Georg all' seiner Tage ergangen sei, und erzählte hinwieder auch, was ihr Trübes und Trauriges aus ihrem trüben, ein¬ förmigen Dasein in der Erinnerung geblieben war. So trö¬ steten sie sich unbewußt gegenseitig und es that ihnen wohl, daß sie jeden Morgen, die Hämmer auf der Schulter, zum Steinbruch hinansteigen und die langen sonnigen Tage neben einander verbringen konnten, wobei sie oft den Ruf der Glocke überhörten oder darob erschracken, weil er sie aus ihrer weh¬ müthig trauten Einsamkeit in die wüste Gemeinschaft der Hütte zurück trieb. --
Aber nicht lange sollte die Zeit dauern, wo sich die Bei¬ den in lang erduldeter Noth und still entsagendem Kummer, wie Andere in Lust und Fröhlichkeit und drängender Lebens¬ fülle, immer inniger zusammenfanden. Sei es, daß der Auf¬ seher durch die anderen Arbeiter von ihrem Einvernehmen übelwollende Kunde erhalten; sei es, daß er es mit dem In¬ stinkte der Bosheit von selbst errathen hatte -- genug: er stand eines Tages hinter ihnen. "Was hockt Ihr da bei einander wie die Kröten?" schrie er, während sie erschrocken aufsahen. "Marsch, Du Hungerleider, zu Deinen Kameraden, wo Du hingehörst!" Und damit streckte er gebieterisch die Hand gegen den unteren Theil des Steinbruches aus. "Und Du, heimtückisches Aas", wandte er sich zu Tertschka, während Georg betroffen und sprachlos dem Befehl Folge leistete, "mir scheint, Du hältst es mit dem elenden Krüppel da? Wart',
Georg all' ſeiner Tage ergangen ſei, und erzählte hinwieder auch, was ihr Trübes und Trauriges aus ihrem trüben, ein¬ förmigen Daſein in der Erinnerung geblieben war. So trö¬ ſteten ſie ſich unbewußt gegenſeitig und es that ihnen wohl, daß ſie jeden Morgen, die Hämmer auf der Schulter, zum Steinbruch hinanſteigen und die langen ſonnigen Tage neben einander verbringen konnten, wobei ſie oft den Ruf der Glocke überhörten oder darob erſchracken, weil er ſie aus ihrer weh¬ müthig trauten Einſamkeit in die wüſte Gemeinſchaft der Hütte zurück trieb. —
Aber nicht lange ſollte die Zeit dauern, wo ſich die Bei¬ den in lang erduldeter Noth und ſtill entſagendem Kummer, wie Andere in Luſt und Fröhlichkeit und drängender Lebens¬ fülle, immer inniger zuſammenfanden. Sei es, daß der Auf¬ ſeher durch die anderen Arbeiter von ihrem Einvernehmen übelwollende Kunde erhalten; ſei es, daß er es mit dem In¬ ſtinkte der Bosheit von ſelbſt errathen hatte — genug: er ſtand eines Tages hinter ihnen. „Was hockt Ihr da bei einander wie die Kröten?“ ſchrie er, während ſie erſchrocken aufſahen. „Marſch, Du Hungerleider, zu Deinen Kameraden, wo Du hingehörſt!“ Und damit ſtreckte er gebieteriſch die Hand gegen den unteren Theil des Steinbruches aus. „Und Du, heimtückiſches Aas“, wandte er ſich zu Tertſchka, während Georg betroffen und ſprachlos dem Befehl Folge leiſtete, „mir ſcheint, Du hältſt es mit dem elenden Krüppel da? Wart',
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Georg all' ſeiner Tage ergangen ſei, und erzählte hinwieder
auch, was ihr Trübes und Trauriges aus ihrem trüben, ein¬
förmigen Daſein in der Erinnerung geblieben war. So trö¬
ſteten ſie ſich unbewußt gegenſeitig und es that ihnen wohl,
daß ſie jeden Morgen, die Hämmer auf der Schulter, zum
Steinbruch hinanſteigen und die langen ſonnigen Tage neben
einander verbringen konnten, wobei ſie oft den Ruf der Glocke
überhörten oder darob erſchracken, weil er ſie aus ihrer weh¬
müthig trauten Einſamkeit in die wüſte Gemeinſchaft der Hütte
zurück trieb. —
Aber nicht lange ſollte die Zeit dauern, wo ſich die Bei¬
den in lang erduldeter Noth und ſtill entſagendem Kummer,
wie Andere in Luſt und Fröhlichkeit und drängender Lebens¬
fülle, immer inniger zuſammenfanden. Sei es, daß der Auf¬
ſeher durch die anderen Arbeiter von ihrem Einvernehmen
übelwollende Kunde erhalten; ſei es, daß er es mit dem In¬
ſtinkte der Bosheit von ſelbſt errathen hatte — genug: er
ſtand eines Tages hinter ihnen. „Was hockt Ihr da bei
einander wie die Kröten?“ ſchrie er, während ſie erſchrocken
aufſahen. „Marſch, Du Hungerleider, zu Deinen Kameraden,
wo Du hingehörſt!“ Und damit ſtreckte er gebieteriſch die
Hand gegen den unteren Theil des Steinbruches aus. „Und
Du, heimtückiſches Aas“, wandte er ſich zu Tertſchka, während
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/166>, abgerufen am 14.05.2024.
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