"O nicht doch -- nicht so, Frau Dorner! Ich meinte nur -- es ist eine gar zu stille, traurige Geschichte."
"Eben deßhalb gefällt sie mir. Ich bin nicht immer so fröhlich, wie Sie mich zu sehen pflegen. Ich habe auch meine trüben Stunden, und mir ist eigentlich stets am wohlsten, wenn ich still für mich allein sein und meinen Gedanken nachhängen kann. Nur unter Menschen überkommt es mich. --"
"Dann ist es doch nur die Heiterkeit Ihrer innersten Natur, was sich da Bahn bricht."
"Meinen Sie?" sagte sie nachdenklich.
"Gewiß. Und die Menschen sollten sich glücklich schätzen, daß sie so sprühende Lebensfunken in Ihnen zu wecken ver¬ mögen."
Sie schüttelte leicht das Haupt. "Nun, ich habe meistens nur Tadel und Verweise zu hören bekommen. Von meinen Eltern und Lehrern, von --" sie unterbrach sich. "Ich glaube, man hat mich seit jeher für leichtsinnig und einfältig gehalten", setzte sie mit gedämpfter Stimme hinzu.
"O wer könnte, wer dürfte so urtheilen", sagte ich warm.
Sie schien diesen Einwurf nicht zu beachten und fuhr, an ihre letzten Worte anknüpfend, mit gesenktem Haupte fort. "Vielleicht bin ich's auch. Kinder- und Mädchenjahre sind mir wie im Traume vergangen; selbst der Tod unserer Mut¬ ter, die uns freilich schon sehr früh entrissen wurde, hat mich nicht besonders schmerzlich ergriffen; es war mehr ein geheimes
„O nicht doch — nicht ſo, Frau Dorner! Ich meinte nur — es iſt eine gar zu ſtille, traurige Geſchichte.“
„Eben deßhalb gefällt ſie mir. Ich bin nicht immer ſo fröhlich, wie Sie mich zu ſehen pflegen. Ich habe auch meine trüben Stunden, und mir iſt eigentlich ſtets am wohlſten, wenn ich ſtill für mich allein ſein und meinen Gedanken nachhängen kann. Nur unter Menſchen überkommt es mich. —“
„Dann iſt es doch nur die Heiterkeit Ihrer innerſten Natur, was ſich da Bahn bricht.“
„Meinen Sie?“ ſagte ſie nachdenklich.
„Gewiß. Und die Menſchen ſollten ſich glücklich ſchätzen, daß ſie ſo ſprühende Lebensfunken in Ihnen zu wecken ver¬ mögen.“
Sie ſchüttelte leicht das Haupt. „Nun, ich habe meiſtens nur Tadel und Verweiſe zu hören bekommen. Von meinen Eltern und Lehrern, von —“ ſie unterbrach ſich. „Ich glaube, man hat mich ſeit jeher für leichtſinnig und einfältig gehalten“, ſetzte ſie mit gedämpfter Stimme hinzu.
„O wer könnte, wer dürfte ſo urtheilen“, ſagte ich warm.
Sie ſchien dieſen Einwurf nicht zu beachten und fuhr, an ihre letzten Worte anknüpfend, mit geſenktem Haupte fort. „Vielleicht bin ich's auch. Kinder- und Mädchenjahre ſind mir wie im Traume vergangen; ſelbſt der Tod unſerer Mut¬ ter, die uns freilich ſchon ſehr früh entriſſen wurde, hat mich nicht beſonders ſchmerzlich ergriffen; es war mehr ein geheimes
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„O nicht doch — nicht ſo, Frau Dorner! Ich meinte
nur — es iſt eine gar zu ſtille, traurige Geſchichte.“
„Eben deßhalb gefällt ſie mir. Ich bin nicht immer ſo
fröhlich, wie Sie mich zu ſehen pflegen. Ich habe auch meine
trüben Stunden, und mir iſt eigentlich ſtets am wohlſten, wenn
ich ſtill für mich allein ſein und meinen Gedanken nachhängen
kann. Nur unter Menſchen überkommt es mich. —“
„Dann iſt es doch nur die Heiterkeit Ihrer innerſten
Natur, was ſich da Bahn bricht.“
„Meinen Sie?“ ſagte ſie nachdenklich.
„Gewiß. Und die Menſchen ſollten ſich glücklich ſchätzen,
daß ſie ſo ſprühende Lebensfunken in Ihnen zu wecken ver¬
mögen.“
Sie ſchüttelte leicht das Haupt. „Nun, ich habe meiſtens
nur Tadel und Verweiſe zu hören bekommen. Von meinen
Eltern und Lehrern, von —“ ſie unterbrach ſich. „Ich glaube,
man hat mich ſeit jeher für leichtſinnig und einfältig gehalten“,
ſetzte ſie mit gedämpfter Stimme hinzu.
„O wer könnte, wer dürfte ſo urtheilen“, ſagte ich warm.
Sie ſchien dieſen Einwurf nicht zu beachten und fuhr, an
ihre letzten Worte anknüpfend, mit geſenktem Haupte fort.
„Vielleicht bin ich's auch. Kinder- und Mädchenjahre ſind
mir wie im Traume vergangen; ſelbſt der Tod unſerer Mut¬
ter, die uns freilich ſchon ſehr früh entriſſen wurde, hat mich
nicht beſonders ſchmerzlich ergriffen; es war mehr ein geheimes
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/119>, abgerufen am 16.07.2024.
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