Rumohr, Karl Friedrich: Der letzte Savello. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 125–209. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.stücke der einzelnen Gattungen mehr verwirrt als aufgeklärt über das, was in den Zwischenreden theoretisch verhandelt worden ist, und erkennen erst mit einer gewissen Befriedigung zum Schlusse die Tendenz der ganzen Untersuchung in der Erklärung des "Kenners" (doch wohl Rumohr's eigenste in Ironie gehüllte Herzensmeinung contra Tieck): "Uebrigens vermisse ich in Ihrer Novelle das Element des Wunderbaren, die Faselei des Tiefsinns, die tiefsinnige Unvernunft, den lebhaft sprudelnden Witz, die Wortspiele und so viel Anderes, so dieser Gattung eigenthümlich ist und ihr den besonderen Reiz verleiht, wie namentlich die Berufung auf Solches, so noch gar nicht ausgesprochen, sondern für künftigen Gebrauch im Sinne behalten worden. Eine Novelle ist für mich, was in ihrer Art die berühmten Strudel und Wasserwirbel in der sicilischen Meerenge: ein bewegter Abgrund voll unaufgeklärter undurchdringlicher Räthsel, bei dessen Anblick ich mich fühle wie Nachts im Bette, wenn's draußen stürmt." Kräftiger konnte der Bruch mit der Romantik nicht wohl ausgesprochen werden, und es wäre ein Wunder gewesen, wenn die persönliche Freundschaft zwei so reizbarer Männer diesen scharfausbrechenden Gegensatz ihrer künstlerischen Naturen überdauert hätte. Nur Schade, daß Erkennen und Können auch diesmal wieder zweierlei waren, daß es Rumohr versagt blieb, den Ausartungen der romantischen Novelle wahre Muster der Gattung in gesunden eigenen Schöpfungen entgegenzusetzen. Eine gewisse Trockenheit und gezwungene Schlichtheit ist bei ihm an die Stelle der italienischen Naivetät getreten, die so erfreulich von sinnlicher Frische und Anmuth belebt ist. Seine Erfindungen sind kümmerlich, ein barocker Humor erinnert nur noch allzu sehr an die stücke der einzelnen Gattungen mehr verwirrt als aufgeklärt über das, was in den Zwischenreden theoretisch verhandelt worden ist, und erkennen erst mit einer gewissen Befriedigung zum Schlusse die Tendenz der ganzen Untersuchung in der Erklärung des „Kenners“ (doch wohl Rumohr's eigenste in Ironie gehüllte Herzensmeinung contra Tieck): „Uebrigens vermisse ich in Ihrer Novelle das Element des Wunderbaren, die Faselei des Tiefsinns, die tiefsinnige Unvernunft, den lebhaft sprudelnden Witz, die Wortspiele und so viel Anderes, so dieser Gattung eigenthümlich ist und ihr den besonderen Reiz verleiht, wie namentlich die Berufung auf Solches, so noch gar nicht ausgesprochen, sondern für künftigen Gebrauch im Sinne behalten worden. Eine Novelle ist für mich, was in ihrer Art die berühmten Strudel und Wasserwirbel in der sicilischen Meerenge: ein bewegter Abgrund voll unaufgeklärter undurchdringlicher Räthsel, bei dessen Anblick ich mich fühle wie Nachts im Bette, wenn's draußen stürmt.“ Kräftiger konnte der Bruch mit der Romantik nicht wohl ausgesprochen werden, und es wäre ein Wunder gewesen, wenn die persönliche Freundschaft zwei so reizbarer Männer diesen scharfausbrechenden Gegensatz ihrer künstlerischen Naturen überdauert hätte. Nur Schade, daß Erkennen und Können auch diesmal wieder zweierlei waren, daß es Rumohr versagt blieb, den Ausartungen der romantischen Novelle wahre Muster der Gattung in gesunden eigenen Schöpfungen entgegenzusetzen. Eine gewisse Trockenheit und gezwungene Schlichtheit ist bei ihm an die Stelle der italienischen Naivetät getreten, die so erfreulich von sinnlicher Frische und Anmuth belebt ist. 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Eine Novelle ist für mich, was in ihrer Art die berühmten Strudel und Wasserwirbel in der sicilischen Meerenge: ein bewegter Abgrund voll unaufgeklärter undurchdringlicher Räthsel, bei dessen Anblick ich mich fühle wie Nachts im Bette, wenn's draußen stürmt.“ Kräftiger konnte der Bruch mit der Romantik nicht wohl ausgesprochen werden, und es wäre ein Wunder gewesen, wenn die persönliche Freundschaft zwei so reizbarer Männer diesen scharfausbrechenden Gegensatz ihrer künstlerischen Naturen überdauert hätte.</p><lb/> <p>Nur Schade, daß Erkennen und Können auch diesmal wieder zweierlei waren, daß es Rumohr versagt blieb, den Ausartungen der romantischen Novelle wahre Muster der Gattung in gesunden eigenen Schöpfungen entgegenzusetzen. Eine gewisse Trockenheit und gezwungene Schlichtheit ist bei ihm an die Stelle der italienischen Naivetät getreten, die so erfreulich von sinnlicher Frische und Anmuth belebt ist. Seine Erfindungen sind kümmerlich, ein barocker Humor erinnert nur noch allzu sehr an die<lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [0008]
stücke der einzelnen Gattungen mehr verwirrt als aufgeklärt über das, was in den Zwischenreden theoretisch verhandelt worden ist, und erkennen erst mit einer gewissen Befriedigung zum Schlusse die Tendenz der ganzen Untersuchung in der Erklärung des „Kenners“ (doch wohl Rumohr's eigenste in Ironie gehüllte Herzensmeinung contra Tieck): „Uebrigens vermisse ich in Ihrer Novelle das Element des Wunderbaren, die Faselei des Tiefsinns, die tiefsinnige Unvernunft, den lebhaft sprudelnden Witz, die Wortspiele und so viel Anderes, so dieser Gattung eigenthümlich ist und ihr den besonderen Reiz verleiht, wie namentlich die Berufung auf Solches, so noch gar nicht ausgesprochen, sondern für künftigen Gebrauch im Sinne behalten worden. Eine Novelle ist für mich, was in ihrer Art die berühmten Strudel und Wasserwirbel in der sicilischen Meerenge: ein bewegter Abgrund voll unaufgeklärter undurchdringlicher Räthsel, bei dessen Anblick ich mich fühle wie Nachts im Bette, wenn's draußen stürmt.“ Kräftiger konnte der Bruch mit der Romantik nicht wohl ausgesprochen werden, und es wäre ein Wunder gewesen, wenn die persönliche Freundschaft zwei so reizbarer Männer diesen scharfausbrechenden Gegensatz ihrer künstlerischen Naturen überdauert hätte.
Nur Schade, daß Erkennen und Können auch diesmal wieder zweierlei waren, daß es Rumohr versagt blieb, den Ausartungen der romantischen Novelle wahre Muster der Gattung in gesunden eigenen Schöpfungen entgegenzusetzen. Eine gewisse Trockenheit und gezwungene Schlichtheit ist bei ihm an die Stelle der italienischen Naivetät getreten, die so erfreulich von sinnlicher Frische und Anmuth belebt ist. Seine Erfindungen sind kümmerlich, ein barocker Humor erinnert nur noch allzu sehr an die
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Zitationshilfe: | Rumohr, Karl Friedrich: Der letzte Savello. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 125–209. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_savello_1910/8>, abgerufen am 16.07.2024. |