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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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Grauen, was ich dabei empfand. Jedes Spielzeug, das ich
erhielt, jedes neue Kleid, jeder Ausflug auf's Land, ein jedes
Fest, bei welchem ich getanzt hatte, ließ mich noch lange nachher
alles Andere vergessen, so daß ich gar nicht darauf achtete,
was um mich her in der Welt vorging. Und auch jetzt ist es
noch so. Wenn ich oft andere Frauen von Dingen reden höre,
die mir ganz fremd sind, da fühle ich immer, wie weit ich
zurückgeblieben bin und schäme mich meiner Unwissenheit,"

"Mit Unrecht", rief ich aus, überwältigt von der schlich¬
ten Erhabenheit dieses Geständnisses, "mit Unrecht, Frau Dor¬
ner! Denn es ist Ihnen dafür jene Ursprünglichkeit bewahrt
geblieben, die an Ihrem Geschlechte mehr entzückt als alle
Kenntnisse der Erde."

Sie sah mich zweifelnd an "Wie? das sagen Sie, ein
Gelehrter -- ein Dichter?"

"Warum nicht? Gerade wir, deren Dasein ganz in gei¬
stiger Thätigkeit aufgeht, werden von den Kundgebungen einer
unbewußten Natur im Tiefsten erquickt. Glauben Sie mir,
alles Wissen ist werthlos, wenn es nicht von einer mächtigen,
eigenthümlichen Empfindungsweise getragen und durchdrungen
wird, während ein tiefes Gemüth, ein warmes Herz jeder
Formel entrathen kann: denn es überzeugt und gewinnt, indem
es sich einfach im Thun und Lassen ausspricht. -- Und
Sie besitzen ein solches Gemüth, ein solches Herz, Frau Ma¬
rianne!"

Grauen, was ich dabei empfand. Jedes Spielzeug, das ich
erhielt, jedes neue Kleid, jeder Ausflug auf's Land, ein jedes
Feſt, bei welchem ich getanzt hatte, ließ mich noch lange nachher
alles Andere vergeſſen, ſo daß ich gar nicht darauf achtete,
was um mich her in der Welt vorging. Und auch jetzt iſt es
noch ſo. Wenn ich oft andere Frauen von Dingen reden höre,
die mir ganz fremd ſind, da fühle ich immer, wie weit ich
zurückgeblieben bin und ſchäme mich meiner Unwiſſenheit,“

„Mit Unrecht“, rief ich aus, überwältigt von der ſchlich¬
ten Erhabenheit dieſes Geſtändniſſes, „mit Unrecht, Frau Dor¬
ner! Denn es iſt Ihnen dafür jene Urſprünglichkeit bewahrt
geblieben, die an Ihrem Geſchlechte mehr entzückt als alle
Kenntniſſe der Erde.“

Sie ſah mich zweifelnd an „Wie? das ſagen Sie, ein
Gelehrter — ein Dichter?“

„Warum nicht? Gerade wir, deren Daſein ganz in gei¬
ſtiger Thätigkeit aufgeht, werden von den Kundgebungen einer
unbewußten Natur im Tiefſten erquickt. Glauben Sie mir,
alles Wiſſen iſt werthlos, wenn es nicht von einer mächtigen,
eigenthümlichen Empfindungsweiſe getragen und durchdrungen
wird, während ein tiefes Gemüth, ein warmes Herz jeder
Formel entrathen kann: denn es überzeugt und gewinnt, indem
es ſich einfach im Thun und Laſſen ausſpricht. — Und
Sie beſitzen ein ſolches Gemüth, ein ſolches Herz, Frau Ma¬
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[104/0120] Grauen, was ich dabei empfand. Jedes Spielzeug, das ich erhielt, jedes neue Kleid, jeder Ausflug auf's Land, ein jedes Feſt, bei welchem ich getanzt hatte, ließ mich noch lange nachher alles Andere vergeſſen, ſo daß ich gar nicht darauf achtete, was um mich her in der Welt vorging. Und auch jetzt iſt es noch ſo. Wenn ich oft andere Frauen von Dingen reden höre, die mir ganz fremd ſind, da fühle ich immer, wie weit ich zurückgeblieben bin und ſchäme mich meiner Unwiſſenheit,“ „Mit Unrecht“, rief ich aus, überwältigt von der ſchlich¬ ten Erhabenheit dieſes Geſtändniſſes, „mit Unrecht, Frau Dor¬ ner! Denn es iſt Ihnen dafür jene Urſprünglichkeit bewahrt geblieben, die an Ihrem Geſchlechte mehr entzückt als alle Kenntniſſe der Erde.“ Sie ſah mich zweifelnd an „Wie? das ſagen Sie, ein Gelehrter — ein Dichter?“ „Warum nicht? Gerade wir, deren Daſein ganz in gei¬ ſtiger Thätigkeit aufgeht, werden von den Kundgebungen einer unbewußten Natur im Tiefſten erquickt. Glauben Sie mir, alles Wiſſen iſt werthlos, wenn es nicht von einer mächtigen, eigenthümlichen Empfindungsweiſe getragen und durchdrungen wird, während ein tiefes Gemüth, ein warmes Herz jeder Formel entrathen kann: denn es überzeugt und gewinnt, indem es ſich einfach im Thun und Laſſen ausſpricht. — Und Sie beſitzen ein ſolches Gemüth, ein ſolches Herz, Frau Ma¬ rianne!“

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/120>, abgerufen am 24.11.2024.