Rumohr, Karl Friedrich: Der letzte Savello. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 125–209. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.darauf, um, nach Art vornehmer Andächtigen, so lange die Messe währte, mit seinen Nachbarn zu wispern. Ringsum war tiefe Stille. Die Frauen, besonders die ältlichen, verhüllten sich in ihre Schleier und Kopftücher. Hier ist Nichts für uns, sprach der Savello zu den Nächsten sich umwendend; ist es nicht eine Schande, zu sehen, wie die Weiber sich vor uns vermummen? Für so gefährlich gelte ich an diesem Orte, daß Keine es wagt, nur mich anzusehen. Was aber eine Jede von sich selbst für wahr hält, zeigt diese allgemeine Mummerei. Obwohl in dieser Herrschaft die Art sehr gut ist, fügte er nicht ohne Bosheit hinzu, so glaube ich doch nicht, daß alle diese Mäntel Schönheit verhüllen; und würde es selbst dem Notar des Ortes nicht glauben, der so klug ist, daß er schon seit langer Zeit ans Wege und Mittel sinnt, bei Sr. Heiligkeit mir zu schaden. Auch habe ich größere Feinde, die mich gern in Ketten und Bande schlügen, mir die Dornen des Ehestandes aufdrückten, oder auf andere Weise mir den Hals brächen. Bei den letzten Worten verwirrte er sich und hörte plötzlich auf zu reden. Sein bisher sessellos umherschweifender Blick ward starr, schien auf einem bestimmten Gegenstände zu haften. Seine Begleiter suchten vergeblich, seinem Auge nachfolgend, aufzufinden, was ihn anzog. Es war Cassandra. An den äußeren Stufen des Altares niederknieend, hatte sie gegen das Geheiß ihres Gatten den scharlachrothen Tuchschleier dichter an- darauf, um, nach Art vornehmer Andächtigen, so lange die Messe währte, mit seinen Nachbarn zu wispern. Ringsum war tiefe Stille. Die Frauen, besonders die ältlichen, verhüllten sich in ihre Schleier und Kopftücher. Hier ist Nichts für uns, sprach der Savello zu den Nächsten sich umwendend; ist es nicht eine Schande, zu sehen, wie die Weiber sich vor uns vermummen? Für so gefährlich gelte ich an diesem Orte, daß Keine es wagt, nur mich anzusehen. Was aber eine Jede von sich selbst für wahr hält, zeigt diese allgemeine Mummerei. Obwohl in dieser Herrschaft die Art sehr gut ist, fügte er nicht ohne Bosheit hinzu, so glaube ich doch nicht, daß alle diese Mäntel Schönheit verhüllen; und würde es selbst dem Notar des Ortes nicht glauben, der so klug ist, daß er schon seit langer Zeit ans Wege und Mittel sinnt, bei Sr. Heiligkeit mir zu schaden. Auch habe ich größere Feinde, die mich gern in Ketten und Bande schlügen, mir die Dornen des Ehestandes aufdrückten, oder auf andere Weise mir den Hals brächen. Bei den letzten Worten verwirrte er sich und hörte plötzlich auf zu reden. Sein bisher sessellos umherschweifender Blick ward starr, schien auf einem bestimmten Gegenstände zu haften. Seine Begleiter suchten vergeblich, seinem Auge nachfolgend, aufzufinden, was ihn anzog. Es war Cassandra. An den äußeren Stufen des Altares niederknieend, hatte sie gegen das Geheiß ihres Gatten den scharlachrothen Tuchschleier dichter an- <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0065"/> darauf, um, nach Art vornehmer Andächtigen, so lange die Messe währte, mit seinen Nachbarn zu wispern. Ringsum war tiefe Stille. Die Frauen, besonders die ältlichen, verhüllten sich in ihre Schleier und Kopftücher. Hier ist Nichts für uns, sprach der Savello zu den Nächsten sich umwendend; ist es nicht eine Schande, zu sehen, wie die Weiber sich vor uns vermummen? Für so gefährlich gelte ich an diesem Orte, daß Keine es wagt, nur mich anzusehen. Was aber eine Jede von sich selbst für wahr hält, zeigt diese allgemeine Mummerei. Obwohl in dieser Herrschaft die Art sehr gut ist, fügte er nicht ohne Bosheit hinzu, so glaube ich doch nicht, daß alle diese Mäntel Schönheit verhüllen; und würde es selbst dem Notar des Ortes nicht glauben, der so klug ist, daß er schon seit langer Zeit ans Wege und Mittel sinnt, bei Sr. Heiligkeit mir zu schaden. Auch habe ich größere Feinde, die mich gern in Ketten und Bande schlügen, mir die Dornen des Ehestandes aufdrückten, oder auf andere Weise mir den Hals brächen.</p><lb/> <p>Bei den letzten Worten verwirrte er sich und hörte plötzlich auf zu reden. Sein bisher sessellos umherschweifender Blick ward starr, schien auf einem bestimmten Gegenstände zu haften. Seine Begleiter suchten vergeblich, seinem Auge nachfolgend, aufzufinden, was ihn anzog. Es war Cassandra. An den äußeren Stufen des Altares niederknieend, hatte sie gegen das Geheiß ihres Gatten den scharlachrothen Tuchschleier dichter an-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0065]
darauf, um, nach Art vornehmer Andächtigen, so lange die Messe währte, mit seinen Nachbarn zu wispern. Ringsum war tiefe Stille. Die Frauen, besonders die ältlichen, verhüllten sich in ihre Schleier und Kopftücher. Hier ist Nichts für uns, sprach der Savello zu den Nächsten sich umwendend; ist es nicht eine Schande, zu sehen, wie die Weiber sich vor uns vermummen? Für so gefährlich gelte ich an diesem Orte, daß Keine es wagt, nur mich anzusehen. Was aber eine Jede von sich selbst für wahr hält, zeigt diese allgemeine Mummerei. Obwohl in dieser Herrschaft die Art sehr gut ist, fügte er nicht ohne Bosheit hinzu, so glaube ich doch nicht, daß alle diese Mäntel Schönheit verhüllen; und würde es selbst dem Notar des Ortes nicht glauben, der so klug ist, daß er schon seit langer Zeit ans Wege und Mittel sinnt, bei Sr. Heiligkeit mir zu schaden. Auch habe ich größere Feinde, die mich gern in Ketten und Bande schlügen, mir die Dornen des Ehestandes aufdrückten, oder auf andere Weise mir den Hals brächen.
Bei den letzten Worten verwirrte er sich und hörte plötzlich auf zu reden. Sein bisher sessellos umherschweifender Blick ward starr, schien auf einem bestimmten Gegenstände zu haften. Seine Begleiter suchten vergeblich, seinem Auge nachfolgend, aufzufinden, was ihn anzog. Es war Cassandra. An den äußeren Stufen des Altares niederknieend, hatte sie gegen das Geheiß ihres Gatten den scharlachrothen Tuchschleier dichter an-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T10:26:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T10:26:17Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |