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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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früh am nächsten Sonntage ihre wollene Jacke und den Kattun¬
rock hervor und begab sich, damit angethan, nach dem Hause,
welches ihr der Unteroffizier bezeichnet hatte. Dort mußte sie
eine lange Zeit im Flur warten; denn sie erhielt den Bescheid,
der Herr Auditor schlafe noch. Endlich trat dieser, bereits
völlig angekleidet, aus der Thüre und fragte sehr eilig, was
sie wolle. Er ließ sie nicht ausreden und sagte, die Erlaubniß,
mit den Arrestanten zu sprechen, könne nur in den seltensten
Ausnahmsfällen ertheilt werden; sie solle sich übrigens beru¬
higen, denn die ganze Angelegenheit würde in Bälde ausge¬
tragen sein. Wenig getröstet ging sie wieder; und wirklich
verstrich abermals Woche um Woche, ohne daß über Georg
irgend eine Entscheidung erfolgt wäre. Denn, um es nur zu
sagen, der Auditor war ein lebenslustiger junger Mann, dem die
Schönen der Stadt näher am Herzen lagen, als seine Gerichts¬
acten, zumal Verhandlungen, welche beurlaubte Soldaten be¬
trafen und also in dienstlicher Hinsicht nicht so dringend waren,
schob er gerne auf die lange Bank. In ihrer nunmehr ge¬
steigerten Sorge trachtete Tertschka wieder ihren Vertrauten
aufzufinden, und dieser meinte, daß ihr jetzt nichts Anderes
übrig bliebe, als sich an den Obersten des Platzkommandos
zu wenden. Der sei zwar ein etwas ernster und strenger
Herr; aber er habe schon vielen Menschen geholfen. Sie ent¬
schloß sich also auch dazu und mußte, ehe sie vorkam, wieder
lange warten. Jedoch diesmal nicht im Flur, sondern in einem

Saar, Novellen aus Oesterreich. 12

früh am nächſten Sonntage ihre wollene Jacke und den Kattun¬
rock hervor und begab ſich, damit angethan, nach dem Hauſe,
welches ihr der Unteroffizier bezeichnet hatte. Dort mußte ſie
eine lange Zeit im Flur warten; denn ſie erhielt den Beſcheid,
der Herr Auditor ſchlafe noch. Endlich trat dieſer, bereits
völlig angekleidet, aus der Thüre und fragte ſehr eilig, was
ſie wolle. Er ließ ſie nicht ausreden und ſagte, die Erlaubniß,
mit den Arreſtanten zu ſprechen, könne nur in den ſeltenſten
Ausnahmsfällen ertheilt werden; ſie ſolle ſich übrigens beru¬
higen, denn die ganze Angelegenheit würde in Bälde ausge¬
tragen ſein. Wenig getröſtet ging ſie wieder; und wirklich
verſtrich abermals Woche um Woche, ohne daß über Georg
irgend eine Entſcheidung erfolgt wäre. Denn, um es nur zu
ſagen, der Auditor war ein lebensluſtiger junger Mann, dem die
Schönen der Stadt näher am Herzen lagen, als ſeine Gerichts¬
acten, zumal Verhandlungen, welche beurlaubte Soldaten be¬
trafen und alſo in dienſtlicher Hinſicht nicht ſo dringend waren,
ſchob er gerne auf die lange Bank. In ihrer nunmehr ge¬
ſteigerten Sorge trachtete Tertſchka wieder ihren Vertrauten
aufzufinden, und dieſer meinte, daß ihr jetzt nichts Anderes
übrig bliebe, als ſich an den Oberſten des Platzkommandos
zu wenden. Der ſei zwar ein etwas ernſter und ſtrenger
Herr; aber er habe ſchon vielen Menſchen geholfen. Sie ent¬
ſchloß ſich alſo auch dazu und mußte, ehe ſie vorkam, wieder
lange warten. Jedoch diesmal nicht im Flur, ſondern in einem

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[177/0193] früh am nächſten Sonntage ihre wollene Jacke und den Kattun¬ rock hervor und begab ſich, damit angethan, nach dem Hauſe, welches ihr der Unteroffizier bezeichnet hatte. Dort mußte ſie eine lange Zeit im Flur warten; denn ſie erhielt den Beſcheid, der Herr Auditor ſchlafe noch. Endlich trat dieſer, bereits völlig angekleidet, aus der Thüre und fragte ſehr eilig, was ſie wolle. Er ließ ſie nicht ausreden und ſagte, die Erlaubniß, mit den Arreſtanten zu ſprechen, könne nur in den ſeltenſten Ausnahmsfällen ertheilt werden; ſie ſolle ſich übrigens beru¬ higen, denn die ganze Angelegenheit würde in Bälde ausge¬ tragen ſein. Wenig getröſtet ging ſie wieder; und wirklich verſtrich abermals Woche um Woche, ohne daß über Georg irgend eine Entſcheidung erfolgt wäre. Denn, um es nur zu ſagen, der Auditor war ein lebensluſtiger junger Mann, dem die Schönen der Stadt näher am Herzen lagen, als ſeine Gerichts¬ acten, zumal Verhandlungen, welche beurlaubte Soldaten be¬ trafen und alſo in dienſtlicher Hinſicht nicht ſo dringend waren, ſchob er gerne auf die lange Bank. In ihrer nunmehr ge¬ ſteigerten Sorge trachtete Tertſchka wieder ihren Vertrauten aufzufinden, und dieſer meinte, daß ihr jetzt nichts Anderes übrig bliebe, als ſich an den Oberſten des Platzkommandos zu wenden. Der ſei zwar ein etwas ernſter und ſtrenger Herr; aber er habe ſchon vielen Menſchen geholfen. Sie ent¬ ſchloß ſich alſo auch dazu und mußte, ehe ſie vorkam, wieder lange warten. Jedoch diesmal nicht im Flur, ſondern in einem Saar, Novellen aus Oeſterreich. 12

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/193>, abgerufen am 14.05.2024.