ al-
tare, disputano.“
Indeß liegt dies nicht in dem Sinne der Auf-
gabe.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0122" n="100"/>
mehr als irdi&#x017F;ch i&#x017F;t, umgeben von den Evangeli&#x017F;ten, Erzva&#x0364;tern,<lb/>
er&#x017F;ten Blutzeugen der Kirche; alle in regelma&#x0364;ßiger, doch mit<lb/>
ungemeiner Feinheit &#x017F;anft abgea&#x0364;nderter Anordnung. Wunder-<lb/>
bar gei&#x017F;tig i&#x017F;t die Ge&#x017F;talt des Heilands, in den Va&#x0364;tern und<lb/>
Heiligen eine Gu&#x0364;te und Milde des Charakters, welche kein<lb/>
anderer Ku&#x0364;n&#x017F;tler jemals erreicht hat. Man nennt die&#x017F;es Bild,<lb/>
nach einer Andeutung des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName> <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Vas .</persName> vita di <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raff. d&#x2019;Urb.</persName> &#x2014; &#x201E;e sopra l&#x2019;ostia, che é sull&#x2019; al-<lb/>
tare, <hi rendition="#g">disputano</hi>.&#x201C;</hi> Indeß liegt dies nicht in dem Sinne der Auf-<lb/>
gabe.</note>, die Di&#x017F;puta.</p><lb/>
            <p>In der folgenden Abtheilung die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft und prac-<lb/>
ti&#x017F;che Aufrechterhaltung des Rechtes. Die allegori&#x017F;che Figur<lb/>
erfu&#x0364;llt, wie dort, das gro&#x0364;ßere Rund; darauf im Zwickel das<lb/>
Urtheil Salomons, und in dem Halbrunde u&#x0364;ber dem Fen&#x017F;ter<lb/>
drey allegori&#x017F;che Figuren, die Tugenden, ohne welche die<lb/>
Rechtswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft fu&#x0364;r die Men&#x017F;chheit ohne Nutzen bleibt, wohl<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t ihr verderblich wird. Den ausfallenden Raum zu bei-<lb/>
den Seiten des Fen&#x017F;ters erfu&#x0364;llen zwey Handlungen, des ro&#x0364;-<lb/>
mi&#x017F;chen, des canoni&#x017F;chen Rechts Sicherung durch <persName ref="http://d-nb.info/gnd/11855896X">Ju&#x017F;tinian</persName>,<lb/>
durch <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118541870">Gregor <hi rendition="#aq">IX</hi>.</persName></p><lb/>
            <p>In der dritten Abtheilung zuer&#x017F;t die Philo&#x017F;ophie, dann<lb/>
keine &#x017F;ymboli&#x017F;che Handlung, &#x017F;ondern eine zweyte Allegorie,<lb/>
die A&#x017F;tronomie, oder A&#x017F;trologie. Das weite Halbrund der<lb/>
an&#x017F;toßenden Wand entha&#x0364;lt, was man gemeinhin die Schule<lb/>
von <placeName>Athen</placeName> nennt. Wer zu die&#x017F;em beru&#x0364;hmten Werke den all-<lb/>
gemeinen Gedanken dem Ku&#x0364;n&#x017F;tler angedeutet hat, wollte offen-<lb/>
bar die Philo&#x017F;ophie theils als Kun&#x017F;t, die Wahrheit zu erfa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en und zu behaupten, theils auch als Inbegriff men&#x017F;chlichen<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;ens ausgedru&#x0364;ckt &#x017F;ehn.</p><lb/>
            <p>Die Poe&#x017F;ie be&#x017F;chließt den Cyclus. Die weibliche, einer<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[100/0122] mehr als irdiſch iſt, umgeben von den Evangeliſten, Erzvaͤtern, erſten Blutzeugen der Kirche; alle in regelmaͤßiger, doch mit ungemeiner Feinheit ſanft abgeaͤnderter Anordnung. Wunder- bar geiſtig iſt die Geſtalt des Heilands, in den Vaͤtern und Heiligen eine Guͤte und Milde des Charakters, welche kein anderer Kuͤnſtler jemals erreicht hat. Man nennt dieſes Bild, nach einer Andeutung des Vaſari *), die Diſputa. In der folgenden Abtheilung die Wiſſenſchaft und prac- tiſche Aufrechterhaltung des Rechtes. Die allegoriſche Figur erfuͤllt, wie dort, das groͤßere Rund; darauf im Zwickel das Urtheil Salomons, und in dem Halbrunde uͤber dem Fenſter drey allegoriſche Figuren, die Tugenden, ohne welche die Rechtswiſſenſchaft fuͤr die Menſchheit ohne Nutzen bleibt, wohl ſelbſt ihr verderblich wird. Den ausfallenden Raum zu bei- den Seiten des Fenſters erfuͤllen zwey Handlungen, des roͤ- miſchen, des canoniſchen Rechts Sicherung durch Juſtinian, durch Gregor IX. In der dritten Abtheilung zuerſt die Philoſophie, dann keine ſymboliſche Handlung, ſondern eine zweyte Allegorie, die Aſtronomie, oder Aſtrologie. Das weite Halbrund der anſtoßenden Wand enthaͤlt, was man gemeinhin die Schule von Athen nennt. Wer zu dieſem beruͤhmten Werke den all- gemeinen Gedanken dem Kuͤnſtler angedeutet hat, wollte offen- bar die Philoſophie theils als Kunſt, die Wahrheit zu erfaſ- ſen und zu behaupten, theils auch als Inbegriff menſchlichen Wiſſens ausgedruͤckt ſehn. Die Poeſie beſchließt den Cyclus. Die weibliche, einer *) Vas . vita di Raff. d’Urb. — „e sopra l’ostia, che é sull’ al- tare, disputano.“ Indeß liegt dies nicht in dem Sinne der Auf- gabe.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/122
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/122>, abgerufen am 23.11.2024.