das blanke Holzlager hinstreckte. Aber schlafen konnte er nicht. Der gehobene Muth, die beschwingende Zuversicht, welche ihn erfüllt hatten, waren schon während der langen traurigen Fahrt einigermaßen in's Sinken gerathen; nun schlichen bange Zwei¬ fel und scheue Vorwürfe an ihn heran. Und als endlich ein bleicher Lichtschein durch die verschalten Fenster dämmerte, nach und nach die kahlen, schmutzigen Wände und die unerfreulichen Gesichter seiner Mitgefangenen beleuchtend: da fiel ihm die Erkenntniß seiner Lage immer deutlicher, immer schwerer auf die Seele. Nicht, daß er etwa die Folgen seiner That allzusehr gefürchtet hätte; war er doch angegriffen worden und hatte sich seines Lebens wehren müssen; aber er sah im Geiste das Bild des Erschlagenen vor sich, sah ihn bleich und regungslos im Blute liegen, und in seinem weichen, wohlempfindenden Gemüthe mischten sich jetzt mit dem schaudernden Bewußtsein, einen Menschen getödtet zu haben, Reue und Mitleid und ließen ihn tief beklagen, das Alles so habe kommen müssen. Dieser unfreie und gedankenvolle Zustand wurde noch dadurch gesteigert, daß Tage um Tage, Wochen um Wochen vergingen, ohne daß man Georg in's Verhör genommen oder sonst sich um ihn gekümmert hätte. Denn nun stellte sich auch die Sorge ein, wie sich die nächste Zukunft gestalten würde, und quälte ihn umsomehr, als er über das Schicksal Tertschka's, nach welcher er eine schmerzliche Sehnsucht empfand, in völliger Ungewißheit war. Das arme Geschöpf hatte wohl durch
das blanke Holzlager hinſtreckte. Aber ſchlafen konnte er nicht. Der gehobene Muth, die beſchwingende Zuverſicht, welche ihn erfüllt hatten, waren ſchon während der langen traurigen Fahrt einigermaßen in's Sinken gerathen; nun ſchlichen bange Zwei¬ fel und ſcheue Vorwürfe an ihn heran. Und als endlich ein bleicher Lichtſchein durch die verſchalten Fenſter dämmerte, nach und nach die kahlen, ſchmutzigen Wände und die unerfreulichen Geſichter ſeiner Mitgefangenen beleuchtend: da fiel ihm die Erkenntniß ſeiner Lage immer deutlicher, immer ſchwerer auf die Seele. Nicht, daß er etwa die Folgen ſeiner That allzuſehr gefürchtet hätte; war er doch angegriffen worden und hatte ſich ſeines Lebens wehren müſſen; aber er ſah im Geiſte das Bild des Erſchlagenen vor ſich, ſah ihn bleich und regungslos im Blute liegen, und in ſeinem weichen, wohlempfindenden Gemüthe miſchten ſich jetzt mit dem ſchaudernden Bewußtſein, einen Menſchen getödtet zu haben, Reue und Mitleid und ließen ihn tief beklagen, das Alles ſo habe kommen müſſen. Dieſer unfreie und gedankenvolle Zuſtand wurde noch dadurch geſteigert, daß Tage um Tage, Wochen um Wochen vergingen, ohne daß man Georg in's Verhör genommen oder ſonſt ſich um ihn gekümmert hätte. Denn nun ſtellte ſich auch die Sorge ein, wie ſich die nächſte Zukunft geſtalten würde, und quälte ihn umſomehr, als er über das Schickſal Tertſchka's, nach welcher er eine ſchmerzliche Sehnſucht empfand, in völliger Ungewißheit war. Das arme Geſchöpf hatte wohl durch
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0191"n="175"/>
das blanke Holzlager hinſtreckte. Aber ſchlafen konnte er nicht.<lb/>
Der gehobene Muth, die beſchwingende Zuverſicht, welche ihn<lb/>
erfüllt hatten, waren ſchon während der langen traurigen Fahrt<lb/>
einigermaßen in's Sinken gerathen; nun ſchlichen bange Zwei¬<lb/>
fel und ſcheue Vorwürfe an ihn heran. Und als endlich ein<lb/>
bleicher Lichtſchein durch die verſchalten Fenſter dämmerte, nach<lb/>
und nach die kahlen, ſchmutzigen Wände und die unerfreulichen<lb/>
Geſichter ſeiner Mitgefangenen beleuchtend: da fiel ihm die<lb/>
Erkenntniß ſeiner Lage immer deutlicher, immer ſchwerer auf<lb/>
die Seele. Nicht, daß er etwa die Folgen ſeiner That allzuſehr<lb/>
gefürchtet hätte; war er doch angegriffen worden und hatte<lb/>ſich ſeines Lebens wehren müſſen; aber er ſah im Geiſte das<lb/>
Bild des Erſchlagenen vor ſich, ſah ihn bleich und regungslos<lb/>
im Blute liegen, und in ſeinem weichen, wohlempfindenden<lb/>
Gemüthe miſchten ſich jetzt mit dem ſchaudernden Bewußtſein,<lb/>
einen Menſchen getödtet zu haben, Reue und Mitleid und<lb/>
ließen ihn tief beklagen, das Alles ſo habe kommen müſſen.<lb/>
Dieſer unfreie und gedankenvolle Zuſtand wurde noch dadurch<lb/>
geſteigert, daß Tage um Tage, Wochen um Wochen vergingen,<lb/>
ohne daß man Georg in's Verhör genommen oder ſonſt ſich<lb/>
um ihn gekümmert hätte. Denn nun ſtellte ſich auch die Sorge<lb/>
ein, wie ſich die nächſte Zukunft geſtalten würde, und quälte<lb/>
ihn umſomehr, als er über das Schickſal Tertſchka's, nach<lb/>
welcher er eine ſchmerzliche Sehnſucht empfand, in völliger<lb/>
Ungewißheit war. Das arme Geſchöpf hatte wohl durch<lb/></p></div></body></text></TEI>
[175/0191]
das blanke Holzlager hinſtreckte. Aber ſchlafen konnte er nicht.
Der gehobene Muth, die beſchwingende Zuverſicht, welche ihn
erfüllt hatten, waren ſchon während der langen traurigen Fahrt
einigermaßen in's Sinken gerathen; nun ſchlichen bange Zwei¬
fel und ſcheue Vorwürfe an ihn heran. Und als endlich ein
bleicher Lichtſchein durch die verſchalten Fenſter dämmerte, nach
und nach die kahlen, ſchmutzigen Wände und die unerfreulichen
Geſichter ſeiner Mitgefangenen beleuchtend: da fiel ihm die
Erkenntniß ſeiner Lage immer deutlicher, immer ſchwerer auf
die Seele. Nicht, daß er etwa die Folgen ſeiner That allzuſehr
gefürchtet hätte; war er doch angegriffen worden und hatte
ſich ſeines Lebens wehren müſſen; aber er ſah im Geiſte das
Bild des Erſchlagenen vor ſich, ſah ihn bleich und regungslos
im Blute liegen, und in ſeinem weichen, wohlempfindenden
Gemüthe miſchten ſich jetzt mit dem ſchaudernden Bewußtſein,
einen Menſchen getödtet zu haben, Reue und Mitleid und
ließen ihn tief beklagen, das Alles ſo habe kommen müſſen.
Dieſer unfreie und gedankenvolle Zuſtand wurde noch dadurch
geſteigert, daß Tage um Tage, Wochen um Wochen vergingen,
ohne daß man Georg in's Verhör genommen oder ſonſt ſich
um ihn gekümmert hätte. Denn nun ſtellte ſich auch die Sorge
ein, wie ſich die nächſte Zukunft geſtalten würde, und quälte
ihn umſomehr, als er über das Schickſal Tertſchka's, nach
welcher er eine ſchmerzliche Sehnſucht empfand, in völliger
Ungewißheit war. Das arme Geſchöpf hatte wohl durch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/191>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.