Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.sichtig geworden, bei Seite brachte und unter ein Tuch schob, Ich hatte mich neben ihr auf die Bank gesetzt und wir "Ich habe bis jetzt gelesen," sagte sie endlich und zog in Was blieb mir übrig, als mich überrascht zu stellen. "Ja, und nicht zum ersten Male. Es zieht mich immer ſichtig geworden, bei Seite brachte und unter ein Tuch ſchob, Ich hatte mich neben ihr auf die Bank geſetzt und wir „Ich habe bis jetzt geleſen,“ ſagte ſie endlich und zog in Was blieb mir übrig, als mich überraſcht zu ſtellen. „Ja, und nicht zum erſten Male. Es zieht mich immer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0118" n="102"/> ſichtig geworden, bei Seite brachte und unter ein Tuch ſchob,<lb/> in welchem ich aber mit dem Scharfblicke des Autors ſogleich<lb/> eine kleine Erzählung erkannte, die ich vor Jahren geſchrieben.<lb/> Als ich grüßend an die junge Frau herantrat, ſagte ſie, daß<lb/> die Andern eines dringenden Beſuches wegen das Haus ver¬<lb/> laſſen und ſie gebeten hätten, einſtweilen über den Kindern<lb/> zu wachen. „Ich thu' es gern“, fuhr ſie fort, indem ſie die<lb/> Hand ſchmeichelnd auf das Haupt Erni's legte, „Erni iſt mein<lb/> gutes, braves Mädchen, und den armen Kleinen dort lieb' ich,<lb/> als wär' er mein eigenes Kind.“ Sie erröthete bei dieſen<lb/> Worten und hob vorſichtig ein Ende des grünen Schleiers<lb/> empor. „Sehen Sie nur, wie ſanft, wie ruhig er heute ſchläft,<lb/> wie lieblich er trotz ſeiner Bläſſe ausſieht! Aber ich fürchte,<lb/> Louiſe wird ihn nicht aufbringen.“ Und dabei ließ ſie traurig<lb/> wieder den Flor ſinken.</p><lb/> <p>Ich hatte mich neben ihr auf die Bank geſetzt und wir<lb/> ſahen eine Zeit lang ſchweigend in das ſonnige Weben und<lb/> Wallen hinein.</p><lb/> <p>„Ich habe bis jetzt geleſen,“ ſagte ſie endlich und zog in<lb/> holder Verſchämtheit das ſchlichte Bändchen hervor.</p><lb/> <p>Was blieb mir übrig, als mich überraſcht zu ſtellen.<lb/> „Wie, Sie leſen mein Buch?“ fragte ich alſo.</p><lb/> <p>„Ja, und nicht zum erſten Male. Es zieht mich immer<lb/> von Neuem an, — Sie verwundern ſich? Sie hätten mir<lb/> nicht zugetraut — “<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [102/0118]
ſichtig geworden, bei Seite brachte und unter ein Tuch ſchob,
in welchem ich aber mit dem Scharfblicke des Autors ſogleich
eine kleine Erzählung erkannte, die ich vor Jahren geſchrieben.
Als ich grüßend an die junge Frau herantrat, ſagte ſie, daß
die Andern eines dringenden Beſuches wegen das Haus ver¬
laſſen und ſie gebeten hätten, einſtweilen über den Kindern
zu wachen. „Ich thu' es gern“, fuhr ſie fort, indem ſie die
Hand ſchmeichelnd auf das Haupt Erni's legte, „Erni iſt mein
gutes, braves Mädchen, und den armen Kleinen dort lieb' ich,
als wär' er mein eigenes Kind.“ Sie erröthete bei dieſen
Worten und hob vorſichtig ein Ende des grünen Schleiers
empor. „Sehen Sie nur, wie ſanft, wie ruhig er heute ſchläft,
wie lieblich er trotz ſeiner Bläſſe ausſieht! Aber ich fürchte,
Louiſe wird ihn nicht aufbringen.“ Und dabei ließ ſie traurig
wieder den Flor ſinken.
Ich hatte mich neben ihr auf die Bank geſetzt und wir
ſahen eine Zeit lang ſchweigend in das ſonnige Weben und
Wallen hinein.
„Ich habe bis jetzt geleſen,“ ſagte ſie endlich und zog in
holder Verſchämtheit das ſchlichte Bändchen hervor.
Was blieb mir übrig, als mich überraſcht zu ſtellen.
„Wie, Sie leſen mein Buch?“ fragte ich alſo.
„Ja, und nicht zum erſten Male. Es zieht mich immer
von Neuem an, — Sie verwundern ſich? Sie hätten mir
nicht zugetraut — “
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