Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

bäudes verschwand. Ein tiefes Weh fiel mir auf's Herz.
Also auch sie hatte mit der Noth des Lebens zu kämpfen, die
mir hier wieder einmal als unzertrennliche Begleiterin der
Kunst erschien, und mußte vielleicht irgend ein theures Ange¬
denken, einen liebgewordenen Schmuck verpfänden, um nicht
unterzugehen! In solch' trübe Gedanken versunken, war ich
halb unbewußt ebenfalls vor der Anstalt eingetroffen, als sie
plötzlich, das Päckchen krampfhaft umklammernd, mit dem Aus¬
drucke tiefster Verzweiflung im Antlitz, wieder unter dem Thore
erschien. Sie war offenbar zu spät gekommen oder man hatte
sie auf morgen vertröstet; und nun stand sie da und blickte
stumpfsinnig in das goldene Sonnenlicht hinein, das die gegen¬
über liegenden Häuser umfunkelte. Fröhliche Menschen schritten
an ihr vorüber; ein kleines Mädchen bot ihr Veilchen zum
Kaufe, aber sie sah und hörte nichts. Endlich ging sie und
irrte, wie es mir schien, ohne Wahl und Ziel in den nächsten
Gassen umher. Ich konnte es nicht länger mit ansehen und
trat an ihre Seite. "Erlauben Sie, mein Fräulein", -- sagte ich,
indem ich höflich den Hut abzog.

Sie sah mich ausdruckslos an und eilte weiter.

Ich hielt mich neben ihr. "Bemühen Sie sich nicht, mein
Herr", sagte sie endlich. "Ich wünsche keine Begleitung --
ich muß Sie bitten --"

"Halten Sie mich für keinen Unverschämten, keinen Zu¬
dringlichen", erwiederte ich fest. "Ich habe Ihnen eine wich¬
tige Mittheilung zu machen."

bäudes verſchwand. Ein tiefes Weh fiel mir auf's Herz.
Alſo auch ſie hatte mit der Noth des Lebens zu kämpfen, die
mir hier wieder einmal als unzertrennliche Begleiterin der
Kunſt erſchien, und mußte vielleicht irgend ein theures Ange¬
denken, einen liebgewordenen Schmuck verpfänden, um nicht
unterzugehen! In ſolch' trübe Gedanken verſunken, war ich
halb unbewußt ebenfalls vor der Anſtalt eingetroffen, als ſie
plötzlich, das Päckchen krampfhaft umklammernd, mit dem Aus¬
drucke tiefſter Verzweiflung im Antlitz, wieder unter dem Thore
erſchien. Sie war offenbar zu ſpät gekommen oder man hatte
ſie auf morgen vertröſtet; und nun ſtand ſie da und blickte
ſtumpfſinnig in das goldene Sonnenlicht hinein, das die gegen¬
über liegenden Häuſer umfunkelte. Fröhliche Menſchen ſchritten
an ihr vorüber; ein kleines Mädchen bot ihr Veilchen zum
Kaufe, aber ſie ſah und hörte nichts. Endlich ging ſie und
irrte, wie es mir ſchien, ohne Wahl und Ziel in den nächſten
Gaſſen umher. Ich konnte es nicht länger mit anſehen und
trat an ihre Seite. „Erlauben Sie, mein Fräulein“, — ſagte ich,
indem ich höflich den Hut abzog.

Sie ſah mich ausdruckslos an und eilte weiter.

Ich hielt mich neben ihr. „Bemühen Sie ſich nicht, mein
Herr“, ſagte ſie endlich. „Ich wünſche keine Begleitung —
ich muß Sie bitten —“

„Halten Sie mich für keinen Unverſchämten, keinen Zu¬
dringlichen“, erwiederte ich feſt. „Ich habe Ihnen eine wich¬
tige Mittheilung zu machen.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0221" n="205"/>
bäudes ver&#x017F;chwand. Ein tiefes Weh fiel mir auf's Herz.<lb/>
Al&#x017F;o auch <hi rendition="#g">&#x017F;ie</hi> hatte mit der Noth des Lebens zu kämpfen, die<lb/>
mir hier wieder einmal als unzertrennliche Begleiterin der<lb/>
Kun&#x017F;t er&#x017F;chien, und mußte vielleicht irgend ein theures Ange¬<lb/>
denken, einen liebgewordenen Schmuck verpfänden, um nicht<lb/>
unterzugehen! In &#x017F;olch' trübe Gedanken ver&#x017F;unken, war ich<lb/>
halb unbewußt ebenfalls vor der An&#x017F;talt eingetroffen, als &#x017F;ie<lb/>
plötzlich, das Päckchen krampfhaft umklammernd, mit dem Aus¬<lb/>
drucke tief&#x017F;ter Verzweiflung im Antlitz, wieder unter dem Thore<lb/>
er&#x017F;chien. Sie war offenbar zu &#x017F;pät gekommen oder man hatte<lb/>
&#x017F;ie auf morgen vertrö&#x017F;tet; und nun &#x017F;tand &#x017F;ie da und blickte<lb/>
&#x017F;tumpf&#x017F;innig in das goldene Sonnenlicht hinein, das die gegen¬<lb/>
über liegenden Häu&#x017F;er umfunkelte. Fröhliche Men&#x017F;chen &#x017F;chritten<lb/>
an ihr vorüber; ein kleines Mädchen bot ihr Veilchen zum<lb/>
Kaufe, aber &#x017F;ie &#x017F;ah und hörte nichts. Endlich ging &#x017F;ie und<lb/>
irrte, wie es mir &#x017F;chien, ohne Wahl und Ziel in den näch&#x017F;ten<lb/>
Ga&#x017F;&#x017F;en umher. Ich konnte es nicht länger mit an&#x017F;ehen und<lb/>
trat an ihre Seite. &#x201E;Erlauben Sie, mein Fräulein&#x201C;, &#x2014; &#x017F;agte ich,<lb/>
indem ich höflich den Hut abzog.</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;ah mich ausdruckslos an und eilte weiter.</p><lb/>
        <p>Ich hielt mich neben ihr. &#x201E;Bemühen Sie &#x017F;ich nicht, mein<lb/>
Herr&#x201C;, &#x017F;agte &#x017F;ie endlich. &#x201E;Ich wün&#x017F;che keine Begleitung &#x2014;<lb/>
ich muß Sie bitten &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Halten Sie mich für keinen Unver&#x017F;chämten, keinen Zu¬<lb/>
dringlichen&#x201C;, erwiederte ich fe&#x017F;t. &#x201E;Ich habe Ihnen eine wich¬<lb/>
tige Mittheilung zu machen.&#x201C;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[205/0221] bäudes verſchwand. Ein tiefes Weh fiel mir auf's Herz. Alſo auch ſie hatte mit der Noth des Lebens zu kämpfen, die mir hier wieder einmal als unzertrennliche Begleiterin der Kunſt erſchien, und mußte vielleicht irgend ein theures Ange¬ denken, einen liebgewordenen Schmuck verpfänden, um nicht unterzugehen! In ſolch' trübe Gedanken verſunken, war ich halb unbewußt ebenfalls vor der Anſtalt eingetroffen, als ſie plötzlich, das Päckchen krampfhaft umklammernd, mit dem Aus¬ drucke tiefſter Verzweiflung im Antlitz, wieder unter dem Thore erſchien. Sie war offenbar zu ſpät gekommen oder man hatte ſie auf morgen vertröſtet; und nun ſtand ſie da und blickte ſtumpfſinnig in das goldene Sonnenlicht hinein, das die gegen¬ über liegenden Häuſer umfunkelte. Fröhliche Menſchen ſchritten an ihr vorüber; ein kleines Mädchen bot ihr Veilchen zum Kaufe, aber ſie ſah und hörte nichts. Endlich ging ſie und irrte, wie es mir ſchien, ohne Wahl und Ziel in den nächſten Gaſſen umher. Ich konnte es nicht länger mit anſehen und trat an ihre Seite. „Erlauben Sie, mein Fräulein“, — ſagte ich, indem ich höflich den Hut abzog. Sie ſah mich ausdruckslos an und eilte weiter. Ich hielt mich neben ihr. „Bemühen Sie ſich nicht, mein Herr“, ſagte ſie endlich. „Ich wünſche keine Begleitung — ich muß Sie bitten —“ „Halten Sie mich für keinen Unverſchämten, keinen Zu¬ dringlichen“, erwiederte ich feſt. „Ich habe Ihnen eine wich¬ tige Mittheilung zu machen.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/221
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/221>, abgerufen am 23.11.2024.