Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

wie ich denn auch mit einer gewissen Vorliebe Gast- und
Kaffeehäuser besuche, welche sich einst eines besonderen Rufes
erfreuten, jetzt aber durch moderne Restaurationen in den
Schatten gestellt und bloß von einer kleinen Schaar treuer
Anhänger in Ehren gehalten werden. Mit den Menschen er¬
geht es mir ebenso. Ich fühle mich zu allen Denen hinge¬
zogen, deren eigentliches Leben und Wirken in frühere Tage
fällt und die sich nun nicht mehr in neue Verhältnisse zu
schicken wissen. Ich rede gern mit Handwerkern und Kauf¬
leuten, welche der Gewerbefreiheit und dem hastenden Wett¬
kampfe der Industrie zum Opfer gefallen; mit Beamten und
Militärs, die unter den Trümmern gestürzter Systeme begra¬
ben wurden; mit Aristokraten, welche, kümmerlich genug, von
dem letzten Schimmer eines erlauchten Namens zehren: durch¬
weg typische Persönlichkeiten, denen ich eine gewisse Theilnahme
nicht versagen kann. Denn alles Das, was sie zurückwünschen
oder mühsam aufrecht erhalten wollen, hat doch einmal bestan¬
den und war eine Macht des Lebens, wie so Manches, was
heutzutage besteht, wirkt und trägt. Auch allerlei seltsame
Ingenia und ruhelose Feuerseelen, in denen es vulkanisch gährt
und zuckt, finden sich darunter. Wissenschaftliche Forscher, Er¬
finder, Philosophen und Künstler, die um ein halbes Jahr¬
hundert zu spät geboren wurden und der Welt ein Lächeln
des Mitleids entlocken: tragikomische Widerspiele jener hohen,
seltenen Menschen, die in der Gegenwart keinen Platz finden,

wie ich denn auch mit einer gewiſſen Vorliebe Gaſt- und
Kaffeehäuſer beſuche, welche ſich einſt eines beſonderen Rufes
erfreuten, jetzt aber durch moderne Reſtaurationen in den
Schatten geſtellt und bloß von einer kleinen Schaar treuer
Anhänger in Ehren gehalten werden. Mit den Menſchen er¬
geht es mir ebenſo. Ich fühle mich zu allen Denen hinge¬
zogen, deren eigentliches Leben und Wirken in frühere Tage
fällt und die ſich nun nicht mehr in neue Verhältniſſe zu
ſchicken wiſſen. Ich rede gern mit Handwerkern und Kauf¬
leuten, welche der Gewerbefreiheit und dem haſtenden Wett¬
kampfe der Induſtrie zum Opfer gefallen; mit Beamten und
Militärs, die unter den Trümmern geſtürzter Syſteme begra¬
ben wurden; mit Ariſtokraten, welche, kümmerlich genug, von
dem letzten Schimmer eines erlauchten Namens zehren: durch¬
weg typiſche Perſönlichkeiten, denen ich eine gewiſſe Theilnahme
nicht verſagen kann. Denn alles Das, was ſie zurückwünſchen
oder mühſam aufrecht erhalten wollen, hat doch einmal beſtan¬
den und war eine Macht des Lebens, wie ſo Manches, was
heutzutage beſteht, wirkt und trägt. Auch allerlei ſeltſame
Ingenia und ruheloſe Feuerſeelen, in denen es vulkaniſch gährt
und zuckt, finden ſich darunter. Wiſſenſchaftliche Forſcher, Er¬
finder, Philoſophen und Künſtler, die um ein halbes Jahr¬
hundert zu ſpät geboren wurden und der Welt ein Lächeln
des Mitleids entlocken: tragikomiſche Widerſpiele jener hohen,
ſeltenen Menſchen, die in der Gegenwart keinen Platz finden,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0204" n="188"/>
wie ich denn auch mit einer gewi&#x017F;&#x017F;en Vorliebe Ga&#x017F;t- und<lb/>
Kaffeehäu&#x017F;er be&#x017F;uche, welche &#x017F;ich ein&#x017F;t eines be&#x017F;onderen Rufes<lb/>
erfreuten, jetzt aber durch moderne Re&#x017F;taurationen in den<lb/>
Schatten ge&#x017F;tellt und bloß von einer kleinen Schaar treuer<lb/>
Anhänger in Ehren gehalten werden. Mit den Men&#x017F;chen er¬<lb/>
geht es mir eben&#x017F;o. Ich fühle mich zu allen Denen hinge¬<lb/>
zogen, deren eigentliches Leben und Wirken in frühere Tage<lb/>
fällt und die &#x017F;ich nun nicht mehr in neue Verhältni&#x017F;&#x017F;e zu<lb/>
&#x017F;chicken wi&#x017F;&#x017F;en. Ich rede gern mit Handwerkern und Kauf¬<lb/>
leuten, welche der Gewerbefreiheit und dem ha&#x017F;tenden Wett¬<lb/>
kampfe der Indu&#x017F;trie zum Opfer gefallen; mit Beamten und<lb/>
Militärs, die unter den Trümmern ge&#x017F;türzter Sy&#x017F;teme begra¬<lb/>
ben wurden; mit Ari&#x017F;tokraten, welche, kümmerlich genug, von<lb/>
dem letzten Schimmer eines erlauchten Namens zehren: durch¬<lb/>
weg typi&#x017F;che Per&#x017F;önlichkeiten, denen ich eine gewi&#x017F;&#x017F;e Theilnahme<lb/>
nicht ver&#x017F;agen kann. Denn alles Das, was &#x017F;ie zurückwün&#x017F;chen<lb/>
oder müh&#x017F;am aufrecht erhalten wollen, hat doch einmal be&#x017F;tan¬<lb/>
den und war eine Macht des Lebens, wie &#x017F;o Manches, was<lb/>
heutzutage be&#x017F;teht, wirkt und trägt. Auch allerlei &#x017F;elt&#x017F;ame<lb/>
Ingenia und ruhelo&#x017F;e Feuer&#x017F;eelen, in denen es vulkani&#x017F;ch gährt<lb/>
und zuckt, finden &#x017F;ich darunter. Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche For&#x017F;cher, Er¬<lb/>
finder, Philo&#x017F;ophen und Kün&#x017F;tler, die um ein halbes Jahr¬<lb/>
hundert zu &#x017F;pät geboren wurden und der Welt ein Lächeln<lb/>
des Mitleids entlocken: tragikomi&#x017F;che Wider&#x017F;piele jener hohen,<lb/>
&#x017F;eltenen Men&#x017F;chen, die in der Gegenwart keinen Platz finden,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[188/0204] wie ich denn auch mit einer gewiſſen Vorliebe Gaſt- und Kaffeehäuſer beſuche, welche ſich einſt eines beſonderen Rufes erfreuten, jetzt aber durch moderne Reſtaurationen in den Schatten geſtellt und bloß von einer kleinen Schaar treuer Anhänger in Ehren gehalten werden. Mit den Menſchen er¬ geht es mir ebenſo. Ich fühle mich zu allen Denen hinge¬ zogen, deren eigentliches Leben und Wirken in frühere Tage fällt und die ſich nun nicht mehr in neue Verhältniſſe zu ſchicken wiſſen. Ich rede gern mit Handwerkern und Kauf¬ leuten, welche der Gewerbefreiheit und dem haſtenden Wett¬ kampfe der Induſtrie zum Opfer gefallen; mit Beamten und Militärs, die unter den Trümmern geſtürzter Syſteme begra¬ ben wurden; mit Ariſtokraten, welche, kümmerlich genug, von dem letzten Schimmer eines erlauchten Namens zehren: durch¬ weg typiſche Perſönlichkeiten, denen ich eine gewiſſe Theilnahme nicht verſagen kann. Denn alles Das, was ſie zurückwünſchen oder mühſam aufrecht erhalten wollen, hat doch einmal beſtan¬ den und war eine Macht des Lebens, wie ſo Manches, was heutzutage beſteht, wirkt und trägt. Auch allerlei ſeltſame Ingenia und ruheloſe Feuerſeelen, in denen es vulkaniſch gährt und zuckt, finden ſich darunter. Wiſſenſchaftliche Forſcher, Er¬ finder, Philoſophen und Künſtler, die um ein halbes Jahr¬ hundert zu ſpät geboren wurden und der Welt ein Lächeln des Mitleids entlocken: tragikomiſche Widerſpiele jener hohen, ſeltenen Menſchen, die in der Gegenwart keinen Platz finden,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/204
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/204>, abgerufen am 15.05.2024.