Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

schmiegt, das matt schimmernde Haar nachlässig gelockt, und
mit dem schlanken, biegsamen Leibe den Bogenstrichen folgend,
glich sie einer Camöne. Es entging mir nicht, daß sie bei
ausdrucksvollen Stellen, zarten sowohl als leidenschaftlichen,
ihre großen, etwas umschatteten Augen auf einen jungen Mann
heftete, der in einiger Entfernung von mir saß, und den ich
früher nicht beachtet hatte. Von hohem und schlankem Wuchse,
sorgfältig, aber ohne Ziererei gekleidet, war er in seinen Stuhl
zurückgesunken und schien die Aufmerksamkeit, welche ihm die
Geigerin schenkte, gänzlich zu übersehen. Seine Blicke schweif¬
ten vielmehr, während er langsam ein Glas Punsch trank,
nach dem Kinde am Claviere hin, welches ihm auch von Zeit
zu Zeit wie verstohlen zulächelte. Sein Antlitz wies ein kühn
geschnittenes, fremdländisches Profil, und die hohe, gerade Stirn
leuchtete aus dunklen Haaren hervor; eine längliche Narbe
auf der rechten Wange zierte ihn mehr, als sie ihn entstellte.
Er war im eigentlichen Sinne des Wortes schön zu nennen.
Das Geistige herrschte in seinen Zügen nicht vor; aber Alles
war voll Leben und Ausdruck, und die hellen braunen Augen
blickten stolz und einnehmend zugleich, wie die des Hirsches.
Die Geigerin hatte inzwischen begonnen, ein Solo vorzutragen,
das nur hin und wieder von dem Clavier begleitet wurde.
Sie spielte mit so zartem Schmelze, mit so hinreißendem Feuer,
daß, als sie geendet hatte, stürmischer Beifall losbrach. Sie
verneigte sich leicht, aber ihr Blick ruhte, während die Töne

ſchmiegt, das matt ſchimmernde Haar nachläſſig gelockt, und
mit dem ſchlanken, biegſamen Leibe den Bogenſtrichen folgend,
glich ſie einer Camöne. Es entging mir nicht, daß ſie bei
ausdrucksvollen Stellen, zarten ſowohl als leidenſchaftlichen,
ihre großen, etwas umſchatteten Augen auf einen jungen Mann
heftete, der in einiger Entfernung von mir ſaß, und den ich
früher nicht beachtet hatte. Von hohem und ſchlankem Wuchſe,
ſorgfältig, aber ohne Ziererei gekleidet, war er in ſeinen Stuhl
zurückgeſunken und ſchien die Aufmerkſamkeit, welche ihm die
Geigerin ſchenkte, gänzlich zu überſehen. Seine Blicke ſchweif¬
ten vielmehr, während er langſam ein Glas Punſch trank,
nach dem Kinde am Claviere hin, welches ihm auch von Zeit
zu Zeit wie verſtohlen zulächelte. Sein Antlitz wies ein kühn
geſchnittenes, fremdländiſches Profil, und die hohe, gerade Stirn
leuchtete aus dunklen Haaren hervor; eine längliche Narbe
auf der rechten Wange zierte ihn mehr, als ſie ihn entſtellte.
Er war im eigentlichen Sinne des Wortes ſchön zu nennen.
Das Geiſtige herrſchte in ſeinen Zügen nicht vor; aber Alles
war voll Leben und Ausdruck, und die hellen braunen Augen
blickten ſtolz und einnehmend zugleich, wie die des Hirſches.
Die Geigerin hatte inzwiſchen begonnen, ein Solo vorzutragen,
das nur hin und wieder von dem Clavier begleitet wurde.
Sie ſpielte mit ſo zartem Schmelze, mit ſo hinreißendem Feuer,
daß, als ſie geendet hatte, ſtürmiſcher Beifall losbrach. Sie
verneigte ſich leicht, aber ihr Blick ruhte, während die Töne

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0218" n="202"/>
&#x017F;chmiegt, das matt &#x017F;chimmernde Haar nachlä&#x017F;&#x017F;ig gelockt, und<lb/>
mit dem &#x017F;chlanken, bieg&#x017F;amen Leibe den Bogen&#x017F;trichen folgend,<lb/>
glich &#x017F;ie einer Camöne. Es entging mir nicht, daß &#x017F;ie bei<lb/>
ausdrucksvollen Stellen, zarten &#x017F;owohl als leiden&#x017F;chaftlichen,<lb/>
ihre großen, etwas um&#x017F;chatteten Augen auf einen jungen Mann<lb/>
heftete, der in einiger Entfernung von mir &#x017F;aß, und den ich<lb/>
früher nicht beachtet hatte. Von hohem und &#x017F;chlankem Wuch&#x017F;e,<lb/>
&#x017F;orgfältig, aber ohne Ziererei gekleidet, war er in &#x017F;einen Stuhl<lb/>
zurückge&#x017F;unken und &#x017F;chien die Aufmerk&#x017F;amkeit, welche ihm die<lb/>
Geigerin &#x017F;chenkte, gänzlich zu über&#x017F;ehen. Seine Blicke &#x017F;chweif¬<lb/>
ten vielmehr, während er lang&#x017F;am ein Glas Pun&#x017F;ch trank,<lb/>
nach dem Kinde am Claviere hin, welches ihm auch von Zeit<lb/>
zu Zeit wie ver&#x017F;tohlen zulächelte. Sein Antlitz wies ein kühn<lb/>
ge&#x017F;chnittenes, fremdländi&#x017F;ches Profil, und die hohe, gerade Stirn<lb/>
leuchtete aus dunklen Haaren hervor; eine längliche Narbe<lb/>
auf der rechten Wange zierte ihn mehr, als &#x017F;ie ihn ent&#x017F;tellte.<lb/>
Er war im eigentlichen Sinne des Wortes &#x017F;chön zu nennen.<lb/>
Das Gei&#x017F;tige herr&#x017F;chte in &#x017F;einen Zügen nicht vor; aber Alles<lb/>
war voll Leben und Ausdruck, und die hellen braunen Augen<lb/>
blickten &#x017F;tolz und einnehmend zugleich, wie die des Hir&#x017F;ches.<lb/>
Die Geigerin hatte inzwi&#x017F;chen begonnen, ein Solo vorzutragen,<lb/>
das nur hin und wieder von dem Clavier begleitet wurde.<lb/>
Sie &#x017F;pielte mit &#x017F;o zartem Schmelze, mit &#x017F;o hinreißendem Feuer,<lb/>
daß, als &#x017F;ie geendet hatte, &#x017F;türmi&#x017F;cher Beifall losbrach. Sie<lb/>
verneigte &#x017F;ich leicht, aber ihr Blick ruhte, während die Töne<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0218] ſchmiegt, das matt ſchimmernde Haar nachläſſig gelockt, und mit dem ſchlanken, biegſamen Leibe den Bogenſtrichen folgend, glich ſie einer Camöne. Es entging mir nicht, daß ſie bei ausdrucksvollen Stellen, zarten ſowohl als leidenſchaftlichen, ihre großen, etwas umſchatteten Augen auf einen jungen Mann heftete, der in einiger Entfernung von mir ſaß, und den ich früher nicht beachtet hatte. Von hohem und ſchlankem Wuchſe, ſorgfältig, aber ohne Ziererei gekleidet, war er in ſeinen Stuhl zurückgeſunken und ſchien die Aufmerkſamkeit, welche ihm die Geigerin ſchenkte, gänzlich zu überſehen. Seine Blicke ſchweif¬ ten vielmehr, während er langſam ein Glas Punſch trank, nach dem Kinde am Claviere hin, welches ihm auch von Zeit zu Zeit wie verſtohlen zulächelte. Sein Antlitz wies ein kühn geſchnittenes, fremdländiſches Profil, und die hohe, gerade Stirn leuchtete aus dunklen Haaren hervor; eine längliche Narbe auf der rechten Wange zierte ihn mehr, als ſie ihn entſtellte. Er war im eigentlichen Sinne des Wortes ſchön zu nennen. Das Geiſtige herrſchte in ſeinen Zügen nicht vor; aber Alles war voll Leben und Ausdruck, und die hellen braunen Augen blickten ſtolz und einnehmend zugleich, wie die des Hirſches. Die Geigerin hatte inzwiſchen begonnen, ein Solo vorzutragen, das nur hin und wieder von dem Clavier begleitet wurde. Sie ſpielte mit ſo zartem Schmelze, mit ſo hinreißendem Feuer, daß, als ſie geendet hatte, ſtürmiſcher Beifall losbrach. Sie verneigte ſich leicht, aber ihr Blick ruhte, während die Töne

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/218
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/218>, abgerufen am 15.05.2024.