Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

Und auch in den Tagen, die nun folgten, saßen sie nebenein¬
ander. Denn die Kräfte Georgs hoben sich wirklich; die bitterste
Noth war ja vorüber, zudem schien der frische Hauch der Ge¬
birgsluft heilend auf seinen fiebersiechen Körper zu wirken.
Er schwang den Hammer schon ganz rüstig und erzählte dabei
der armen Genossin allerlei aus seinen Militärjahren. Es
waren freilich keine munteren Abenteuer und kecken Soldaten¬
streiche, was er vorbrachte; bei seinem scheuen und in sich
selbst gedrückten Wesen hatte er ja nur die Schattenseiten
eines Standes kennen gelernt, der so manchem Anderen den
heitersten Genuß des Daseins eröffnet. So konnte er nur
berichten von den Leiden der Rekrutenzeit, welche ihm die un¬
erbittliche Corporalsfaust zur Hölle gemacht; von langem
Schildwachstehen im Schnee; von beschwerlichen Märschen und
nächtlichen Campirungen im Regen und Sturm -- und vor Allem,
wie er bei der Belagerung Venedigs mit seinem Regimente
vor dem Fort Malghera gestanden und dort ihrer Hunderte
in der faulen Sumpfluft vom Typhus und von der Cholera
hinweg gerafft wurden. Tertschka hörte still zu. Vieles faßte
sie nur halb oder gar nicht; denn die Dinge, von denen er
sprach, hatten ja stets so fremd, so fern ab von ihr gelegen, und
vollends von einer Stadt, die mitten im Wasser erbaut sei,
konnte sie sich keinen Begriff machen; wie ihr denn auch bei
dem Worte "Meer" nichts als eine undeutlich schimmernde
Wolke vorschwebte. Aber sie fühlte heraus, wie schlecht es

Und auch in den Tagen, die nun folgten, ſaßen ſie nebenein¬
ander. Denn die Kräfte Georgs hoben ſich wirklich; die bitterſte
Noth war ja vorüber, zudem ſchien der friſche Hauch der Ge¬
birgsluft heilend auf ſeinen fieberſiechen Körper zu wirken.
Er ſchwang den Hammer ſchon ganz rüſtig und erzählte dabei
der armen Genoſſin allerlei aus ſeinen Militärjahren. Es
waren freilich keine munteren Abenteuer und kecken Soldaten¬
ſtreiche, was er vorbrachte; bei ſeinem ſcheuen und in ſich
ſelbſt gedrückten Weſen hatte er ja nur die Schattenſeiten
eines Standes kennen gelernt, der ſo manchem Anderen den
heiterſten Genuß des Daſeins eröffnet. So konnte er nur
berichten von den Leiden der Rekrutenzeit, welche ihm die un¬
erbittliche Corporalsfauſt zur Hölle gemacht; von langem
Schildwachſtehen im Schnee; von beſchwerlichen Märſchen und
nächtlichen Campirungen im Regen und Sturm — und vor Allem,
wie er bei der Belagerung Venedigs mit ſeinem Regimente
vor dem Fort Malghera geſtanden und dort ihrer Hunderte
in der faulen Sumpfluft vom Typhus und von der Cholera
hinweg gerafft wurden. Tertſchka hörte ſtill zu. Vieles faßte
ſie nur halb oder gar nicht; denn die Dinge, von denen er
ſprach, hatten ja ſtets ſo fremd, ſo fern ab von ihr gelegen, und
vollends von einer Stadt, die mitten im Waſſer erbaut ſei,
konnte ſie ſich keinen Begriff machen; wie ihr denn auch bei
dem Worte „Meer“ nichts als eine undeutlich ſchimmernde
Wolke vorſchwebte. Aber ſie fühlte heraus, wie ſchlecht es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0165" n="149"/>
Und auch in den Tagen, die nun folgten, &#x017F;aßen &#x017F;ie nebenein¬<lb/>
ander. Denn die Kräfte Georgs hoben &#x017F;ich wirklich; die bitter&#x017F;te<lb/>
Noth war ja vorüber, zudem &#x017F;chien der fri&#x017F;che Hauch der Ge¬<lb/>
birgsluft heilend auf &#x017F;einen fieber&#x017F;iechen Körper zu wirken.<lb/>
Er &#x017F;chwang den Hammer &#x017F;chon ganz rü&#x017F;tig und erzählte dabei<lb/>
der armen Geno&#x017F;&#x017F;in allerlei aus &#x017F;einen Militärjahren. Es<lb/>
waren freilich keine munteren Abenteuer und kecken Soldaten¬<lb/>
&#x017F;treiche, was er vorbrachte; bei &#x017F;einem &#x017F;cheuen und in &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t gedrückten We&#x017F;en hatte er ja nur die Schatten&#x017F;eiten<lb/>
eines Standes kennen gelernt, der &#x017F;o manchem Anderen den<lb/>
heiter&#x017F;ten Genuß des Da&#x017F;eins eröffnet. So konnte er nur<lb/>
berichten von den Leiden der Rekrutenzeit, welche ihm die un¬<lb/>
erbittliche Corporalsfau&#x017F;t zur Hölle gemacht; von langem<lb/>
Schildwach&#x017F;tehen im Schnee; von be&#x017F;chwerlichen Mär&#x017F;chen und<lb/>
nächtlichen Campirungen im Regen und Sturm &#x2014; und vor Allem,<lb/>
wie er bei der Belagerung Venedigs mit &#x017F;einem Regimente<lb/>
vor dem Fort Malghera ge&#x017F;tanden und dort ihrer Hunderte<lb/>
in der faulen Sumpfluft vom Typhus und von der Cholera<lb/>
hinweg gerafft wurden. Tert&#x017F;chka hörte &#x017F;till zu. Vieles faßte<lb/>
&#x017F;ie nur halb oder gar nicht; denn die Dinge, von denen er<lb/>
&#x017F;prach, hatten ja &#x017F;tets &#x017F;o fremd, &#x017F;o fern ab von ihr gelegen, und<lb/>
vollends von einer Stadt, die mitten im Wa&#x017F;&#x017F;er erbaut &#x017F;ei,<lb/>
konnte &#x017F;ie &#x017F;ich keinen Begriff machen; wie ihr denn auch bei<lb/>
dem Worte &#x201E;Meer&#x201C; nichts als eine undeutlich &#x017F;chimmernde<lb/>
Wolke vor&#x017F;chwebte. Aber &#x017F;ie fühlte heraus, wie &#x017F;chlecht es<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[149/0165] Und auch in den Tagen, die nun folgten, ſaßen ſie nebenein¬ ander. Denn die Kräfte Georgs hoben ſich wirklich; die bitterſte Noth war ja vorüber, zudem ſchien der friſche Hauch der Ge¬ birgsluft heilend auf ſeinen fieberſiechen Körper zu wirken. Er ſchwang den Hammer ſchon ganz rüſtig und erzählte dabei der armen Genoſſin allerlei aus ſeinen Militärjahren. Es waren freilich keine munteren Abenteuer und kecken Soldaten¬ ſtreiche, was er vorbrachte; bei ſeinem ſcheuen und in ſich ſelbſt gedrückten Weſen hatte er ja nur die Schattenſeiten eines Standes kennen gelernt, der ſo manchem Anderen den heiterſten Genuß des Daſeins eröffnet. So konnte er nur berichten von den Leiden der Rekrutenzeit, welche ihm die un¬ erbittliche Corporalsfauſt zur Hölle gemacht; von langem Schildwachſtehen im Schnee; von beſchwerlichen Märſchen und nächtlichen Campirungen im Regen und Sturm — und vor Allem, wie er bei der Belagerung Venedigs mit ſeinem Regimente vor dem Fort Malghera geſtanden und dort ihrer Hunderte in der faulen Sumpfluft vom Typhus und von der Cholera hinweg gerafft wurden. Tertſchka hörte ſtill zu. Vieles faßte ſie nur halb oder gar nicht; denn die Dinge, von denen er ſprach, hatten ja ſtets ſo fremd, ſo fern ab von ihr gelegen, und vollends von einer Stadt, die mitten im Waſſer erbaut ſei, konnte ſie ſich keinen Begriff machen; wie ihr denn auch bei dem Worte „Meer“ nichts als eine undeutlich ſchimmernde Wolke vorſchwebte. Aber ſie fühlte heraus, wie ſchlecht es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/165
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/165>, abgerufen am 14.05.2024.