Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

weil sie bereits der Zukunft angehören und Vorläufer Derer
sind, die da kommen werden. --

Einen solchen, der aber jetzt nicht mehr unter den Leben¬
den weilt, hatte ich vor Jahren kennen gelernt; und zwar in
einem Speisehause der inneren Stadt, das inzwischen ebenfalls
verschwunden ist, und wo er, gleich mir, zu ziemlich später
Stunde sein Mahl einzunehmen pflegte. Es war ein Mann
in mittleren Jahren und von stattlichem Wuchse. Leicht zu
körperlicher Fülle neigend, das Haar über der hohen, schim¬
mernden Stirne bereits gelichtet, saß er gewöhnlich in einer
Ecke des Zimmers am Tische, aß und blickte dann, nachdem
er mechanisch ein Zeitungsblatt zur Hand genommen, dem
Rauche seiner Cigarre nach, wobei seine grauen Augen oft
wundersam aufleuchteten, während um den fein geschnittenen
Mund ein selbstvergessenes Lächeln spielte. Wochen um Wochen
hatten wir uns so in einiger Entfernung schweigend gegenüber
gesessen und nur beim Kommen und Gehen den üblichen kur¬
zen Gruß getauscht. Eines Tages jedoch waren wir plötzlich
in ein Gespräch verwickelt, ohne daß Einer von uns hätte be¬
stimmen können, wer eigentlich den ersten Anstoß dazu gegeben.
Nun wurden wir rasch mit einander bekannt, und es zeigte
sich, daß er mir eigentlich nicht mehr ganz fremd gewesen.
Es waren nämlich damals, unter offenbar fingirtem Namen,
in einem großen Blatte mehrere Aufsätze erschienen, die mich
durch die philosophische Tiefe ihres Inhaltes sehr überraschten.

weil ſie bereits der Zukunft angehören und Vorläufer Derer
ſind, die da kommen werden. —

Einen ſolchen, der aber jetzt nicht mehr unter den Leben¬
den weilt, hatte ich vor Jahren kennen gelernt; und zwar in
einem Speiſehauſe der inneren Stadt, das inzwiſchen ebenfalls
verſchwunden iſt, und wo er, gleich mir, zu ziemlich ſpäter
Stunde ſein Mahl einzunehmen pflegte. Es war ein Mann
in mittleren Jahren und von ſtattlichem Wuchſe. Leicht zu
körperlicher Fülle neigend, das Haar über der hohen, ſchim¬
mernden Stirne bereits gelichtet, ſaß er gewöhnlich in einer
Ecke des Zimmers am Tiſche, aß und blickte dann, nachdem
er mechaniſch ein Zeitungsblatt zur Hand genommen, dem
Rauche ſeiner Cigarre nach, wobei ſeine grauen Augen oft
wunderſam aufleuchteten, während um den fein geſchnittenen
Mund ein ſelbſtvergeſſenes Lächeln ſpielte. Wochen um Wochen
hatten wir uns ſo in einiger Entfernung ſchweigend gegenüber
geſeſſen und nur beim Kommen und Gehen den üblichen kur¬
zen Gruß getauſcht. Eines Tages jedoch waren wir plötzlich
in ein Geſpräch verwickelt, ohne daß Einer von uns hätte be¬
ſtimmen können, wer eigentlich den erſten Anſtoß dazu gegeben.
Nun wurden wir raſch mit einander bekannt, und es zeigte
ſich, daß er mir eigentlich nicht mehr ganz fremd geweſen.
Es waren nämlich damals, unter offenbar fingirtem Namen,
in einem großen Blatte mehrere Aufſätze erſchienen, die mich
durch die philoſophiſche Tiefe ihres Inhaltes ſehr überraſchten.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0205" n="189"/>
weil &#x017F;ie bereits der Zukunft angehören und Vorläufer Derer<lb/>
&#x017F;ind, die da kommen werden. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Einen &#x017F;olchen, der aber jetzt nicht mehr unter den Leben¬<lb/>
den weilt, hatte ich vor Jahren kennen gelernt; und zwar in<lb/>
einem Spei&#x017F;ehau&#x017F;e der inneren Stadt, das inzwi&#x017F;chen ebenfalls<lb/>
ver&#x017F;chwunden i&#x017F;t, und wo er, gleich mir, zu ziemlich &#x017F;päter<lb/>
Stunde &#x017F;ein Mahl einzunehmen pflegte. Es war ein Mann<lb/>
in mittleren Jahren und von &#x017F;tattlichem Wuch&#x017F;e. Leicht zu<lb/>
körperlicher Fülle neigend, das Haar über der hohen, &#x017F;chim¬<lb/>
mernden Stirne bereits gelichtet, &#x017F;aß er gewöhnlich in einer<lb/>
Ecke des Zimmers am Ti&#x017F;che, aß und blickte dann, nachdem<lb/>
er mechani&#x017F;ch ein Zeitungsblatt zur Hand genommen, dem<lb/>
Rauche &#x017F;einer Cigarre nach, wobei &#x017F;eine grauen Augen oft<lb/>
wunder&#x017F;am aufleuchteten, während um den fein ge&#x017F;chnittenen<lb/>
Mund ein &#x017F;elb&#x017F;tverge&#x017F;&#x017F;enes Lächeln &#x017F;pielte. Wochen um Wochen<lb/>
hatten wir uns &#x017F;o in einiger Entfernung &#x017F;chweigend gegenüber<lb/>
ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en und nur beim Kommen und Gehen den üblichen kur¬<lb/>
zen Gruß getau&#x017F;cht. Eines Tages jedoch waren wir plötzlich<lb/>
in ein Ge&#x017F;präch verwickelt, ohne daß Einer von uns hätte be¬<lb/>
&#x017F;timmen können, wer eigentlich den er&#x017F;ten An&#x017F;toß dazu gegeben.<lb/>
Nun wurden wir ra&#x017F;ch mit einander bekannt, und es zeigte<lb/>
&#x017F;ich, daß er mir eigentlich nicht mehr ganz fremd gewe&#x017F;en.<lb/>
Es waren nämlich damals, unter offenbar fingirtem Namen,<lb/>
in einem großen Blatte mehrere Auf&#x017F;ätze er&#x017F;chienen, die mich<lb/>
durch die philo&#x017F;ophi&#x017F;che Tiefe ihres Inhaltes &#x017F;ehr überra&#x017F;chten.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[189/0205] weil ſie bereits der Zukunft angehören und Vorläufer Derer ſind, die da kommen werden. — Einen ſolchen, der aber jetzt nicht mehr unter den Leben¬ den weilt, hatte ich vor Jahren kennen gelernt; und zwar in einem Speiſehauſe der inneren Stadt, das inzwiſchen ebenfalls verſchwunden iſt, und wo er, gleich mir, zu ziemlich ſpäter Stunde ſein Mahl einzunehmen pflegte. Es war ein Mann in mittleren Jahren und von ſtattlichem Wuchſe. Leicht zu körperlicher Fülle neigend, das Haar über der hohen, ſchim¬ mernden Stirne bereits gelichtet, ſaß er gewöhnlich in einer Ecke des Zimmers am Tiſche, aß und blickte dann, nachdem er mechaniſch ein Zeitungsblatt zur Hand genommen, dem Rauche ſeiner Cigarre nach, wobei ſeine grauen Augen oft wunderſam aufleuchteten, während um den fein geſchnittenen Mund ein ſelbſtvergeſſenes Lächeln ſpielte. Wochen um Wochen hatten wir uns ſo in einiger Entfernung ſchweigend gegenüber geſeſſen und nur beim Kommen und Gehen den üblichen kur¬ zen Gruß getauſcht. Eines Tages jedoch waren wir plötzlich in ein Geſpräch verwickelt, ohne daß Einer von uns hätte be¬ ſtimmen können, wer eigentlich den erſten Anſtoß dazu gegeben. Nun wurden wir raſch mit einander bekannt, und es zeigte ſich, daß er mir eigentlich nicht mehr ganz fremd geweſen. Es waren nämlich damals, unter offenbar fingirtem Namen, in einem großen Blatte mehrere Aufſätze erſchienen, die mich durch die philoſophiſche Tiefe ihres Inhaltes ſehr überraſchten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/205
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/205>, abgerufen am 15.05.2024.