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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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noch immer in ihr nachzuzittern schienen, auf dem jungen
Manne, der nun auch, wie aus einem Traume aufgeschreckt,
durch leichtes Kopfnicken seine Anerkennung kund gab. Es
schien jetzt eine längere Pause eintreten zu wollen; denn die
Spielenden verließen ihre Plätze und zogen sich in den Hin¬
tergrund der Bühne zurück. Mein Nachbar war gleichfalls
aufgestanden und begab sich mit vertraulichen Geberden zu den
Frauen. Die Geigerin ging ihm mit erwartungsvollem Lächeln
entgegen; er aber sah zerstreut über sie hinweg und reichte
dem Kinde die Hand, welches, wiederum das Haar schüttelnd,
auf ihn zusprang. Ich sah das Alles und fühlte mein Herz
von einem seltsamen Schmerze zusammengepreßt. Ich besitze
die unglückselige Gabe, ohne es eigentlich zu wollen, aus ge¬
ringfügigen Anzeichen, aus einem Blicke, einem Worte ganze
Verhältnisse zu errathen und mir dieselben zurecht zu legen.
So brachte ich denn gleich auch diese vier Personen in eine
eigenthümliche Stellung zu einander, die mich bedrückte. Ich
verlor alle Lust, weiter zuzuhören und entfernte mich, während
die Cellistin langsam die Noten zu einem neuen Stücke auf¬
legte. Zu Hause angekommen, lag ich noch eine Zeitlang wach
im Bette; endlich schlief ich ein und die drei Gestalten in
weißen Kleidern und der junge Mann mit der Narbe auf der
Wange zogen, wirr und phantastisch verschlungen, durch meine
Träume. Auch in den folgenden Tagen wirkten diese Eindrücke
nach, dann aber war Alles vergessen. --

noch immer in ihr nachzuzittern ſchienen, auf dem jungen
Manne, der nun auch, wie aus einem Traume aufgeſchreckt,
durch leichtes Kopfnicken ſeine Anerkennung kund gab. Es
ſchien jetzt eine längere Pauſe eintreten zu wollen; denn die
Spielenden verließen ihre Plätze und zogen ſich in den Hin¬
tergrund der Bühne zurück. Mein Nachbar war gleichfalls
aufgeſtanden und begab ſich mit vertraulichen Geberden zu den
Frauen. Die Geigerin ging ihm mit erwartungsvollem Lächeln
entgegen; er aber ſah zerſtreut über ſie hinweg und reichte
dem Kinde die Hand, welches, wiederum das Haar ſchüttelnd,
auf ihn zuſprang. Ich ſah das Alles und fühlte mein Herz
von einem ſeltſamen Schmerze zuſammengepreßt. Ich beſitze
die unglückſelige Gabe, ohne es eigentlich zu wollen, aus ge¬
ringfügigen Anzeichen, aus einem Blicke, einem Worte ganze
Verhältniſſe zu errathen und mir dieſelben zurecht zu legen.
So brachte ich denn gleich auch dieſe vier Perſonen in eine
eigenthümliche Stellung zu einander, die mich bedrückte. Ich
verlor alle Luſt, weiter zuzuhören und entfernte mich, während
die Celliſtin langſam die Noten zu einem neuen Stücke auf¬
legte. Zu Hauſe angekommen, lag ich noch eine Zeitlang wach
im Bette; endlich ſchlief ich ein und die drei Geſtalten in
weißen Kleidern und der junge Mann mit der Narbe auf der
Wange zogen, wirr und phantaſtiſch verſchlungen, durch meine
Träume. Auch in den folgenden Tagen wirkten dieſe Eindrücke
nach, dann aber war Alles vergeſſen. —

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[203/0219] noch immer in ihr nachzuzittern ſchienen, auf dem jungen Manne, der nun auch, wie aus einem Traume aufgeſchreckt, durch leichtes Kopfnicken ſeine Anerkennung kund gab. Es ſchien jetzt eine längere Pauſe eintreten zu wollen; denn die Spielenden verließen ihre Plätze und zogen ſich in den Hin¬ tergrund der Bühne zurück. Mein Nachbar war gleichfalls aufgeſtanden und begab ſich mit vertraulichen Geberden zu den Frauen. Die Geigerin ging ihm mit erwartungsvollem Lächeln entgegen; er aber ſah zerſtreut über ſie hinweg und reichte dem Kinde die Hand, welches, wiederum das Haar ſchüttelnd, auf ihn zuſprang. Ich ſah das Alles und fühlte mein Herz von einem ſeltſamen Schmerze zuſammengepreßt. Ich beſitze die unglückſelige Gabe, ohne es eigentlich zu wollen, aus ge¬ ringfügigen Anzeichen, aus einem Blicke, einem Worte ganze Verhältniſſe zu errathen und mir dieſelben zurecht zu legen. So brachte ich denn gleich auch dieſe vier Perſonen in eine eigenthümliche Stellung zu einander, die mich bedrückte. Ich verlor alle Luſt, weiter zuzuhören und entfernte mich, während die Celliſtin langſam die Noten zu einem neuen Stücke auf¬ legte. Zu Hauſe angekommen, lag ich noch eine Zeitlang wach im Bette; endlich ſchlief ich ein und die drei Geſtalten in weißen Kleidern und der junge Mann mit der Narbe auf der Wange zogen, wirr und phantaſtiſch verſchlungen, durch meine Träume. Auch in den folgenden Tagen wirkten dieſe Eindrücke nach, dann aber war Alles vergeſſen. —

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/219>, abgerufen am 27.11.2024.