Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich: Der letzte Savello. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 125–209. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

gezogen, als Savello dem Altare gegenübertrat. Allein um doch den Gottesdienst sehen und frei athmen zu können, hatte sie Stirn und Auge unbedeckt gelassen, so daß von ihrem halb ihm zugewendeten Gesichte dem Prinzen einige Umrisse sichtbar wurden; genug um seine Aufmerksamkeit aufs Höchste zu spannen, doch nicht so viel, ihm ein deutliches Bild zu gewähren. Vergeblich hoffte er, daß eine zufällige Bewegung ihr Antlitz mehr enthüllen werde. Sie blieb bis zu Ende des Gottesdienstes auf den Knieen, ihr Auge von ihm ab und dem Altare zugewendet. Doch, als der Priester den Segen ertheilt hatte und die Gemeinde nun aufbrach, erhob Cassandra sich langsam und zog nicht ohne geheimes Zagen den Schleier zurück, ihrem Gatten sich zu zeigen und in der Menge ihn zu erspähen. Da fiel unwillkürlich ihr Blick auf den Ritter, traf ihr schwarzes, schön umrissenes Auge das seinige, um erschreckt und überrascht unter den dunkeln Augenwimpern schnell wiederum sich zu verbergen.

Wie seltsam, wie verdächtig muß es Denen erscheinen, welche nie ein südlich Auge gesehen haben, wenn sie in Büchern lesen, daß ein einziger Blick verständige Menschen der Besinnung beraubt, sie zu verderblichen Handlungen hinreißt, für die Dauer ihres Lebens ihren Willen fesselt. -- Allein dem ist so. Sei's die dunkle Flammenglut, sei's das bebende Rollen des Auges, genug ihm widersteht nicht leicht, wem das Blut noch flüssig und heiß zum Herzen kreiset. -- Cassandra entdeckte

gezogen, als Savello dem Altare gegenübertrat. Allein um doch den Gottesdienst sehen und frei athmen zu können, hatte sie Stirn und Auge unbedeckt gelassen, so daß von ihrem halb ihm zugewendeten Gesichte dem Prinzen einige Umrisse sichtbar wurden; genug um seine Aufmerksamkeit aufs Höchste zu spannen, doch nicht so viel, ihm ein deutliches Bild zu gewähren. Vergeblich hoffte er, daß eine zufällige Bewegung ihr Antlitz mehr enthüllen werde. Sie blieb bis zu Ende des Gottesdienstes auf den Knieen, ihr Auge von ihm ab und dem Altare zugewendet. Doch, als der Priester den Segen ertheilt hatte und die Gemeinde nun aufbrach, erhob Cassandra sich langsam und zog nicht ohne geheimes Zagen den Schleier zurück, ihrem Gatten sich zu zeigen und in der Menge ihn zu erspähen. Da fiel unwillkürlich ihr Blick auf den Ritter, traf ihr schwarzes, schön umrissenes Auge das seinige, um erschreckt und überrascht unter den dunkeln Augenwimpern schnell wiederum sich zu verbergen.

Wie seltsam, wie verdächtig muß es Denen erscheinen, welche nie ein südlich Auge gesehen haben, wenn sie in Büchern lesen, daß ein einziger Blick verständige Menschen der Besinnung beraubt, sie zu verderblichen Handlungen hinreißt, für die Dauer ihres Lebens ihren Willen fesselt. — Allein dem ist so. Sei's die dunkle Flammenglut, sei's das bebende Rollen des Auges, genug ihm widersteht nicht leicht, wem das Blut noch flüssig und heiß zum Herzen kreiset. — Cassandra entdeckte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0066"/>
gezogen, als Savello dem Altare gegenübertrat. Allein um doch                den Gottesdienst sehen und frei athmen zu können, hatte sie Stirn und Auge unbedeckt                gelassen, so daß von ihrem halb ihm zugewendeten Gesichte dem Prinzen einige Umrisse                sichtbar wurden; genug um seine Aufmerksamkeit aufs Höchste zu spannen, doch nicht so                viel, ihm ein deutliches Bild zu gewähren. Vergeblich hoffte er, daß eine zufällige                Bewegung ihr Antlitz mehr enthüllen werde. Sie blieb bis zu Ende des Gottesdienstes                auf den Knieen, ihr Auge von ihm ab und dem Altare zugewendet. Doch, als der Priester                den Segen ertheilt hatte und die Gemeinde nun aufbrach, erhob Cassandra sich langsam                und zog nicht ohne geheimes Zagen den Schleier zurück, ihrem Gatten sich zu zeigen                und in der Menge ihn zu erspähen. Da fiel unwillkürlich ihr Blick auf den Ritter,                traf ihr schwarzes, schön umrissenes Auge das seinige, um erschreckt und überrascht                unter den dunkeln Augenwimpern schnell wiederum sich zu verbergen.</p><lb/>
        <p>Wie seltsam, wie verdächtig muß es Denen erscheinen, welche nie ein südlich Auge                gesehen haben, wenn sie in Büchern lesen, daß ein einziger Blick verständige Menschen                der Besinnung beraubt, sie zu verderblichen Handlungen hinreißt, für die Dauer ihres                Lebens ihren Willen fesselt. &#x2014; Allein dem ist so. Sei's die dunkle Flammenglut, sei's                das bebende Rollen des Auges, genug ihm widersteht nicht leicht, wem das Blut noch                flüssig und heiß zum Herzen kreiset. &#x2014; Cassandra entdeckte<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0066] gezogen, als Savello dem Altare gegenübertrat. Allein um doch den Gottesdienst sehen und frei athmen zu können, hatte sie Stirn und Auge unbedeckt gelassen, so daß von ihrem halb ihm zugewendeten Gesichte dem Prinzen einige Umrisse sichtbar wurden; genug um seine Aufmerksamkeit aufs Höchste zu spannen, doch nicht so viel, ihm ein deutliches Bild zu gewähren. Vergeblich hoffte er, daß eine zufällige Bewegung ihr Antlitz mehr enthüllen werde. Sie blieb bis zu Ende des Gottesdienstes auf den Knieen, ihr Auge von ihm ab und dem Altare zugewendet. Doch, als der Priester den Segen ertheilt hatte und die Gemeinde nun aufbrach, erhob Cassandra sich langsam und zog nicht ohne geheimes Zagen den Schleier zurück, ihrem Gatten sich zu zeigen und in der Menge ihn zu erspähen. Da fiel unwillkürlich ihr Blick auf den Ritter, traf ihr schwarzes, schön umrissenes Auge das seinige, um erschreckt und überrascht unter den dunkeln Augenwimpern schnell wiederum sich zu verbergen. Wie seltsam, wie verdächtig muß es Denen erscheinen, welche nie ein südlich Auge gesehen haben, wenn sie in Büchern lesen, daß ein einziger Blick verständige Menschen der Besinnung beraubt, sie zu verderblichen Handlungen hinreißt, für die Dauer ihres Lebens ihren Willen fesselt. — Allein dem ist so. Sei's die dunkle Flammenglut, sei's das bebende Rollen des Auges, genug ihm widersteht nicht leicht, wem das Blut noch flüssig und heiß zum Herzen kreiset. — Cassandra entdeckte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:26:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T10:26:17Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_savello_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_savello_1910/66
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich: Der letzte Savello. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 125–209. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_savello_1910/66>, abgerufen am 02.05.2024.